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Einführung: Lebenlauf / Literarische Erzeugnisse

Erste Sammlung: Brief I. / Brief II. / Brief III / Brief IV / Brief V / Brief VI / Brief VII / Brief VIII

Zweite Sammlung: Brief IX / Brief X / Brief XI / Brief XII / Brief XIII

Dritte Sammlung: Brief XIV / Brief XV / Brief XVI/Biographie

Ambrosius Bethmann Bernhardi (1756- 18o1)

Die literarischen Erzeugnisse von A.B. Bernhardi

Züge zu einem Gemälde des Russischen Reichs unter Catharina II.
gesammelt bey einem vieljährigen Aufenthalte in demselben. In vertrauten Briefen 1798.

1. Sammlung 1798, 304 Seiten, Brief I - VIII

Brief VII.

Missvergnügen über die russische Regierung in Liefland, besonders in Riga. Veranlassungen dazu, ohne Beziehung auf die neue Regierungs-Verfassung. Willkürliche Anordnungen des Gouverneurs. Verfall des Stadtvermögens in Riga. Ursachen dieses Verfalls. Plackereien bei dem Zollwesen.


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So manche Mängel ich in der neuen Verfassung des russischen Reichs zu finden glaube, so habe ich doch in meinem vorigen Briefe behauptet, sie sei in Vergleichung mit der alten eine wahre Wohltat für den Staat gewesen. Wenn sie aber dies im allgemeinen ist, so kann man doch immer noch fragen: ist sie es auch für Liefland insbesondere? Das ein großer Teil der Einwohner desselben sie aus keinem günstigen Gesichtspunkt ehedem betrachtete, wissen Sie aus den öffentlichen Blättern; und noch jetzt, muss ich hinzusetzen, gibt es viele Personen, welche die alte Verfassung zurück wünschen. Haben diese Urteile einen gültigen Grund, oder sind sie nur als Vorurteile der Gewohnheit, oder gar als Verirrungen des Eigennutzes einiger ehedem vorzüglich begünstigter Personen anzusehen? Diese Fragen sind gar nicht so leicht zu beantworten,

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als sie oft beantwortet werden. Auch maße ich mir nicht an, dieselben auf eine entscheidende Weise zu lösen. Ich werde oft nur referieren, bei dieser Relation aber heterogene Gründe jener Urteile sorgfältig zu unterscheiden suchen. Fürchten Sie dabei nicht, dass ich mich in eine trockene Vergleichung der Gründe und Gegengründe einlassen werde.
Tatsachen werden auch hier die Hauptgegenstände sein, und zugleich keinen unwichtigen Beitrag zur Kenntnis der Dinge überhaupt liefern. Liefland ist mit der russischen Regierung nicht zufrieden, dies hat seine gute Richtigkeit, soll aber nicht so viel heißen, als ob es im ganzen wünsche, wieder unter polnischer oder schwedischer Herrschaft zu stehen. Nur der Bauer äußert bisweilen einen solchen Wunsch; der Bürger sowohl als der Edelmann hingegen weiß sehr gut, das er bei diesem Tausche mehr verlieren als gewinnen würde. Diese Einsicht habe ich selbst bei den leidenschaftlichsten Klagen über Bedrückung in jedem nur etwas aufgeklärten Manne noch wirksam gefunden.

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Ferner bezieht sich die Unzufriedenheit der Liefländer nicht bloß auf die neue Statthalterschaftsordnung. Ehe noch an diese gedacht wurde, fehlte es nicht an Klagen. Und selbst solche, die mit und während der neuen Ordnung derDinge entstanden, beziehen sich nur zum Teil auf die eigentliche Regierungsverfassung. Endlich muss man selbst in Rücksicht auf diese nicht nur die Klagen der Stadt Riga von denen des ganzen Landes, sondern auch bei diesem wie bei jener mehrere Punkte von einander trennen. Wirft man dies alles untereinander, so entsteht ein Labyrinth aus dem kein Mensch kommen kann, und aus welchem die so häufigen ganz widersprechenden Urteile entstehen. Ich selbst habe mich nicht anders daraus los winden können, als indem ich die Beschwerden, so zu sagen, in besondere Rubriken brachte, und nach diesen will ich Ihnen auch meine Erfahrung mitteilen. In diesem Briefe sollen sie nur solche Klagen dargestellt finden, die entweder vor der neuen Ordnung der Dinge statt fanden,

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oder doch die eigentliche Regierungsverfassung nicht treffen, und zwar nur in Beziehung auf die Stadt Riga. Diese hatte bei der Unterwerfung unter den russischen Zepter alle ihre Privilegien bestätigt erhalten; und der Gouverneur, der über sie wie über das Land gesetzt war, hätte eigentlich nur dahin sehen sollen, dass die Gesetze beobachtet und die Gerechtigkeit jedes Standes aufrecht gehalten würden. Ob dies aber geschehen ist, mögen sie aus folgenden Anordnungen und Befehlen, die sich von dem Gouverneur Graf B... herschreiben, selbst beurteilen. Das fast überall gewöhnliche Getreidemaß ist rund --- und aus guten Gründen. Die Ecken einer andern Form werden vom Hafer, Malz u.s.w. nicht hinlänglich ausgefüllt. In Liefland ist das Maß viereckig. Dies hat folgenden Ursprung. Die Bauern des Gouverneurs beschwerten sich darüber, das sie ihr Getreide mit einem großen Haufen messen lassen müßten. Vielleicht war diese Beschwerde begründet. So gewöhnlich es ist, gewisse Getreidearten nicht zu streichen, so

