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Einführung: Lebenlauf / Literarische Erzeugnisse

Erste Sammlung: Brief I. / Brief II. / Brief III / Brief IV / Brief V / Brief VI / Brief VII / Brief VIII

Zweite Sammlung: Brief IX / Brief X / Brief XI / Brief XII / Brief XIII

Dritte Sammlung: Brief XIV / Brief XV / Brief XVI/Biographie

Ambrosius Bethmann Bernhardi (1756- 18o1)

Die literarischen Erzeugnisse von A.B. Bernhardi

Züge zu einem Gemälde des Russischen Reichs unter Catharina II.
gesammelt bey einem vieljährigen Aufenthalte in demselben. In vertrauten Briefen 1798.

1. Sammlung 1798, 304 Seiten, Brief I - VIII

Brief V.

Lage der Offiziere, Einkünfte, Benehmen und Gewalt der Obersten. Missbräuche bei dem Avancement (Beförderung) durch die Garden und auf anderen Schleichwegen. S. 135-180

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Ich fange diesen Brief mit den Bemerkungen über die Lage des Offiziers in Russland an. Dieser ist bis zum Kapitän fast in aller Rücksicht schlimmer daran, als der gemeine Soldat in Vergleich mit andern Ländern, nachdem das Traktament auf Banknoten gesetzt worden, und der Wert derselben so sehr gefallen ist. Bei den Feldregimentern der Infanterie war bis 1793 der jährliche Gehalt des Kapitäns, ohne irgend eine andere Einnahme von der Kompagnie, nur 260 Rubel, mehr als vor dem angeführten Jahre, so muss sich doch der Fähndrich, wenn er kein Vermögen hat, oft mit gemeiner Soldatenkost begnügen. Nach dem jetzigen Werte des Papiergeldes ist sein Gehalt schon an sich geringer als in andern Ländern, und doch der Preis der Dinge, die er zu

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seiner Ajustirung braucht, viel höher. Gut ist es noch, dass er wenigste freie Bedienung hat. Es ist zwar schlechterdings verboten sich von den Soldaten bedienen zu lassen; und es gibt eine gewisse Seite, von welcher ein solches Verbot als sehr gut zu betrachten ist. Um aber die Befolgung desselben möglich zu machen, hält die Krone auf ihre Kosten den Offizieren, vom niedrigsten bis zum höchsten, mehr oder noch weniger eigne Bedienten. Sie werden aus den Rekruten gewählt, und bekommen an Lebensmitteln eben das, was der gemeine Soldat erhält, nur an Löhnung einen halben Rubel weniger, den sie leicht verschmerzen können, da ihr Herr ihnen gewiss mehr zufließen lässt als sie einbüßen. Diese Einrichtung war notwendig, wenn die Krone nicht haben wollte, entweder, dass nur begüterte Offiziersstellen bekleideten, oder, dass Unbegüterte sich selbst die Stiefel putzen. Denn im eigentlichen Russland kann man schwer anders Bedienten haben, als das man sie entweder von seinen Gütern nimmt, oder jeden zu fünf bis sechs hundert Rubeln kauft.

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Auch haben die Offiziere, als sie einst gegen Vergütung der Kronsbedienten beraubt werden sollten, so dringende Vorstellungen dagegen gemacht, dass sie die Beibehaltung dieses Vorteils erreichten. Die Vergütung hätte der Einbuße nicht angemessen sein können, ohne der Krone eine sehr ansehnliche Ausgabe zuzuziehen. Sie war wahrscheinlich nur gesonnen, so viel zu geben, als der Unterhalt der Denschicks (so heißen jene Bedienten) erforderte. Das Kapital aber, welches zur Anschaffung derselben erfordert würde, macht noch weit mehr aus. Freilich würde jedes Regiment 65 Soldaten mehr haben, wenn die Denschicks wegfielen; das Offizierskorps kann aber dieses Opfer nicht entbehren. Bei den Garnison-Bataillone steht es noch schlechter als bei den Feldregimentern. In jenen ist das Traktament ungefähr die Hälfte von dem was es bei diesen ist. Auch sieht man die Garnisonoffiziere bisweilen auf eine Art gekleidet, die man nicht leicht irgendwo wieder findet. Doch wissen sie oft durch Nebeneinnahmen, auf rechtmäßige

