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Einführung: Lebenlauf / Literarische Erzeugnisse

Erste Sammlung: Brief I. / Brief II. / Brief III / Brief IV / Brief V / Brief VI / Brief VII / Brief VIII

Zweite Sammlung: Brief IX / Brief X / Brief XI / Brief XII / Brief XIII

Dritte Sammlung: Brief XIV / Brief XV / Brief XVI/Biographie

Ambrosius Bethmann Bernhardi (1756- 18o1)

Die literarischen Erzeugnisse von A.B. Bernhardi

Züge zu einem Gemälde des Russischen Reichs unter Catharina II.
gesammelt bey einem vieljährigen Aufenthalte in demselben. In vertrauten Briefen 1799.

Dritte und letzte Sammlung

Freyberg, 1807 bei Craz und Gerlach nebst einer Biographie des Verfassers.

Brief XIV - XVI

--XIV.--
Prüfung einiger Urteile über den Landtagsschluss der Liefländischen Ritterschaft von 1797 zur Verbesserung der Letten.
Gegen Herrn Merkel und den Aussatz in den Europäischen Annalen 1798, 3. St.. Erste Rüge, das die Menschen ohne Land verkauft würden. Zweite Rüge, dass das Vermögen der Bauern und Knechte in ein eisernes Inventarium verwandelt werde. Dritte Rüge, das der Bauer den ganzen Wert seines Landes in gewöhnlichen Abgaben und Frondienste abtragen und doch noch extraordinäre Leistungen verrichten soll. Vierte Rüge ist die Hauszucht, Beispiel mit einem Hausknecht in Riga. Beispiel des Hasses der Letten gegen ihre Erbherren. S. 1 - 29

--XV.--
Über den Hang der Russen zum Trunke. Gegen die Zeichnungen eines Gemäldes von Russland und gegen Meiners Vergleich des älteren und neueren Russland. S. 30 - 56

--XVI.--
Leben, Charakter und Schriften des Buchhändler Bernhardi, als Verfasser vorstehender Rubriken, von seinem Freund Herrn M. Frisch zu Freyberg. Seine Achtung. Seine Eltern. Sein erster Hauslehrer. Will in Leipzig Theologie studieren. Warum er die Jurisprudenz wählte? Geht als Hauslehrer nach Lyon. Sein Studium der Mathematik daselbst und Briefwechsel mit Necker. Durchreist das südliche Frankreich. Wird Führer des Grafen Mengden zu Wildenfels; dann zu Riga der Söhne der Generalin von Naumhof, mit denen er eine Reise durch Russland macht. Findet Beruhigung in der Kantischen Philosophie; untergräbt aber durch das häufige Nacht studieren seine Gesundheit. Seine Belohnung von seinen Zöglingen. Rückkehr nach Freyberg. Schreibt über die Kantische Philosophie und über Russland. Wird Associe` der crazischen Buchhandlung endlich alleiniger Besitzer derselben. Seine Schlaflosigkeit und seine Verhärtung am Halse wurde größer. Dieses stellt er seiner künftigen Braut vor; welche sich aber dadurch nicht abhalten lässt nach Sachsen zu kommen. Seine eheliche Verbindung. Fürchterliche Operation des D. Weißens aus Dresden, welche er standhaft überstanden. Seine anscheinende Besserung. Sein Tod. Sein moralischer Charakter. Sein äußerlicher Umgang. Seine geistigen Kräfte. S. 57 - 91
Nachschrift des Verlegers. S. 92

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Brief XIV.

Prüfung einiger Urteile über den Landtagsschluss der liefländischen Ritterschaft von 1797 zur Verbesserung des Zustandes der Letten.

Diesen Landtagsschluss hat Herr Merkel in dem Supplement zu den Letten mit Anmerkungen begleitete, die zum Teil darauf führen, das man in dem Titel statt Verbesserung, Verschlimmerung setzen sollte; und der Verfasser eines Aussatzes in den Europäischen Annalen (1798 3. St.) fasse nicht nur diesen Gesichtspunkt ganz allein, sondern verfolgt ihn auch mit einer schneidenden Schärfe. Er sagt: "Im fernen Norden steigt der Barbarei ein neuer Tempel empor.