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kommt doch dabei sehr viel auf die Höhe und den Umfang des Maßes zu, und ich kann nicht verbürgen, das man nicht nach und nach die Höhe des Maßes in Riga verringert, und den Umfang vergrößert hatte. Allein nicht darin allein, sondern auch in die runde Form setzte der Gouverneur den Fehler, und befahl viereckiges Maß einzuführen. Seit vielen Jahren war die Stadt im Besitz einer Niederlage zum Flachs und Hanf gewesen. Sie hatte die Gebäude auf ihre Kosten errichtet, und einen mäßigen Zins davon gezogen. Keinem Menschen konnte einfallen zu fragen, ob nicht der Zins etwa die Interessen überstiege, welche das angelegte Kapital gegeben haben würde, da kein Mensch gebunden war, sichdes Ratsgebäudes zu seiner Niederlage zu bedienen. Dessen ungeachtet zog der Gouverneur den Rat zur Rechenschaft darüber, und nötigte ihn 40.000 Thaler Alberts als vermeintlichen Profit heraus zu geben. Die Gelegenheit dazu war folgende: Das Ingenieurkorps fand die Flachs und Hanf Niederlage zu nahe bei der Stadt,

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und hatte darin wohl Recht. Auch war der Rat bereit, ein anderes Gebäude an einem von dem Ingenieurkorps angegebenen Platze zu errichten. Der Platz war bestimmt, manches Haus, das an demselben gestanden hatte, gekauft, niedergerissen, und der Grund zu dem neuen Gebäude gelegt, als eben das Ingenieurkorps, welches diesen Platz angegeben hatte, denselben nicht schicklich genug fand, sondern auf einem andern bestand. Dann erst glaubte der Rat, der wohl mit Recht Schikane witterte, sich der ganzen Sache entschlagen zu müssen. Er hatte bloß für das allgemeine Beste, ohne Rücksicht auf den besonderen Nutzen für die Stadtkasse, sorgen wollen; war aber auf keine Weise gehalten, mit großem Verluste für dieselbe den Vorteil für Privatpersonen zu befördern. Nun trat ein russischer Kaufmann auf (Fatow hieß er, wenn ich nicht irre) und erbot sich Hanf Magazine an dem zuletzt angewiesenen Platze zu erbauen, wenn die Stadt ihm den bisher gezogenen Profit von den alten nach Abzug des angelegten Kapitals und der Interessen als Zuschuss geben wollte.

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Auf Befehl des Generalgouverneurs blieb dem Rate nur der Wechselfall, entweder selbst zu bauen, oder dem Vorschlag Gehör zu geben. Er wollte nicht bauen, behauptete aber, er habe keinen Gewinn gezogen, und folglich keinen heraus zu geben. Vielleicht hätte er besser getan, geradezu die Verbindlichkeit zur Herausgabe zu bestreiten. Da er dies nicht tat, so sollte er die Rechnung von dreißig und mehreren Jahren vorlegen. Unglücklicherweise waren keine besondern Rechnungen über den in der Frage begriffenen Gegenstand gehalten worden. Der Gegner hatte also ziemlich freies Spiel aus den allgemeinen eine, für ihn so günstige Bilanz zu ziehen, dass er einen Überschuss von 80.000 Thalern heraus brachte. Gegen Erinnerungen halfen zu weiter nichts, als das der Unternehmer aus Billigkeit die Summe auf die Hälfte heruntersetzte. Der Rat sträubte sich lange gegen die Auszahlung auch dieser Hälfte, als der Gouverneur einst am Abende vor dem Neujahrstage ihm auflegte, entweder noch

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heute die 40.000 Thaler zu zahlen, oder zu gewärtigen, das er, auf Bericht an die Kaiserin, das ganze zu erlegen angehalten würde. Bei einer solchen Drohung glaubte der Rat nachgeben zu müssen, und zahlte --- Sonderbar war es, dass dies an dem Abend vor einem Tag geschah, an welchem die Stadt gewohnt war, dem Gouverneur für seinen gnädigen Schutz ein jährliches Geschenk von einigen hundert Dukaten zu machen. Die Ansprüche der Gerichte hatte zwar ehemals der Gouverneur in Liefland eben so wenig als jetzt zu leiten. Gleichwohl konnte sich der Magistrat in Riga nur mit Mühe seinen Einflusses erwehren. Mir ist davon ein auffallendes Beispiel erzählt worden. Bei einem Konkurs hatte das Jesuitenkloster in Polotzk einige tausend Thaler zu fordern, und war, da es eine der jüngsten Schuldverschreibungen hatte, wie natürlich, in die unterste Klasse locirt worden. Darüber beschwerte es sich bei dem Gouverneur, und erhielt von diesem einen so bestimmten Befehl an den Magistrat, ihm zu seinem Gelde zu verhelfen,

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dass der Bürgermeister Schick, um den Willen des Gouverneurs zu erfüllen, und doch keine Ungerechtigkeit zu begehen, das Kapital aus seinem eigenen Vermögen bezahlte. Solch Vorfälle, die vor der neuen Einrichtung statt fanden, mussten wohl Unzufriedenheit erzeugen; und doch sind sie eine Kleinigkeit gegen den Schaden, den die Stadt von einem ihr auf gedrungenen Unternehmen hatte, wovon ich nun mehr sprechen werde. Vor ungefähr fünfzehn Jahren machte der Oberst W... einen Plan, die Düna vom Sand zu reinigen, und besonders die Sandbänke bei dem Ausfluss derselben zu durchbrechen. Der Gegenstand war wichtig. Allerdings häufte sich der Sand nach und nach so, dass schon mancher Ort jetzt bebaut ist, der ehedem zu dem Bett des Flusses gehörte, und besonders der Eingang immer schwieriger wurde. Daher erzählt man, dass, als die Kaiserin in Riga einen holländischen Schiffer fragte, wie es ging, dieser zur Antwort gab: schlecht, hoher Zoll und klen Water.