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und unrechtmäßige Weise ihren Zustand zu verbessern. Sie treiben Gartenbau, oder verleihen Pferde u.s.w. Dies möchte sein, aber auch der gemeine Soldat muss ihnen zahlen, damit er nur die Erlaubnis erhält -- zu arbeiten. Hat er gleich die Tage, wo er nicht mit dem Dienst beschäftigt ist, nach den Gesetzen ganz frei für sich, so kann er doch auf zu mannigfache Weise von seinen Vorgesetzten eingeschränkt werden, als dass er nicht, um diesem Übel zu entgehen, gern auf irgend eine Art einen Teil seines Verdienste hingäbe. In noch traurigere Umstände, als sie an sich sind, versetzt sich oft der unbegüterte Offizier durch Verheiratung. Bei aller Niedrigkeit seines Gehaltes hat er uneingeschränkte Freiheit dazu. Dagegen ist auch fast unabänderlich bestimmt, was die unvermögende Witwe eines Offiziers erhält; nämlich entweder einen Jahresgehalt ihres Mannes, oder auf Lebenszeit den siebenten Teil desselben. Die Kinder bekommen zur Erziehung noch etwas verhältnismäßig, welches ebenfalls auf

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einmal, oder jahresweise gezogen werden kann. Gewöhnlich ziehen die Witwen für sich und ihre Kinder, die allgemeine Zahlung vor; weil es sehr schwer hält, die jährliche ordentlich zu erhalten. Von dieser festgesetzten Ordnung in Rücksicht der Pensionen, wird bis auf den Majorscharakter nur ins ganz ausserordentlichen Fällen, oder durch eine ausserordentliche Begünstigung abgegangen.
Ich komme auf die Lage der russischen Offiziere selbst zurück. Bis zum Kapitän stehen sie, wie gesagt, schlecht. Der Prämiermajor hat auch nur 350 Rubel; allein er bekommt doch manchen Zuschuss, besonders an Fourage (Pferdefutter), vom Obersten, der oft so viel Einkünfte hat, als alle übrigen Offiziere seines Regiments zusammen. Er allein hat die Wirtschaft desselben und zieht daraus so großen Nutzen, dass seine Einkünfte, wenn er auch nichts weniger als habsüchtig ist, doch wenigstens auf 6000 Rubel gerechnet werden. Zwar beträgt sein bestimmter Gehalt nur so viele hundert, und man kann die Rechtmäßigkeit seiner übrigen Einkünfte bezweifeln.

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Da aber die Einrichtung so ist, dass er ohne Nebeneinnahmen mehr als seinen fixen Gehalt zusetzen müsste, wenn alles aufs strengste genommen werden sollte, und die Krone bei einem gewissen Gewinne nichts einbüßt; so sieht man den selben als rechtmäßig an. Jedes russische Regiment soll nämlich zu jeder Zeit marschfertig sein, und deswegen stets 230 Pferde zur Bagage halten. Für diese bekommt der Chef die Fourage, entweder in Natura oder an Geld, nach dem Preise, welcher in der nächsten Stadt als herrschend angenommen wird. Im letzteren Falle ist schon ein Gewinn offenbar, wenn auch alle Pferde unterhalten würden, denn man nimmt den höchsten Preis an. Da nun überdies die Pferde entweder auf dem Lande stehen, oder doch zur herbei Schaffung der Fourage gebraucht werden können; so muss man als reinen Gewinn für den Obersten die Transportkosten der Fourage von dem Lande in die Stadt ansehen. Er hält aber gewöhnlich nicht die Hälfte, oft nur den vierten Teil der Pferde, die er haben soll, und verleiht

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für Geld wohl noch diejenigen, die er hält. Daraus entsteht an manchen Orten ein sehr großer Gewinn. Denn obgleich die Fourage nur auf acht Monate berechnet werden darf, indem für den Sommer Weide angewiesen wird, so ist doch selbst nach diesem Abzug, in Riga und um Petersburg die Zehrung eines Pferdes weit über fünfzig Rubel anzusetzen.*) Dies ist der Gewinn, den man gewissermaßen als rechtmäßig ansehen kann. Bei der übrigen Wirtschaft des Regiments ist ohne offenbaren Betrug und ohne Bedrückung der Soldaten nichts zu gewinnen. Der Vorteil, der in andern Diensten durch den gegebenen Urlaub erhalten wird, fällt ganz weg; und sind die Regimenter nicht vollzählig, so darf, wie ich schon angeführt habe, nach den Gesetzen die Löhnung nicht zum Vorteil des Obersten berechnet werden.