--2-- Dort tut am Ende des achtzehnten Jahrhunderts die Verfassung eines weiten Landes den fürchterlichsten Sprung in die Gräuel der Vorzeit zurück. Durch einen Machtspruch vernichten die Gewalthaber desselben die Verbesserungen zweier Jahrhunderte, und rufen Verhältnisse wieder ins Dasein, über deren Zerstörung die Menschheit vergeblich jubelte... .
Paul (Zar 1796-1801) gab dem Adel seine alten Privilegien zurück, und als wenn die Gräber seiner Herrmeister Vorfahren sich aufgetan, als wenn die blutigen Geister jener Unmenschen sofort den guten Genius dieses Standes wieder hinweggescheucht hätten, schuf der Adel eine Bauern- Konstitution die.... . Dann werden die härtesten Punkte aus dieser Konstitution angeführt, und der Beschuss mit dem Ausrufe gemacht: Nein! den Gebrauch der erneuerten Privilegien beabsichtigte Paul der Gerechte nicht!

--3-- Gleichwohl befinden sich unter den angeführten Punkten einige, die unstreitig wahre Verbesserungen sind; andere sind so zusammengesetzt, das der scheinbaren Verschlimmerung auf der einen Seite, von der Verbesserung auf der anderen wenigstens das Gleichgewicht gehalten wird, und schwerlich ist ein einziger, wirklich in dem Landtagsschluss enthaltener, von der Art, das er vermuten ließ: Paul I. habe keinen solchen Gebrauch der erneuerten Privilegien gestatten wollen --- wenn es erlaubt ist, von dem Geiste der allgemeinen Verfassung auf die Zustimmung des Regenten zur besonderen zu schließen. Ob diese Behauptungen gegründet seien, mögen folgende Erörterungen entscheiden.
Zuerst wird gerügt, das die Menschen einzeln ohne Land verkauft werden dürfen.--- Der Menschen Verkauf ist auch in meinen Augen abscheulich, und die Rüge dagegen an sich begründet; in so fern sie aber die vorhergehenden Deklamationen unterstützen soll, ganz unstatthaft. Das Gesetz, worauf sie sich bezieht, schränkt doch einigermaßen jenen Verkauf ein, und mehr, als Katharina II. ihn einschränkte.

--4-- Sie wollte nur, das kein Verkauf zu Rekruten innerhalb 3 Monaten vor der Rekrutierung statt finden sollte; und die neue Konstitution verbietet solche Veräußerung der Leibeigenen überhaupt, bloß mit Ausnahme der schlecht Gesinnten.
Selbst diese können nicht eher an jedermann verkauft werden, als bis sie, andere Formalitäten ungerechnet, von 6 freigewählten Wirten desjenigen Gebietes, zu dem sie gehören, als schlechte Menschen anerkannt sind. Nun deuten zwar der Verfasser jenes Aussatzes und Herr Merkel dahin, das die 6 Leibeigenen, den siebenten wohl stets für einen Taugenichts erklären müssten; diese Bemerkung trifft aber nicht das Gesetz an sich, sondern ein anderes, wovon ich nachher sprechen werde. Bei jenem sollte man glauben, wäre es sehr gut, das gerade nur solche Zeugen als gültig angenommen werden, die das größte Interesse haben, einen solchem Verkauf so viel nur immer möglich ist, zu wehren.

--5-- Überdies sind selbst die Formalitäten doch eine Art von Zaum. Dieser fehlte für die liefländischen Erbherren zuvor ganz, so wie er noch jetzt für die russischen fehlt. Ich habe einen sehr guten Menschen gekannt, der nicht bloß metaphorisch, wie in Islands Spieler geschieht, sondern im eigentlichen Sinne auf eine Karte gesetzt worden war. Schwerlich wird eine solche Veräußerung bei den nun für Liefland bestimmten Formalitäten statt finden können.
Es wird zweitens gerügt, dass das bewegliche Eigentum des Bauern, und sogar das Vermögen der Knechte in ein eisernes Inventar des Gutes verwandelt werde, welches ein Bauer bewirtschaftet, und ihm, wie bekannt, zu jeder Zeit genommen werden könne. Hier wird der eigentliche Gesichtspunkt des Gesetzes, auf das sich die Rüge bezieht, ganz verrückt. Es heißt darin, das der Bauer künftig berechtigt sein soll, sein ganzes bewegliches Vermögen zu vererben, und zu veräußern, ohne nötig zu haben, ferner, wie es bisher geschehen musste,