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Wäre nun der gemachte Plan geschickt gewesen, jenen Nachteilen abzuhelfen, so hätte er verdient, mit beiden Händen aufgenommen zu werden. Allein die Stadt setzte gleich Anfangs Misstrauen in dessen Güte. Anders wurde er in Petersburg aufgenommen. Man fand ihn vortrefflich, und wollte ihn --- doch größtenteils auf Kosten der Stadt --- ausführen lassen. Zu ihrem Besten, hieß es, wird der Bau unternommen, es ist also billig, das sie die Kosten trage. Einwendungen halfen nichts. Riga mußte auf diesen Bau gegen anderthalb Millionen Alberts Thaler verwenden, und am Ende sehen, das diese für eine einzelne Stadt ungeheure Summe ganz verloren war. Ja man behauptet ziemlich allgemein, dass das Fahrwasser seit jenem Bau viel schlechter geworden sei, und das er mittelbar sowohl als unmittelbar beigetragen habe, den Sand in dem Flussbett zu vermehren. Diese Behauptung lässt sich in der Tat mit Gründen unterstützen. Die Hauptabsicht ging dahin, durch Dämme den Fluss so einzuengen, das er bei

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hohen Wasser und besonders bei dem Eisgange, die in der Mündung liegenden hohen Sandbänke durchbrechen, und überhaupt in der Tiefe sich den Raum verschaffen müsse, der ihm in der Weite abgeschnitten sei. Auch hat er eine große Sandbank durchbrochen; in der Tiefe hat er aber so wenig gewühlt, dass das Bett im ganzen immer seichter geworden ist. Dies ist eine unleugbare Tatsache. Die Frage ist daher nur: haben die Dämme wirklich zur Vermehrung des Sandes beigetragen, oder würde er auch ohne dieselben in gleichem Maße gewachsen sein? Leicht zu beantworten ist in der Tat diese Frage nicht. Das der Sand sich von Jahr zu Jahr aufgehäuft haben würde, ist keinem Zweifel unterworfen. Er war zuvor immer gewachsen, warum hätte er einen Stillstand machen sollen? Und lehrt nicht die Geschichte aller Flüsse, welche viel Triebsand führen, das sie nach und nach eine unfahrbare Seichtigkeit nahe beim Ausfluss erhalten haben? Bei der Weichsel ist ein altes und ein neues Fahrwasser, und bald wird das neue wieder ein altes werden.

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Es kommt also nur auf das Maß der Verschlemmung an; und wer kann dies bestimmen? Indessen ist doch eine doppelte Betrachtung einigermaßen geschickt, ein allgemeines Urteil zu bestimmen. Der Zusatz des Sandes um Riga wird hauptsächlich im Frühjahr nach dem Eisgang bemerkt, Auch weiß man, dass zur Zeit desselben das Wasser überall viel Sand führt. Wenn nun solch unreines Wasser geschwind abfließen kann, so wird es natürlich weniger Sand zurücklassen, als wenn es Widerstand findet, und lange Zeit zum Abfluss gebraucht; das aber jene Dämme denselben verzögern, ist unstreitig. Sie haben den Fluss ganz widernatürlich eingeengt und ihn bei der Mündung schmäler gemacht, als sein übriges Bett ist. Hieraus entsteht noch ein Nachteil, der ebenfalls zur Vermehrung des Sandes beitragen kann, ohne den Schaden zu rechnen, der sonst daraus entspringt. Nach einem hartem harten Winter richtet der Eisgang gewöhnlich große Verwüstungen an. Das Eis stemmt sich in der engen Mündung des Flusses, und

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lässt denselben zu einer erstaunenden Höhe anschwellen, so das er Gebäude in Gefahr setzt, die sonst von demselben nicht bedroht gewesen waren. Gewöhnlich werden mehrere Dämme entweder ganz durchrissen, oder doch stark beschädigt, und da die Dämme in ihrer Ausfüllung nur aus Sand bestehen, so vermehren solche Durchbrüche und Beschädigungen die Masse desselben nicht wenig. Doch dem sei, wie ihm wolle, geholfen hat die Eindämmung auf alle Fälle zu nichts. Auch musste man manchen Damm, der mit außerordentlichen Kostenaufgeführt worden war, ganz wieder eingehen lassen --- und die Stadt, die sonst reich gewesen war, verarmte. Das drückende Gefühl, das daher entstand, wurde noch durch manchen Nebenumstand vergrößert. Als der Stadt zugemutet wurde, den Bau auf ihre Kosten betreiben zu lassen, War sie in Verlegenheit, sachverständige Männer zu finden, und bat die Kaiserin, ihr dieselben zukommen zu lassen. Die Bitte wurde gewährt, und ein Ingenieurkorps befehligt, den Wasserbau zu leiten.