*) Es wird auf ein Pferd des Tages zwei Garnitz (russisches Volumenmaß, 1 Garnitz = 3,279842 Liter) Hafer gerechnet, welche ungefähr 15 Metzen Dresdner Maß für die Woche machen; und von der Höhe des Preises habe ich schon gesprochen.

(Anm.: Hier muss ein Irrtum vorliegen. 16 Metzen Dresdner Maß betragen ca. 106 Liter als Trockenmaß, das wären am Tag ca. 15 Liter. Im Durchschnitt verbraucht ein Pferd 2-4 Liter Hafer, was der Menge von 2 Garnitz entsprechen würde)

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Ferner wird das Tuch zu den Uniformen von der Krone geliefert; und was sonst an Geld für die Bedürfnisse des Soldaten und der Pferde bewilligt wird, ist in vielen Stücken nur gerade hinreichend, und in andern offenbar zu wenig. So werden zum Beispiel nur nach einer langen Reihe von Jahren (ich glaube zwanzig) neue Knöpfe für die Uniformen bezahlt. Eben so ist es mit den Ladestöcken der Flinten, mit den Zelten, mit dem Riemenwerk der Pferde, und selbst mit der Erneuerung der letzten. Sie sollen im Frieden dreißig Jahr dienen. Bei diesen Stücken ist offenbar Schaden, den die Obersten aus ihren Beutel tragen müssten, wenn sie sich nicht sonst schadlos halten könnten. Sie können es reichlich durch den Vorteil, den sie von dem Unterhalt der Pferde ziehen. Allein mancher zieht einen auch vom Unterhalt der Soldaten, und gibt denselben alles was sowohl zu ihrer Bekleidung, als zu ihrer Kost gehört, schlechter, als er es zu geben verbunden ist. Sie sollen daher bisweilen kein Hemd haben, wenn sie gleich Manschetten tragen; und man erzählt, dass der

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Großfürst selbst einmal diesen Betrug entdeckt habe. Für die Wahrheit dieser Erzählung kann ich nicht stehen; dagegen weiss ich von sichern Personen, dass einst ein Oberster einen Kapitän ohne Urteil und Recht an die Kanone schließen ließ, weil dieser Einwendungen gegen das muffige Mehl machte, das er für seine Kompagnie erhalten hatte. Diese Widersetzlichkeit fand sich nur bei einem Kapitän, obgleich alle gleiches Mehl bekommen hatten. Man kann daraus schließen, wie oft solche Ungerechtigkeiten ungerügt hingehen mögen. Eben dies bestätigen folgende Vorfälle. Ein Oberster forderte von einem neu angestellten Kapitän, dass er den Empfang der Löhnung für seine ganze Kompagnie bescheinigen sollte, ob sie gleich nicht vollzählig war, und wollte ihn auf seine Weigerung das Unstatthafte derselben dadurch eindrücklich machen, dass er geradezu sagte, es wäre immer so gewesen, und noch kein Kapitän habe Einwendungen gemacht. Ferner wurde einmal der ausgetretene Oberstleutnant des Großfürstlichen Regiments

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öffentlich zitiert, weil er die offenbar falschen Rechnungen des Obersten unterschrieben habe. Ein solcher Unterschleif ging bei einem Regiment vor, dessen Spezialaufseher doch seiner strengen Pünktlichkeit wegen von jeher bekannt war!
Ich habe bisher nur hauptsächlich von der Infanterie gesprochen. Die Obersten bei der Kavallerie können sich noch viel größere Einkünfte verschaffen. Ein Offizier von derselben hat mir folgendes Verfahren bei seinem Regiment erzählt. Wenn nach dem höchsten Preis der nächsten Stadt ausgemacht war, wie viel zum Unterhalt der Pferde der Krone anzurechnen sei, so nahm der Oberste die Hälfte davon, und gab die andere Hälfte den Rittmeistern zur Anschaffung der Fontage. Diese nahmen wieder die Hälfte und überließen die Besorgung dem Wachtmeister, der immer noch Vorteil genug davon hatte, um gut leben, und mehrere Pferde auf seine eigne Hand halten zu können. Doch würde es ungerecht sein, das aus den angeführten Tatsachen entstehende