--6-- dem Herrn zuvor die feilen Sachen anzubieten, nur mit Ausnahme des eisernen Inventars, das zu dem Bauerngut gerechnet wird. Man sagt zwar Herr Merkel, das bestimmte Inventar übersteige alles mögliche Vermögen von neunzehn Teilen der Bauern, und es sei ihnen deswegen alles Eigentum, die Kleider ausgenommen, entrissen. Aber schwerlich ist diese Anmerkung ganz gegründet. Ich will nicht anführen, das ich bei den Bauern manche Herde von 9 bis 10 Stück Hornvieh sah, ohne die Kälber; diese Herden können zu den Ausnahmen gehören. Was aber allgemeiner gilt, ist, das der Bauer auch Schafe und Schweine hält, die nicht zu dem eisernen Inventar gerechnet werden; und das er Roggen, Hanf, Flachs, Butter und andere Dinge verkauft, bei denen das Näherrecht (Vorkaufsrecht) des Herrn sehr lästig sein kann, und letzt aufgehoben ist.

--7-- Dass bei der Aufhebung dieses Rechts ein eisernes Inventar überhaupt bestimmt worden sei, ist zu natürlich, als das man dawider das geringste mit Grund anführen könne; ist es aber zu hoch gerechnet, so kommt es darauf an, ob ein solches Übermaß eben so lästig sei, als das angeführte Näherrecht. Dies kann man mit Recht bezweifeln, da der Niessbrauch des eisernen Inventar dem Bauer so lange verbleibt, als er das Gütchen bewirtschaftet. Wird es ihm aber genommen, so sind für die gewöhnlichen Aussetzungen in eben diesem Landtagsschluss Bedingungen gemacht, die zuvor gar nicht statt fanden, und Herr Merkel selbst des Dankes wert erklärt, wenn er sie gleich nicht fürhinlänglich hält. Auch ich halte sie nicht für hinlänglich; aber es kommt hier hauptsächlich darauf an, ob dieser Landtagsschluss den Zustand der Bauern verschlimmere. Diese Verschlimmerung wird bei dem vorliegenden Punkte auch mit daher geleitet, dass das Vermögen der Knechte zum eisernen Inventar gerechnet wird. Sonderbare Auslegung!

-- 8 -- Nach dem ganzen Zusammenhang heißt diese Einverleibung weiter nichts, als das der Bauernwirt nicht veräußern darf, was seinem Knecht gehört, oder gar, das, wenn der Knecht etwas von dem besitzt, was zur guten Bewirtschaftung eines Gutes notwendig ist, dieses nicht von dem Wirt gehalten zu werden braucht. Auch ist keine Spur vorhanden, das um dieser Ansicht willen, der Knecht das Seinige verlöre.
Die dritte Rüge besteht darin, das 1) der Bauer den ganzen Wert seines Landes in gewöhnlichen Abgaben und Frondienst abtragen, und doch noch 2) als extraordinäre Leistungen viele Dienste verrichten, oder auch Abgaben tragen soll. An sich scheint das Gesetz sehr hart, es muss aber doch wenigstens in Beziehung auf die Vergangenheit betrachtet werden. Der erste Punkt lässt nur in so fern mit Grund tadeln, als der Wert des Landes zu hoch, oder die Dienste zu niedrig angeschlagen worden; und dies letzte gibt Herrn Merkel allerdings zu verstehen.

-- 9-- Ob er darin Recht oder Unrecht habe, lasse ich dahin gestellt, da es nicht so leicht auszumachen ist, und führe nur an, das unter den vielen Klagen, die ich in Liefland über Bedrückung der Bauern gehört habe, doch keine einzige je die auf schwedische Gesetze gegründete, und auch in dem Landtagsschluss angenommene Berechnung der bestimmten Abgaben traf. Sie bezogen sich darauf, das diese Berechnung in den Wackenbüchern falsch angegeben wäre, das die extraordinären Dienste alles Mass überschritten, und das die Wackenbücher nicht beobachtet wurden. In Beziehung auf den ersten Punkt ist nun eine Revision der Wackenbücher beschlossen; in Beziehung auf den zweiten ist das, was vorher ganz willkürlich war, doch einigermaßen bestimmt, und den ungerechten Zumutungen, die sonst satt fanden, einiges Mass und Ziel gesetzt. Erscheint die Last der Fron fuhren immer noch groß, so muss man bedenken, das zuvor die Herren nicht nur die unmittelbaren Produkte des Feldes, sondern auch Branntwein, Ziegel, Kalk u.s.w. in ungemessener Menge von den Bauern ohne alle Vergütungen verführen ließen,