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Das nun dasselbe von der Stadt einquartiert und besoldet werden musste, hätte hingehen mögen. Es bereicherte sich aber auf Kosten der Stadt ungerechter Weise, indem es die Sache so einzurichten wußte, das die Anschaffung der nötigen Materialien ihm selbst oder seinen Helfershelfern überlassen werden mussten. Ferner wurde die Stadt angehalten, dem Obersten W... für seine Oberinspektion ausser verschiedenen Stücken Landes von dem Stadtgebiete, und einem ansehnlichen jährlichen Gehalte noch gegen 20.000 Thaler an Douceur nach Vollendung des Baues zu geben. Wie sehr daher dieser Mann von manchem Bürger gehasst wurde, kann man sich leicht vorstellen --- ob aber mit Recht, ist freilich eine andere Frage. So viele theoretische Kenntnisse er hatte, maßte er sich doch nicht an, seinen Plan selbst in Ausführung zu bringen. Er wollte im Gegenteil, dass Männer zu Rate gezogen würden, die durch eigne Erfahrung und durch praktische Übung im Wasserbau mehr als er im Stande wären,

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sein vorgeschlagenes Werk auszuführen. Hätte man seinem Rat gefolgt, so würde es vielleicht ganz unterblieben sein; und bestand man darauf, das er auch ausführen sollte, was er entworfen hatte, so kann ihm das Unglück der Stadt schwerlich mit Recht zur Last gelegt werden. Ich gehe nun zu einer Klage über, die in so fern mit den vorhergehenden in Verbindung steht, als sie auch die Verminderung des Stadtvermögens zum Grunde hat, und sich ebenfalls auf die Schifffahrt bezieht. Unter der polnischen sowohl, als unter der schwedischen Regierung, hatte die Stadt Riga den dritten Teil des Zolls, den die Schiffe und Waren erlegen müssen, zu Bestreitung ihrer großen Ausgaben erhalten. Peter I. hatte so wie andere Privilegien, auch dieses bestätigt, und die Kaiserin Katharina II. dachte ebenfalls nicht daran, dasselbe aufzuheben. Allein die Einrichtung, die sie traf, setzte doch diesen Zweig der Einkünfte für die Stadt zu gewissen Zeiten fast auf die Hälfte herab. Sie wollte nämlich die jährliche

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Berechnung zwischen der Stadt und der Krone aufheben, und der ersten eine fixe verhältnismäßige Summe auszahlen lassen. Zu dem Ende wurde die Mittelsumme von zehn nach einander laufenden Jahren bestimmt. Dabei konnte für Riga eben sowohl Gewinn als Verlust sein, und folglich die Sache selbst keine Unzufriedenheit erregen. Diese musste aber entstehen und immer größer werden, da die Krone die bestimmte Summe nicht in Alberts Thalern sondern in Banknoten, und zwar einen Thaler zu 125 Kopeken gerechnet, aus zahlen ließ. Denn gleich Anfangs verlor die Stadt dadurch etwas Ansehnliches, und endlich gegen 40 %, als nach und nach der Alberts Thaler im Kurs auf 200 Kopeken stieg. Nach dem großen Aufwand für den großen Düna bau, war so schon die Stadt kaum mehr im Stande ihre großen Ausgaben zu bestreiten. Da nun noch überdies ihre Einnahme sich immer mehr verminderte, so geriet ihr Finanzwesen in Verlegenheit. Die Regierung mischte sich in dasselbe, und verlangte Verminderung der Ausgaben auf eine Art,

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die mit der Gerechtigkeit nicht zu bestehen schien. Bei der Einziehung des alten Magistrats waren zugleich die Besoldungen sehr herabgesetzt worden. Dawider ließ sich sogar viel nicht sagen. Die Magistratspersonen sind Kaufleute, die im Handel ihren Unterhalt finden. Bei den Sekretären, Protokollisten u.f.w. ist die Sache freilich anders, und die Verminderung der Einkünfte bei solchen Stellen hat unstreitig Nachteile. Da sie indessen bei der Einführung der Statthalterschaftsregierung meistens mit neuen Subjekten besetzt wurden, so wussten diese was sie zu erwarten hatten, und es fiel wenigstens der Gedanke einer offenbaren Ungerechtigkeit weg. Dieser entstand aber, als auch bei eingeschränkten Besoldungen die Einkünfte der Stadt nicht zureichten, und die Regierung den doppelten Vorschlag tat, das die Stadt Magistratspersonen ganz unentgeltlich dienen, und die Subalternen künftig in Banknoten nicht nach dem Kurse, sondern so wie die Krone dieselben rechnete, bezahlt werden sollten.

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Denn wenn gleich die Obrigkeit alle drei Jahre mit neuen Gliedern besetzt werden kann, so hängt es doch nicht von den Kaufleuten ab, ob sie dienen wollen oder nicht; und zu leugnen ist auf keine Weise, das ihre Geschäfte durch die Verwaltung der übertragenen Ämter oft leiden. Bei den Subalternen war die Ungerechtigkeit noch größer. Auch erklärte sich der Stadthaupt so ausdrücklich dagegen, das er zwar seiner Ausdrücke wegen zur Mäßigung verwiesen wurde, aber doch in der Hauptsache durchdrang. Noch ehe man dies Mittel vorschlug, die Ausgaben der Stadt zu vermindern, hatte man sie auf eine andere Weise wirklich vermindert, die, so angemessen sie der strengen Gerechtigkeit war, doch auch ihre Nachteile hatte. Indem man nämlich das eigentliche Stadtvermögen aufs Reine zu bringen suchte, wurde den milden Stiftungen manches entzogen, was eigentlich nicht dazu gehörte, aber zur Zeit des Wohlstandes dazu geschlagen worden war. Den Ausfall mussten nun die Bürger durch milde Beisteuern ersetzen.