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Urteil auf alle Obersten auszudehnen. Es gibt ihrer ohne Zweifel, die sich keines offenbar ungerechten Gewinnes schuldig machen, und selbst den quasi rechtmäßigen, noch mit den armen Offizieren teilen. Als ein solcher Mann ist mir der jetzige Gardemajor General Wassiltschikow genannt worden. Er hielt nicht nur die gemeinen Soldaten gut, und wurde von ihnen geliebt, sondern er unterstützte auch die Offiziere, hielt sie in Pferden frei, und trug für sie einmal die ganzen Unkosten, welche eine Abänderung der Uniform nach sich zog. Auch verschwendete er seine Wohltaten nicht an Undankbare. Dies erfuhr er besonders, als er zum Major der Garde ernannt worden war, und die stets schwierigen Rechnungen mit dem Nachfolger im Regiment abzumachen hatte. Die Offiziere nahmen die Übergabe des Regiments auf sich und er reiste ab, noch ehe sein Nachfolger anlangte. -- Wehe hingegen einem Obersten, der sich sein Regiment durch Habsucht zum Feinde gemacht hat. Außerdem, dass er viele Sachen, die in

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schlechten Zustande sind, notwendiger Weise selbst vergüten muss, ist er einer Strenge ausgesetzt, die ihm teuer zu stehen kommt. In diesem Falle war der Oberste T.... ein Deutscher, bei dessen Abgang ein Kapitän vor seinen Augen, zum Zeichen der Schlechtheit, selbst solche Ladestöcke zerbrach, die er, frei von Rache, gewiss würde haben passieren lassen. Als eben dieser Oberste von dem ganzen Regimente Abschied nahm, konnte auch nicht ein gefälliges Wort erhalten, und er brach gegen die Soldaten in die Worte aus: Ihr Schweine, habt ihr denn gar nichts zu sagen? -- Sie sagten durch ihr Stillschweigen mehr als zu viel. Er hatte aber auch, wie man sagt, seine Habsucht so weit getrieben, dass er die Soldaten zur Arbeit verdang, und den Lohn in seine Tasche steckte. Auch in andern Ländern werden bei dem Militär die Untergebenen von ihren Obern bisweilen gedrückt, aber so arg als es in Russland geschehen kann, und zum Teil wirklich geschieht, schwerlich. Eine Klage des gemeinen Soldaten kann gar zu üble

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Folgen haben. Ich habe schon angeführt, dass ein Unteroffizier jedem Gemeinen, um wahrer oder scheinbarer Vergehen willen, aus eigner Machtvollkommenheit bis auf zwanzig Prügel erteilen kann. Wie die Menge derselben im Verhältnis des Ranges steht, weiss ich nicht, dass aber der Oberste, wenn auch nicht dem Rechte, doch der Tat nach, ihrer so viel austeilen lässt, als er für gut findet, d.h. zu mehr hunderten, ist mir von Offizieren versichert worden. Bei den irregulären Truppen schränkt man sich nicht einmal auf Stockschläge ein; da schleift der Offizier den Gemeinen mit den Haaren auf der Erde herum, und tritt ihn mit Füssen. Anders, sagte ein Kosaken Lieutenant, als er eben dies getan hatte, ist mit den Leuten nicht auszukommen.
Die Offiziere stehen zwar dem Gesetze nach zu dem Obersten in eben dem Verhältnis wie in andern Ländern; ja selbst die Unteroffiziere und Sergeanten, wenn sie von Adel sind, sollen keiner Leibesstrafe unterworfen werden. Allein der Oberste behandelt