--10-- und das mancher von diesen, wenn er des Sonntags aus der Stadt kam, schon für den Montag zu einer neuen Fuhre bestellt wurde. Ferner die außerordentlichen Handdienste bei dem Branntwein brennen, welche auf manchen Gütern allein hinreichend gewesen wären, die Bauern zu ruinieren, sind nun auf eine Weise bestimmt, die dem Maximum der ehemaligen Forderungen auf keine Weise an die Seite gesetzt werden können. Aber wer hält über die Beobachtung der Gesetze? Es gibt keine kaiserlichen Richterstühle, (folglich) keine Gesetze mehr für die Bauern in Liefland, heißt es in jenem Aufsatz, denn das allendliche Appellationsgericht in Sachen der Bauern ist der Adels-Konvent. Und Merkel sagt in dieser Rücksicht: "Eingestürzt ist der Damm, den Gustav Adolph der adligen Willkür setze, und unter den russischen Regenten vorzüglich Katharina II. durch häufige Verordnungen befestigte; vernichtet ist das Werk der mühsamsten Bestrebungen so vieler großen Regenten, und der Strom der alten Barbarei droht wieder hereinzubrechen." *)

--11-- Diese Stelle lässt sich schwerlich mit anderen vereinigen, die man in den Letten findet. Der Verfasser sagt da ausdrücklich, dass die im Jahre 1765 dem Bauer erneuerte Erlaubnis, über seinen Herrn zu klagen, und die Ansetzung neuer Gerichte bei der Einrichtung der Statthalterschaften unwirksam geblieben sind,**) und nun soll eine Modifikation der Richterstühle, die zum Besten der Bauern errichtet sind, auf einmal alles Gute wieder vernichten, was vorher gehende Verordnungen bewirkt hatten? Nimmt man alles an, wie Herr Merkel, so steht zum wenigsten ein Null gegen das andere.

*) Supplement zu den Letten, S. 109 und 110. **) S. 183 und 192.

--12-- Doch wir müssen den Verlust, den die Letten in Beziehung auf den vorliegenden Punkt erlitten haben soll, etwas näher betrachten. Wer waren denn die Glieder der vormaligen kaiserlichen Gerichte, die dem Bauer zu seinem Rechte verhelfen sollten? Waren es ihres Gleichen? oder parteilose Rechtsgelehrte? Nein! es waren ebenfalls liefländische Edelleute, Gutsbesitzer, und der ganze Unterschied zwischen den neueren Gerichten und den ehemaligen besteht darin, das diese letzten anders gewählt, und von der Provinzialregierung entweder bestätigt oder vorgeschlagen werden mussten. Aber eben diese Teilnahme war vielleicht notwendig um ganz Unwürdige auszuschließen. --- Nach meinen Erfahrungen nicht.--- Im Gegenteil hörte ich in Riga von redlichen Männern darüber klagen, das gerade in den Fällen, wo die Regierung bei der Besetzung einer Stelle kräftig mitwirken konnte, nämlich in der Zeit zwischen den Hauptwahlen verwerfliche Subjekte in Vorschlag kämen. *)

*) In der Zeit zwischen den ehemaligen dreijährigen Hauptwahlen sollten die vakanten Stellen von den Gerichten selbst besetzt werden. Da nun die Glieder derselben nicht zahlreich waren, so ließ sich von Seiten der Regierung immer mehr auf sie wirken, als auf den ganzen Adel bei den Hauptwahlen. Bei Besetzung der Magistratspersonen von Riga war eine gleiche Einrichtung, und der einzige Mann, auf den bei einer neuen Wahl wider reinen Willen gar nicht Rücksicht genommen, und der nach einem fast einstimmigen Urteil mit Recht ausgeschlossen wurde --- der Bürgermeister B. --- war ein von dem Gouverneur befördertes Glied.

--13-- Auch lässt sich bei genauer Überlegung gar nicht einsehen, wie die Regierung einer russischen Provinz gerade einen besseren Geist haben sollte, als die gesamte Ritterschaft. Sie besteht ja ebenfalls aus Edelleuten. Sind diese Liefländer, so fällt Ausnahme von selbst weg --- man müsste dann annehmen, das der Geist sich in dem Maße veredle, in welchem der Rang und die Macht steige; sind es aber Russen, so fragt sich, ob die herrschende Denkungsart von diesen jene Voraussetzung begründe?