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Alles dieses Ungemach wurde allerdings zu der Zeit am meisten gefühlt,als die Statthalterschaftsregierung eingeführt war, kam aber gar nicht von dieser her, und ward ihr mit Unrecht zur Last gelegt. Denn teils ist der Grund dazu wirklich schon von der neuen Einrichtung gelegt worden, teils hätte er statt gefunden, wenn auch nie etwas in der ehemaligen Regierung geändert worden wäre. Eben so ist es auch mit den mancherlei Beschwerden über das Zollwesen, mit denen ich Sie jetzt bekannt machen will, wenn sie nicht schon damit bekannt sind. Die erste Hauptbeschwerde betrifft allerdings, so wie überall die Größe des Zolls. Ich bin weit entfernt, jede Klage darüber gut zu heißen. Im Gegenteil halte ich diese Art von Angaben, in so fern sie auf Dinge gelegt wird, die nur der Wohlhabende bedarf, für sehr zweckmäßig. Es kann aber bezweifelt werden, dass das Maß der Abgabe sich immer nach der Entbehrlichkeit richte. Wenigstens lässt sich die Behauptung einer solchen Angemessenheit gewiss nicht mit so wenigem rechtfertigen,

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als Herr Hupel tun zu können glaubt.*) Nicht einzelne Artikel müssen ausgehoben, sondern alle genau , und zwar in Beziehung auf Russland betrachtet werden. Und dann möchten sich manche finden, die nach der Lage der Dinge zu hoch impostiert sind, und andere, die gar nichts bezahlen, ob sie gleich viel bezahlen sollten. Alles was man dabei zur Entschuldigung anführen kann, besteht in der Schwierigkeit, den Zoll so einzurichten, dass er, wenigstens im ganzen, nach Verhältnis des Vermögens oder doch des Luxus bezahlt wird. Wenn endlich diese Angemessenheit noch einigermaßen statt findet, so ist doch zu bedenken, das die Versuchung zum Betrug in Verhältnis der Höhe des Zolls steigt, und Maßregeln notwendig macht, welche nicht nur allgemein drückend, sondern gerade für denjenigen am drückensten sind, welcher mit der meisten Schonung behandelt zu werden verdient. Die daher entstehenden Plackereien erregen in Russland das meiste Missvergnügen.

*)S. Versuch d. Sr. v. R.D.Th.II. S. 543

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Sie sind auch in der Tat, auf den Grenzen größer als in andern Ländern, und gerade da am größten, wo man sonst am wenigsten davon wußte --- in Riga. Es muss der Regel nach nicht nur jeder Koffer auf das Zollhaus geschafft und Stück für Stück ausgepackt, sondern bei zu verzollenden Sachen noch vor dem Auspacken bestimmt angegeben werden, worin sie bestehen. Findet man ein Stück mehr, oder ein anderes, als angegeben ist, so wird es konfisziert. Ein Versehen des Kommissionärs im Ausland, oder ein Gedächtnisfehler kann sonach teuer zu stehen kommen. Ferner wird, wie ich schon angeführt habe, bei vielen Sachen der Zoll nach dem angegebenen Preise bestimmt, und finden die Zollbedienten denselben zu niedrig, so haben sie das Recht, die Waren mit einer Vergütung von zwanzig Prozent für sich zu behalten. Dies ist für den Kaufmann der lästigste Punkt unter allen. Er setzt ihn in eine Abhängigkeit von den Zollbeamten, die man nirgends eben so groß findet.

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Bei stark belegten Waren kann man als ausgemacht annehmen, dass die wenigsten Kaufleute den Willen haben, den wahren Preis anzugeben, und die übrigen rechtschaffenen, welche ihn gern angeben, müssen entweder auf solche Artikel ganz Verzicht tun, oder dem Beispiel der andern folgen. Es ist überdies, wie ich im folgenden besonders anführen werde, die Berechnung des Zolls von der Art, das es unausgemacht bleibt, ob man unredlich handelt, wenn man nicht den wahren Preis angibt. Tut man aber dies, so ist man in der Gewalt der Zollbeamten, und kann ohne Begünstigung von ihrer Seite nicht fortkommen. Daher nehmen sie ein oft empörendes Betragen an, und leben bei sehr eingeschränkten Einkünften von Rechts wegen, auf einem Fusse, der einen großen Zuschuss von Unrechts wegen voraussetzt. Auch läßt sich denselben schwerlich Einhalt tun. Denn man kann nicht sagen, dass eigentlich Bestechungen vorgehen. Wenn sie zu gewissen Zeiten wirklich Geld empfangen, so geschieht dies immer nur, weil sie sich bemühen, die Vilitirung der Waren zu beschleunigen;