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die Untergebenen doch nicht immer mit der Delikatesse, mit welcher sie sonst gewöhnlich behandelt werden. Der Hauptgrund scheint mir in der Strenge zu liegen, mit welcher hier über das Duellverbot gehalten wird. Außer dem Dienst muss in andern Ländern selbst der Regimentschef alles vermeiden, was einer persönlichen Beleidigung ähnlich sehen könnte, wenn er sich nicht der Gefahr aussetzen will, von seinen Untergebenen gefordert zu werden. In Russland ist daran nicht zu denken. Wer eine Ausforderung schickt und angegeben wird, kann, ohne große Begünstigung einer harten Strafe nicht entgehen; und wer sich nicht schlagen will, verliert an seiner Ehre nichts. Dass er den Dienst verlassen müsse, wird von seinen Kameraden auch im Traum nicht gedacht. Russland scheint in diesem Stücke eine vorteilhafte Ausnahme unter den übrigen europäischen Mächten zu machen, wo die Duelle streng verboten sind, und doch als notwendig angesehen werden. Es ist nur schlimm, dass die Strenge, mit welcher über jenes Verbot

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gehalten wird, wahrscheinlich den angeführten Nachteil hat, und dadurch die Frage, ob die Duelle unter Militärpersonen abgeschafft werden können, noch zweifelhafter macht, als sie schon an sich ist. Sie sind allerdings ein starker Zaum. Da er in Russland wegfällt, so kommt bei dem Betragen der Obern gegen die Untergebenen alles teils auf die Denkungsart, teils auf das Verhältnis an, in welchem sie mit mächtigen Personen stehen. Hat der Oberste weder den befehlenden General noch die Glieder des Kriegskollegium zu fürchten, so kann er gegen die Untergebenen seinem rauen Charakter vollen Lauf lassen. Ahmt aber ein solches Betragen derjenige nach, der auf nichts zu trotzen hat, so erfährt er auch bisweilen von den gedrückten Demütigungen, die in andern Ländern nicht statt finden. Der Kapitän L... war bei mehreren Gelegenheiten von seinem Oberst beleidigt worden, weil er sich seinen ungerechten Forderungen widersetzte. Anfangs trug er sein Schicksal in Geduld, und suchte immer wieder

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auf einen guten Fuss mit seinem Chef zu kommen. Endlich aber beschloss er einen völligen Bruch, und achtete nicht nur nicht auf eine Einladung desselben, als nach der Musterung aller Offiziere traktiert wurden, sondern ließ auch die Soldaten seiner Kompagnie singend, oder vielmehr schreiend, in dem Lager umher gehen, und sich vorzüglich in der Nähe des Zeltes des Obersten aufhalten. Dieser geriet in einen heftigen Zorn darüber, dass die Tafelmusik überschrien wurde, ließ sich aber, um nur Ruhe zu haben, zu der Bitte herab, dass der Kapitän seinen Leuten das Schreien verbieten möchte. Die Ursache dieses Verfahrens war, das der Oberst seinen Kredit im Kriegskollegium verloren, und der Kapitän einen Verwandten unter den Gliedern desselben hatte. Überdies mochte das Gefühl des Unrechts, welches der erste dem letzten neuerlich angetan hatte, wohl mit wirksam sein. Die Sache war diese: Schon lange hatte die Stadt Riga übermäßig viel Holz und Licht für die Hauptwachen liefern müssen, und sich deswegen an

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den nun verstorbenen Platzmajor gewandt. Dieser hatte eine Abänderung nur dadurch als möglich vorgestellt, dass ihm jährlich eine gewisse Menge Holz und Licht geliefert und der besondere Auftrag erteilt werde, die Hauptwachen damit zu versorgen. Die Stadt nahm den Vorschlag gern an, und der Generalgouverneur willigte ein. Auch konnte in der Tat dabei die Stadt und der Platzmajor gewinnen, ohne das die Soldaten wirklich mehr verloren, als sie bisher verschwendet hatten. Der Major wollte aber den Gewinn ins Große treiben, lies die Soldaten halb erfrieren, nachdem sie zuvor beinahe verbrannt waren; und nicht zufrieden mit dem großen Gewinn, welchen er aus dem Verkauf des Holzes zog, erstreckte er endlich auch seine Spekulation auf das Licht, und ließ es selbst der Offiziersstube daran fehlen. Viele Offiziere hatten sich nur gegen ihre Kameraden darüber beschwert, und aus ihren Beutel das notwendige Licht gekauft, um nicht mit ihren Vorgesetzten während der Wachzeit gespannt zu werden; der gedachte Kapitän aber,