--14-- Dafür streitet freilich Herr Merkels Bemerkung, das die Krone nie nötig gefunden habe, Mittlerin zwischen den russischen Erbherrn und ihren Leibeigenen zu werden; das sie es aber nötig hätte finden sollen, erhellt wohl schon aus dem oben angeführten uneingeschränkten Menschenverkauf. Andere Tatsachen, so wie die Gründe, warum die Letten im Ganzen schlechter stehen, als die Leibeigenen Russen, verspare ich auf einen anderen Ort und berufe mich hier nur noch auf den Geist der russischen Verfassung in Beziehung auf die Leibeigenschaft. Es existiert kein Gesetz, das die Willkür der Herren in Russland beschränke --- es existiert im Gegenteil eins in der Moschenie, welches den russischen Leibeigenen bei Strafe verbietet, über seinen Herrn zu klagen, oder nur gegen ihn zu zeugen; und lässt sich bei einer solchen Verfassung;

--15-- die einem Teil nur Rechte gewährt und einem anderen nur Pflichten auferlegt, von der menschlichen Natur erwarten, dass, ich will nicht sagen nie --- sondern nicht häufig Bedrückungen gegen den dienenden Teil statt finden sollten? Ja eben das, was Hr. Merkel zum Lobe des russischen Adels angeführt, kann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gegen denselben gewandt werden. Ist es nicht ein schlimmes Kennzeichen, das bei den Gesinnungen, welche Katharina II. in ihrer Instruktion für die Gesetzkommission zum Besten der Bauern äußerte,*) bei der Preisfrage, welche die ökonomische Sozietät in Petersburg über die Aufhebung der Leibeigenschaft bekannt machte,

*) S. 2. Th. 3. Abf. S. 190. Übrigens beweist die dortige Äußerung der Kaiserin, dass der Bauernstand bisweilen gedrückt werde, zugleich gegen Herrn Merkels oben angeführte Behauptung --- wenn er nicht zeigen kann das sie sich bloß auf die liefländischen Herren beziehe.

--16-- doch noch nicht ernstlich daran gedacht worden ist, die einseitigen Rechte des herrschenden russischen Adels durch Gesetze, wo nicht aufzuheben, doch zu mildern? zumal da eine solche Milderung in Beziehung auf den allgemeinen Wohlstand des Adels weit leichter als in Liefland ist.*) Dem sei aber wie ihm wolle, ist es zu vermuten, um auf die Hauptfrage zurück zu kommen,

*) Den Leibeigenen Freiheit ohne Verlust für die Herren zu geben, finden manche Schriftsteller sehr leicht, die Gründe aber, die sie anführen, sind viel zu allgemein, als das sie auf alle Länder passen sollten. In Russland steht gerade das, was den Druck der Leineigenschaft im Ganzen mindert, der Kopfzins der, in den Städten bürgerliche Nahrung treibenden, Bauern der vollen Freiheit entgegen; in Liefland aber noch mehr das, was gerade den Druck so hart macht, der verhältnismäßige Mangel in Menschen, und die daher entstehende Unmöglichkeit, die gezwungenen Bedienten der Herrschaft, und die gezwungenen Knechte der Bauern auf irgend eine Weise zu ersetzen. Ein solcher Riss als durch die Unterjochung der Letten in die Menschenrechte gemacht worden ist, lässt sich schwer geschwind wieder zumachen,

--17-- dass Richter, die in ihren eignen Angelegenheiten keine gesetzmäßige Einschränkung der Willkür anerkennen, über eine Einschränkung derselben bei ihren Standesgenossen mit mehr Nachdruck wachen werden, als diejenigen, welche eine solche Einschränkung als gesetzmäßig anerkennen, und zum Teil selbst bewirkt haben? Wird diese Frage verneinend beantwortet; so lässt sich die neue Einrichtung, die als ein Beweis der zurück gerufenen Barbarei vergangener Jahrhunderte angeführt wird, als ein Beweis der Gerechtigkeitsliebe und des guten Willen ansehen, über die gegebenen Gesetze mit Nachdruck zu wachen. Was ich hier sagen werde, ist freilich nur Vermutung, aber eine solche, die starke Gründe für sich hat.