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und wenn sie Waren auf Rechnung nehmen, ohne zu bezahlen, wie können sie der Bestechung beschuldigt werden?
So drückend das letzte oft für den Kaufmann ist, so muss er doch gewöhnlich schweigen. Alles was er tun kann, ist, das er Waren, die zu viel Liebhaber unter den Zollbeamten finden, gar nicht mehr verschreibt. So machte es einer, der von einem Transport französischer Konfituren nur den vierten Teil aus dem Zollhause zurück erhielt; und so wagte es mancher nicht, Austern kommen zu lassen, weil sie da allgemeines Gut zu werden scheinen. Die Gewohnheit Waren zu nehmen, ohne sie zu bezahlen, ist so stark, das mancher Zollbeamte jedes Entgegenstreben als ein Läsion ansieht, die er zu vergelten suchen muss. Er ist bitter und böse, dass man Zahlung verlangt, und verweigert, wenn er kein anderes Mittel der Rache hat, sein Amt zu rechter Zeit zu verwalten. Diesem Mittel kann auch nur in seltenen Fällen entgegen gearbeitet werden. Wer kann immer wissen,

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ob nicht die Geschäfte überhäuft sind, und einen Aufschub von einem oder mehreren Tagen in der Abfertigung notwendig machen? Überhaupt, so streng über Ordnung gehalten werden soll, so schlecht wird sie doch beobachtet.
Diese Plackereien, verbunden mir der Höhe des Zolls, geben vorzüglich in Liefland Veranlassung zu starken Klagen. Weder die einen noch die andern kannte man ehedem da. Der Zoll war niedrig, die Versuchung zum Betrug daher geringer, und eben deswegen der Beamte willfähriger und bescheidener, als jetzt. Überdies ist Riga unter allen Städten in Rücksicht auf den Zoll, die geplagteste. Denn erstlich muss sie allein denselben in klingender Münze bezahlen; und zweitens hat sie einen Teil ihres Handels durch den hohen Zoll verloren. Wie das Erste drückend, und das Zweite entstanden sei, muss ich besonders auseinander setzen, weil hierüber manche Irrtümer selbst in guten Schriften herrschen.

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Die Stadt Riga muss den Zoll in Alberts Thalern erlegen; aber, sagt Herr Hupel, dies Geld ist auch das gewöhnliche dort. Da sollte man nun glauben, es wäre nichts natürlicher, als die Abgaben in der gangbaren Münze zu entrichten. Allein abgerechnet, dass in der Tat, jetzt wenigstens, ebenso viel Papiergeld, als klingende Münze in Riga ist, so darf man das ganze Verfahren bei Berechnung des Zolls, nur in seinem wahren Lichte zeigen, um ein ganz anderes Urteil zu veranlassen. Die Angabe der Waren nämlich, muss in Rubeln geschehen, der Zoll wird dann auch nach Rubeln bestimmt, und erst nach dieser Bestimmung der Wert von 125 Kopeken einem Alberts Thaler gleich gerechnet.*)

*) Einem Gerüchte zu Folge soll nach dem neuen Zolltarif unter der jetzigen Regierung, der Thaler zu 140 Kopeken gerechnet werden. Das ist unstreitig eine Erleichterung. Daher ich gar nicht begreife, warum diese Bestimmung in einem Briefe aus Mietau (S. den deutschen Merkur, 98 St. III S. 342) mit Gegenständen zusammengestellt ist, die auf das Gegenteil von Erleichterung schließen lassen.


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Da nun, wie ich oft gesagt habe, der Wert eines Thalers bis zu zwei Rubeln gestiegen ist, so soll der rigaische Kaufmann unstreitig drei Achtel mehr als der Kaufmann an andern Orten bezahlen. Diese Berechnung ist es, von der ich oben sagte, das sie die Unredlichkeit bei der falschen Angabe des Warenpreises zweifelhaft macht. Wenn die Krone einen Alberts Thaler nur zu 125 Kopeken rechnet, ist man nicht versucht zu glauben, das sie sich von den Kaufleuten bei einem und eben demselben Geschäft eine gleiche Berechnung gefallen lassen werde? Gleichwohl haben die Zollbeamten das Recht, die Waren nach dem fingiertem Wert eines Albert Thalers in Banknoten zu bezahlen; und dann sind die 20 Prozent, welche zum angegebenen Preise geschlagen werden, bei weitem nicht hinlänglich, das Defizit des wahren zu decken. Überdies nimmt das Zollamt nur neue Thaler, und diese sind oft sehr schwer zu erhalten. Daher die Kaufmannschaft vor kurzem bat, das Zollamt möchte wenigstens angewiesen werden, Banknoten als Pfand anzunehmen.

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Der Generalgouverneur, Fürst Repnin, willigte ein, und bestimmte 250 Rubel in Banknoten als Pfand für 100 Thaler. Dabei war wirklich der Cameralhof gar nicht gefährdet. Dessen ungeachtet wollte er von einem solchen Pfade nichts wissen, und verlangte, das die Sache an den Senat berichtet werde. Ob der Bericht abgegangen sei, weiß ich nicht; doch zweifle ich daran. Bei dem so bestimmten Werte der Albert Thaler konnte der Kaufmannschaft wenig an der gesuchten Befugnis gelegen sein. Vielleicht hätte sie wenigstens einige Erleichterung erhalten, wenn sie nur gebeten hätte, statt der neuen Thaler alte erlegen zu dürfen. Man begreift in der Tat gar nicht, warum die Krone keine alten annehmen sollte, da am Ende die Berechnung des Zolls nach Pfunden gemacht wird,und selbst die Neuheit der Thaler nichts helfen würde, wenn nicht ihrer vierzehn ein Pfund wögen. Kommt es aufs Gewicht an, warum sollte dies denn nicht auch durch alte Thaler zu erhalten sein? --- Nicht die Krone, sondern nur das Personale des Zollamts