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ob er gleich kajoliert worden war, bewies nicht gleiche Schwachheit, sondern forderte was ihm gebührte. Der Major, anstatt gleich seinen Beschwerden abzuhelfen, berief sich auf das Beispiel seiner Kameraden. Keiner von beiden Teilen wollte nachgeben; und da der Major nichts mit Vorstellungen ausrichten konnte, nahm er die Gewalt zu Hilfe, beschwerte sich über Mangel der Subordination bei dem Generalgouverneur, und erhielt von diesem, dass der Kapitän als Arrestant dem Regiment ins Lager zurück geschickt werde; dadurch hoffte er zu schrecken, und seine Absicht zu erreichen. Er bot nun die Hand zur Versöhnung, aber umsonst. Der Kapitän gab lieber seinen Degen als seine Einwilligung zu einer Unbilligkeit. Diese stellte er dann seinem Obersten vor und bat um Satisfaktion bei demselben, wurde aber mit den Worten abgefertigt: er mache beständig Stänkereien, habe sie mit ihm (dem Obersten) angefangen, und fange sie nun auch mit dem Platzmajor an. Gleichwohl war der Oberst der einzige Mann, der helfen konnte.


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Ohne Vermittlung desselben bei dem Generalgouverneur zu klagen, wagte der Kapitän nicht, weil er glaubte, bei diesem habe nicht nur stets derjenige Recht, der zuerst spräche, sondern auch der Major überhaupt ein ziemliches Gewicht. Er fürchtete daher, über den Schimpf, ins Lager zurück geschickt worden zu sein, noch einen derben Verweis über den Mangel an Subordination zu bekommen. Nicht nur in Rücksicht auf die Personen, sondern auch auf die ganze äußere Einrichtung des Regiments zeigen die Obersten eine Gewalt, die in andern Ländern nicht statt findet. In diesen ist die Uniform der Gemeinen wie der Offiziere nach allen Stücken so genau abgestimmt, dass willkürliche Abänderungen gar nicht vorgenommen werden können. In Russland ist es etwas anders. Ich sah für die Gemeinen eine willkürliche Änderung in den Zelten und in der Kopfbedeckung, und bei den Offizieren nicht nur die letzte nebst den Epauletten, sondern auch die ganze Uniform nach dem bloßen Willen des

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Obersten ändern oder beibehalten. Was er bei den Gemeinen ändert, soll freilich auf seine Kosten geschehen; doch sah ich auch einmal, dass es auf Kosten des Publikums geschah. Der Gemeine trägt nach der neuen Einrichtung des Fürsten Lotemkin
eine Art Kasket mit einer über der Stürze herumgelegen dicken, runden Wulst. Diese war ursprünglich von aufgerissener gelber Wolle. Ein Oberst meinte eine Wulst, von schwarzen Pferdehaaren müsste besser stehen, und führte sie ein. Dies Beispiel wurde nachgeahmt zum grossen Nachteil der Pferdeschwänze. Keiner war in Riga zu der Zeit, als bei den dort stehenden Regimentern dieser Putz Mode wurde, vor dem abschneiden sicher. Und dies geschah nicht nur ohne Einwilligung der Nießbraucher (Pferde) sondern auch der Herren. Fuhr man mit Langschwänzen in ein Lager, so musste man fürchten, mit gestutzten Schwänzen zurück zu kommen, wenn man nicht zu dem Fuhrwerk eine Schildwache stellen ließ. Der Bauer bekam solche Wachen nirgends, und durfte daher

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seine Pferde nie allein stehen lassen, ohne sie von Soldaten gestutzt zu sehen. Dieser Raub dauerte eine ziemliche Zeit, bis bei dem Generalgouverneur von seinen Bauern darüber geklagt wurde. Er ließ einen Soldaten, der ertappt worden war, Spießruten laufen. Strafe hatte eigentlich der Oberste verdient; denn um seinetwillen war der Raub begangen worden. Er hatte zur Abänderung des Kopfputzes nichts aus seiner Kasse bewilligt, sondern nur den Kapitänen zu verstehen gegeben, dass er ihre Kompagnie mit Pferdewulsten versehen wünsche, und diese hatten wiederum die Gemeinen veranlasst, für Pferdehaar zu sorgen. Bei diesem Gange der Sache war es voraus zu sehen, das die Änderung auf Kosten des Publikums geschehen würde. Ja selbst nachdem jene Strafe von dem Generalgouverneur einmal aufgelegt worden war, unterblieb das widerrechtliche Abschneiden der Pferdeschwänze nicht. Glücklicher Weise war der größte Teil des Regiments schon mit dem neuen Kopfputz versorgt; aber unglücklicher Weise folgte die