--18-- Auf der einen Seite sind selbst nach Hr. Merkel die Männer, welche jenen Landtagsschluss herbeiführten, edle Männer --- von denen zu erwarten ist, das sie das, was sie zur Verbesserung des Zustandes der Letten leicht erhalten konnten, zu erhalten gesucht haben werden; und auf der anderen Seite lässt sich kaum denken, das es ihnen schwer gewesen sein würde, die schon bestehende höchste Gerichtsinstanz zu erhalten. Warum ließen sie also den Gang der Streitigkeiten zwischen den Bauern und ihren Herren abändern? Darum, weil sie von dem Adelskonvent mehr Unparteilichkeit erwarteten als von den vorher bestehenden kaiserlichen Gerichten. Dies stimmt nicht nur mit Herrn Merkels Behauptung, das sie weniger oder nichts gefruchtet haben, sondern auch mit der allgemeinen auf die menschliche Natur gegründete Erfahrung überein. Die wenigen Glieder eines Gerichtshofs sind leichter zu gewinnen, als der ganze Adel eines Distrikts, wenn dieser nicht als ganz verworfen gedacht wird; einen solchen Gedanken erlauben die von Herrn Merkel selbst angeführten Tatsachen nicht.

--19-- Wenn ein Mitglied der Ritterschaft, um schlechter Handlungen willen, so verächtlich behandelt wird, das es nicht wagt, wieder auf dem Ritterhause zu erscheinen, und das schon übertragene Amt wieder aufgeben muss, weil ein Edler nicht mit ihm dienen will; *) wenn von den Schlechteren selbst behauptet werden kann, sie schämen sich ihr wahres Gesicht zu zeigen, wie Herr Merkel anführt: so hat diese Ritterschaft im Ganzen gewiss schon einen Schritt zur wahren Humanität getan. Ist übrigens dem Adelskonvent nicht so viel Böses zuzutrauen, als von demselben gefürchtet wird; so ist doch endlich noch zu bemerken, das, wenn er als die letzte Instanz für die Bauern aufgestellt wird, dies schwerlich in so fern gegründet ist, als es auf Bestrafung aller gegen dieselben verübten Verbrechen ankommt.

*) S. die Letten S. 294

--20-- Von Mordtaten, Notzucht u.s.w. ist in dem Landtag nicht die Rede, sondern von Bedrückungen in Absicht auf die Leistungen, und dem Missbrauch der Hauszucht. Auch ist auf der einen Seite nicht zu glauben, das der Regent, der diesen Landtagsabschluss bestätigt hat, sich alles Rechts in der Kriminaljustiz oder überhaupt der Oberaufsicht über die Befolgung der gemachten Gesetze, welche jeder Regierung zukommt, begeben habe, noch auf der anderen, das die Ritterschaft gewagt habe, ihm Beschlüsse vorzulegen, wodurch seine Rechte mehr eingeschränkt würden, als sie es schon durch die wiederhergestellten alten Privilegien sind. Aber, wendet man vielleicht noch ein, ist denn nicht selbst der in dem Landtagsschluss gesetzmäßig bestimmte Grad der Hauszucht so barbarisch, das von einer Ritterschaft die diesen erlaubte, wenig Humanität im Ganzen zu erwarten ist?

--21-- Diese Hauszucht ist in der Tat eine neue Rüge in dem angegebenen Aufsatz, und zwar in meinen Augen an sich eine so sehr gegründete, das ich weit entfernt bin, sie durch irgend eine Betrachtung mildern zu wollen. Beziehungsweise aber muss ich eine doppelte Anmerkung machen. Erstlich räumt eben dieser Punkt den Herrn nicht einmal so viel ein, als nach alten königlichen und kaiserlichen Verordnungen zum Besten der Bauern bis auf den Landtagsschluss statt fand. Der Pfahl, an den sonst der mit Ruten zu streichende Bauer gebunden wurde, ist abgeschafft; und wenn gleich Hr. Merkel diese Milderung der Strafe als sehr geringfügig darstellt, so muss man sie doch nach dem, was er selbst bei Gelegenheit, zur Verstärkung, von dem Pfahl sagt, anders urteilen. *) Zweitens ist in Russland für alle Menschen niedrigen Standes die Stockschläge in großer Zahl bei kleinen Vergehungen gesetzmäßig. Selbst da, wo sie ehedem wenig oder nicht statt fanden, in Riga, sind sie mit der Stadthalterschaftsordnung zugleich eingeführt worden.