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würde bei einer Änderung verlieren. Denn vierzehn neue Thaler wiegen etwas mehr als ein Pfund, und dieser Überschuss, der im ganzen etwas Ansehnliches ausmacht, ist ein Gewinn für die Zollbeamten. Wenn man die Klagen über hohen Zoll zunichte machen will, so stellt man sie immer so vor, als kämen sie hauptsächlich von der Gewinnsucht der Krämer; und will man sagen, das um ihretwillen das ganze nicht nachgesetzt werden könne, so hat man wohl nicht Unrecht. Aber die Vorspiegelung, als ob nur die Kaufleute unzufrieden wären, hat meistenteils gar wenig Grund. Sie schlagen die Abgaben auf die Ware; und setzen sie um des hohen Preises willen weniger als sonst ab, so ist doch wohl offenbar, das der Verlust für das ganze Publikum sehr oft noch größer ist, als für die Kaufleute. Nur unter gewissen Umständen leiden diese vorzüglich, und solche Umstände fanden gerade für Riga statt. Als der Zoll niedrig war, nahmen die Polen, welche ihre Produkte über Riga ausschiffen ließen, gewöhnlich für einen großen Teil

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ihrer zu ziehenden Summen Waren zurück. Es war dies bequem und nicht nachteilig für sie. Als sie aber nach Erhöhung des Zolls die Waren im Durchschnitt um ein Viertel teurer bezahlen musssten, als in Mietau, so war es natürlich, das sie dieser Stadt den Vorzug gaben. Um demselben zuvor zu kommen, war zwar festgesetzt, das für die in fremde Länder gehenden Waren der Zoll wieder vergütet werden sollte. Allein erstlich fand diese Vergütung nur bei einer gewissen Summe statt, und zweitens war sie mit so viel Umständlichkeit verbunden, das man sie größtenteils lieber ganz aufgab. So verlor Riga einen ansehnlichen Teil des Handels; und dieser Verlust traf nicht bloß die Kaufleute, sondern zugleich das Land. Er wurde dadurch noch ansehnlicher, dass man aus Mietau eine sehr große Menge Waren nach Riga und nach Liefland überhaupt brachte, wobei auch der Zoll unmittelbare Beeinträchtigungen litt. Um solchen Unterschleif zu verhüten, hat man zwar sehr strenge Maßregeln genommen, und nicht nur viele Zollreiter angestellt,

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sondern auch viele Wege schlechterdings verboten. Dem Unterschleife wird aber dadurch wenig Einhalt getan, und es entsteht aus den Maßregeln doch sehr viel Nachteiliges. So steht drei Meilen von Riga ein ganzer Wald unbenutzt, weil der kurze Weg aus dem nächsten Gute dahin ganz verboten, und der erlaubte wenigstens viermal länger ist. Doch dies im Vorbeigehen. Ich komme auf den Hauptgegenstand zurück. Die Plackereien beim Zollwesen, und der Verlust des Handels sind die Hauptgegenstände des Missvergnügen bei diesem Teile der russischen Regierung; es haben sich aber dazu noch manche besondere Unannehmlichkeiten gesellt, woran die Krone zum Teil ganz unschuldig ist. Ich will nur eine anführen, die mir charakteristisch scheint. Als das Zollwesen auf einen neuen Fuss gebracht werden sollte, setzte die Monarchin eine besondere Kommission nieder, wozu auch die Kaufmannschaft in Riga gezogen wurde. Nach manchen Debatten zwischen dieser und den Kronskommissarien kam der Entwurf zu Stande,

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und wurde der Kaiserin vorgelegt. Diese nahm ihn, ihrer Versicherung nach, ganz so an, wie er ihr war vorgelegt worden, gleichwohl waren in der deshalb ausgefertigten Verordnung eine Menge Punkte, zu welchen die Kaufmannschaft gar nicht gestimmt hatte. Wie konnte sie also anders denken, als dass das Haupt der Kronskommission, durch welches die ganze Sache betrieben worden war, diese Punkte eigenmächtig eingeschoben, und die Kaiserin hintergangen habe? Unter dieser Voraussetzung fasten einige 100 Kaufleute den Entschluss, an die Kaiserin ein Supplik gelangen zu lassen, das von ihnen allen unterschrieben war. Dieser Schritt wurde aber sehr übel aufgenommen. Die Kaiserin schickte das Supplik an den Generalgouverneur mit dem Befehl, der Kaufmannschaft nachdrücklich zu verweisen, das so ohne seine Zustimmung eine Vorstellung gegen eine Senats Ukase eingereicht habe. Und dieser gab auch den nachdrücklichen Verweis auf eine nachdrückliche Art.

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Er ließ die Vornehmsten Kaufleute zu sich bescheiden, machte es ihnen zum Vorwurf, dass sie in Verbindung mit Apothekern (so heißen in Riga bisweilen auch die kleinen Krämer) sich den Kronsbefehlen widersetzten, zerriss darauf ihr Supplik, und warf ihnen die Stücke vor die Füsse.*) In der Tat hatten die Kaufleute bei ihren Maßregeln ein Gesetz übertreten, über das Strenge gehalten wird, wie Sie aus meinen vorigen Briefe wissen. Zu entschuldigen waren sie aber freilich.

*) Diesen Vorfall erzählte auch Herr Snell in seiner Beschreibung der russischen Provinzen an der Ostsee (S. 29) mit vielen anderen und schwer zu beweisenden Äußerungen über den Gouverneur, der jene Bittschrift zerriss, ohne seinen Namen zu nennen; und nach einen anderen Orte, wo er ihn nennt, sollte man glauben, er habe eine uneingeschränkte Achtung für ihn. Wie verträgt sich ein solcher Widerspruch mit der Wahrheit, die, nach der Vorrede, seinen Nachrichten im höchsten Grade eigen sein sollen. Übrigens ist jeder Vorfall selbst, nach dem, was ich davon gehört habe, nicht ganz richtig von ihm erzählt.

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Die Vermittlung des Generalgouverneur konnten sie nicht nachsuchen. Sie setzt die Zustimmung desselben voraus, und zu dieser hatte man keine Hoffnung. Er war der große Gönner des Mannes, gegen welchen hauptsächlich das Supplik gerichtet wurde, den Etat Rat D. * Die Sache blieb also wie sie war, und vermehrte den Hass, den man so schon auf diesen geworfen hatte, und der bis an seinen Tod währte. Ihm wurde hauptsächlich die Schuld beigelegt, das Riga um seine Zollfreiheit gekommen, und mit ganz Russland auf gleichen Fuss gesetzt worden war. In Rücksicht dieses Schritts ist er allerdings zu entschuldigen. Denn wenn er auch seine Privatleidenschaften dabei mit wirken ließ, wie man ihm vorwirft, so hat er doch zugleich für das Beste des Ganzen gesorgt. Mit der Gleichmachung des Zolls wurde zugleich derjenige aufgehoben, welcher zuvor auch von den inländischen Produkten bezahlt werden musste, wenn sie in Provinzen versandt wurden, die einen ungleichen Tarif hatten; und zugleich fiel auch für die ausländischen Waren

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aller Nachschuss von einer Provinz zur andern weg. Die daher entstandene ungehinderte Kommunikation im ganzen russischen Reiche hat nicht nur großen Vorteil für den Handel, sondern auch für die Moralität, wenn es erlaubt ist, diese bei der Politik in Anschlag zu bringen. Auch würden die verständigeren Bürger von Riga, wenigstens mit der Zeit, ihren eigenen Verlust, den sie um des allgemeinen besten Willen erlitten, verschmerzt, und den Hass gegen den Urheber desselben aufgegeben haben, wenn jener in die Grenzen der Notwendigkeit eingeschlossen geblieben, und dieser nicht aus dem Gedanken an Hinterlist entsprungen wäre. Überdies fehlte es nicht an Gelegenheiten zur Erneuerung des Hasses. Der Herr Etats Rat führte sie selbst herbei. Er bot z. B. der Stadt sein Haus um einen Preis an, der wenigstens fünf bis sechs tausend Thaler zu hoch war, und sie kaufte es, ob sie es gleich gar nicht brauchte, bloß um ihn nicht zu erbittern. Noch kurz vor seinem Tode tat er einen Schritt, der an seinen Charakter stark erinnerte,

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wenn gleich die Stadtselbst gleich dabei die Stadt litt. Diese hatte nämlich von alten Zeiten her der Garnison in Riga einen großen Heuschlag von ihrem Gebiete überlassen --- und er bat die Monarchin, sie möchte, da die Garnison des Heus nicht bedürfe, der Stadt befehlen, ihm den Heuschlag auf Lebenszeit zu überlassen. Dabei muss man wissen, dass er ein Mann ohne Kinder war, und mehr hatte, als er brauchte, die Garnison Offiziere hingegen oft kaum bedürftigen Lebensunterhalt haben, und einen jährlichen Verlust von einigen Thalern schmerzlich fühlen. Die Sache war eben zu Stande gebracht, als er in Riga starb. Der Hass nach seinem Tode zeigt sich auf mancherlei Weise --- und der Prediger, der seine Leichenrede hielt, wählte, den Gesinnungen des Publikums gemäß, zum Texte die Worte: Niemand kann zwei Herren dienen u.s.w. . Dieser Text war sehr passend; auch gab er zu manchen Betrachtungen Anlass, welche den Hauptpunkt der Anklage in ein günstigeres Licht setzen, als er zuvor erschienen war. Wer sich aber zur

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allgemeinen Verteidigung jenes Mannes verstehen wollte, der müsste auch die besondern Klagepunkte anhören, und dann einen schweren Stand haben. Sonderbar war's, das selbst der Generalgouverneur den Mann, auf den er im Leben so viel gehalten zu haben schien, nach dem Tode verließ. Als sich die Verwandten desselben über die mancherlei Verunglimpfungen beschwerten, die ihm sogar von den Straßenjungen widerfuhren; so erhielten sie zur Antwort bloß den beruhigten Vorwurf, warum sie auch so viel Umstände mit dem Verstorbenen machten, und nicht eilten, ihn unter die Erde zu bringen? Von den Ursachen des Missvergnügen über die russische Regierung überhaupt, sollte ich nun zu denjenigen übergehen, welche die Statthalterschaftsregierung insbesondere treffen. Allein es ist Zeit, das ich diesen Brief schließe; in den nächsten hole ich nach, was diesen zu lang machen würde.

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