*) Suplem. S. 100.

--22-- Ein geringer Diebstahl, der in Deutschland mit einem kurzen Gefängnis bei Wasser und Brot abgemacht wird, kann 50 Stockprügel nach sich ziehen. Und in den Fällen, wo dort nur ernstliche Weisung oder Schadenersatz erfolgen würde, sind in Russland 20 bis 30 Prügel gewöhnlich. Für solche Fälle will ich zwei Beispiele anführen. Ein freier Hausknecht in Riga, der seinen Herrn nie Ursache zur Klage gegeben hatte, ehrlich und ordentlich war, fand sein Hauptgeschäft auf einmal zu lästig, sagte den Dienst auf, und verrichtete an dem Tag, da er dies tat, jenes Geschäft nicht. Dafür ließ ihm die Polizei auf Anzeige des Herrn, ohne weitere vorhergegangene Weisung 20 Prügel geben. Eher mehr als weniger wurde einem russischen Leibeigenen zu Teil, der "welch Verbrechen"! behauptet hatte, er sei frei, in der Tat etwas für seine Behauptung anführen konnte,und den, nach seiner Meinung, ordentlichen Weg einschlagen wollte, seine Freiheit zu vindizieren.

--23-- Er war nämlich der Sohn eines Mannes, der sich selbst einen Erbherrn gewählt hatte, als die Kaiserin Elisabeth allen Menschen gebot, sich entweder zu bürgerlicher Nahrung in Städten niederzulassen, oder sich einen Erbherren zu wählen. Die Kaiserin Katharina II. hat dagegen verboten sich selbst leibeigen zu machen und auf alle Fälle den Kindern freiwilliger Leibeignen die Vindication der Freiheit vorbehalten. Diese Ukase ist freilich nicht auf Fälle zurückzuziehen, die unter der vorhergehenden Regierung statt gefunden hatten. Aber ist es wohl sonderbar, oder gar strafbar, wenn ein Mensch der nicht lesen kann, und von solchen Vindicationen hört, einen Anachronismus in Beziehung auf sich begeht, zumal wenn er den Weg Rechtens einschlägt? Dies wollte jener Leibeigne tun, und sich bei dem Generalgouverneur melden, nachdem er diesen beschlossenen Schritt seiner Herrschaft bekannt gemacht hatte.

--24-- Das Hindernis, welches ihm die Herrschaft in den Weg legte, war natürlicher Weise nicht geschickt, ihm seinen Glauben zu nehmen; und da er in demselben bestand, zeigte die Herrschaft die Sache bei der Polizei an. Diese untersuchte sein Recht, fand es unbegründet, und ließ ihm für seinen Wahn, ganz ohne, ja wider Verlangen der Herrschaft, die angezeigten Prügel geben; denn, sagte sie, müsse sie auch tun was Rechtens sei, und könne auf den Einspruch der Herrschaft nicht hören. Aus diesem Beispiel wie aus der oben berührten Verfassung wird man urteilen können, ob es dem Geiste der russischen Regierung angemessen, oder eine ganz neue und unerhörte Anmaßung sei, wenn die liefländische Ritterschaft festsetzt, das der Bauer, wenn er ungerechter und böser Weise gegen seinen Herrn klagt, gestraft werden soll? Auch lässt sich wohl schwerlich eine gegründete Einwendung gegen Bestrafung offenbar ungerechter Klagen der Bauern machen.

--25-- Wenn Herr Merkel in Beziehung auf diesen Punkt sagt, bei andern Staatsbürgern bestehe die ganze Strafe eines ungerechter Weise erhobenen Prozesses in dem Verlust desselben, nebst den Kosten; so hat er in der Allgemeinheit, als er dies behauptet, ganz unrecht, er mag nun dabei Rücksicht auf Russland oder auf andere Länder genommen haben. Überall werden gewisse unbegründete Klagen mit Geld oder auch Gefängnis bestraft.*) Nur in so fern als die Präsumtion statt findet, das auch die gerechten Klagen der Bauern von ihren Richtern, den Edelleuten, für ungerecht ausgegeben, und eben deswegen die Bedrückungen der Herren an ihren Bauern geahndet werden dürfen, ist die Rüge, die sich auf jenen Punkt des Landtagsschlusses bezieht, gegründet; und diese Präsumtion wird allerdings in einem so hohen Grade angenommen, das der Verfasser des A. meint, der Bauer werde stets den Prozess verlieren.

*) Peter der Große bestimmte sogar die Todesstrafe demjenigen, der sich mit einer ungerechten Sache an ihn selbst wendete.

--26-- Diese an sich scharfe Behauptung wird noch schärfer, wenn man dazu nimmt, was Hr. Merkel sagt, das der Bauer nie anders klagen werde, als wenn er überzeugt sei, ganz unwiderleglich Unrecht gelitten zu haben.*) Über das Erste finde ich weiter nichts zu sagen, und muss eigentlich die künftige Erfahrung entscheiden lassen. Ist die bisherige gewissermaßen zum Vorteil jener Präsumtion; so ist sie zum Nachteil von Herrn Merkels Behauptung. Wie er die Letten schildert, war allerdings von ihnen zu fürchten, das sie sich einer strafbaren Streitsucht gegen ihren Herrn überlassen würden, wenn sie nicht einen starken Zaum in den Folgen böser Klagen fänden. Tief gewurzelter Hass gegen die Erbherren, ja gegen alle Deutsche überhaupt ist, nach ihm, ein Hauptzug in dem Charakter der Letten.**)

*) Suplement zu den Letten, S. 104. **) Die Letten, S. 33 u. folg.

--27-- Und diese Vermutung kann ich mit einem auffallenden Beispiel bestätigen. Vor ungefähr 6 Jahren klagte eine große Menge Bauern auf einem rigaischen Stadtgut über den Stadtrat böser und illegaler Weise. Sie kamen in Scharen auf das Schloss zu dem Generalgouverneur, und schrieen über Brotmangel. Als nun auf dessen Befehl, weil der Stadtrat die allgemeine Klage für unbegründet erklärte, von den Gerichten genaue Untersuchung angestellt wurde: so fand man bei den meisten versteckte ansehnliche Vorräte und bei einem sogar einen neuen englischen Reitsattel. Auch ergab sich nach genauer Untersuchung, das einige Bauern die übrigen zu jenem Schritte bewogen hatten, und war es nun wohl ungerecht, das die Anstifter exemplarisch bestraft wurden? war es hart, das selbst diejenigen, welche sich zu lügenhaften Klagen hatten verführen lassen, mit gleicher Strafe bedroht wurden, wenn so sich im ähnlichen Falle betreten ließen?

--28-- Aus diesem Vorfall erhellt übrigens nicht nur, das der Bauer, selbst wenn er gut steht, allerdings boshafter Klage fähig ist, sondern auch, dass das, was in dem neuen Landtagsschluss als ein Zeichen neuer Barbarei gerügt wird, längst schon in Ausübung war. Eine ähnliche Anmerkung trifft auch die letzte noch zu berührende Rüge aus jenem Aufsatz. Wenn überdies die Verordnung getadelt wird, das jeder Bauer nur einzeln, oder im Fall das ganze Gebiet gedrückt zu sein glaubt, nur durch einige Deputierte klagen dürfe; so sollte man bedenken das eine solche Verordnung selbst in solchen Staatsverwaltungen statt findet, die gewiss nicht zu den schlechten gehören. In Sachsen dürfen sogar die Bürger der Städte nicht anders gegen den Magistrat klagen als durch einen dazu bestellten Deputierten.

--29-- Nach diesen Bemerkungen über die härtesten Punkte des Landtagsschlusses Urteile der unparteiischen Leser, ob derselbe neue Barbarei verkündige, oder vielmehr Hoffnung zur allmählichen Verminderung der alten gebe, und ob ein gewisser . . . . Geist, der in einigen Punkten herrscht, der isolierten Ritterschaft, oder der Regierung des ganzen Landes eigen sei, von dem jene ein Stückchen in Besitz hat?

-------- Zusatz zu S. 22 -------
Der gelobte Hausknecht zeigte in dem angeführten Falle doch einige Bosheit, das er an dem nämlichen Tag, wo er seinem Dienst aufsagt, gar kein Geschäft mehr verrichten wollte; denn selbst bei dem freiesten gesellschaftlichen Vertrag ist dieses Betragen des Hausknechtes zu willkürlich. D. V.

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