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Garnison dem Beispiel der Feldregimenter, und das diebische Stutzen ging noch lange fort. Die Grenzen, in welchen die Gewalt des Obersten bei Abänderung dessen, was zur Ajustierung der Soldaten gehört, eingeschlossen ist, kann ich nicht bestimmen; vielleicht können es selbst wenige Offiziere. Dies zu glauben, veranlasst mich folgender Vorfall. Der Oberst Graf B... hatte kaum ein Regiment bekommen, als er es im Äußeren zu reformieren beschloss; der General aber, unter dem es stand, fand die projektierte Reform zu stark, verbot sie und bewog dadurch, wie man sagt, den Oberst, sein Regiment eben so geschwind wieder abzugeben, als er es erhalten hatte. Wenn ich dabei hinzu setze, dass er dessen ungeachtet im Dienste blieb, so denken sie vielleicht, wie ist das möglich? Ich habe ihnen darauf nichts zu antworten, als das Russland das Land der Möglichkeiten ist -- zu verwundern war aber allerdings jener Schritt. Ein Regiment ist das Ziel, wo nach am meisten gestrebt, und welches

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gewöhnlich selbst bei einem Avancement sehr ungern verlassen wird. Und das ist natürlich. Der Generalmajor, der wie jeder andere General, nie Inhaber eines Regiments ist, hat alle, in allem 1200 Rubel Gehalt. Daher ein solches Avancement bisweilen zur Strafe gebraucht wird. Der Oberste, welcher einen Kapitän an eine Kanone hatte schließen lassen, wurde nach untersuchter Sache, General; und eine gleiche Rangerhöhung widerfuhr dem angeführten Obersten T.... als seine Untaten durch keinen Kredit mehr bedeckt wurden. Das Avancement hat überhaupt in Russland viel Sonderbarkeiten die ich ihnen mitteilen will. Sie werden vielleicht an manchen Büchern Klagen über die Missbräuche gefunden haben, die mit dem Dienst bei den Garden getrieben werden; und in der Tat sind sie so mannigfaltiger und zum Teil so starker Art, dass eine Reform höchst notwendig ist.*)

*) Diese Reform hat der jetzige Kaiser wirklich gemacht.

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Die Leibwachen der Fürsten haben von jeher fast überall Vorzüge vor den andern Soldaten gehabt. Es ist dies auch natürlich, und wird selbst von denjenigen, welche gewissermaßen darunter leiden, gewöhnlich nicht missbilligt. Aber so ungeheure Vorzüge, als die Garden gesetzmäßig in Russland besitzen, und so entsetzliche Missbräuche, als sich dabei eingeschlichen haben, findet man wohl jetzt in keinem europäischen Staate. Dass der Offizier dem Range nach zwei Schritte vor andern voraus hat, mag sein; auch könnte man es wohl noch gut heißen, das dieser Rang bei einer Versetzung aus den Garden in die Feldregimenter um vorzüglicher Geschicklichkeit willen geltend gemacht werde. Denn das bloße Avancement nach der Anciennität (Dienstalter, Rang), so notwendig es auf der einen Seite scheint, hat doch auf der andern seine großen Nachteile, denen durch eine solche Versetzung abgeholfen werden könnte. Auf Geschicklichkeit und Tätigkeit sieht man aber dabei gar nicht. Ein Kornet, ein Fähndrich bei den Garden hat Kapitäns Rang in der Armee,

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und wird folglich in derselben nach einigen Jahren, auf sein Verlangen als Major angestellt; und ein Kapitän verlässt die Garde nur, um gleich Chef eines Regiments zu werden, ohne Verdienste nötig zu haben. Dies ist schon ein großes Übel, noch größer wird es aber dadurch, dass man jene Versetzung bis auf die Sergeanten und Wachtmeister erstreckt. Um Offizier bei der Garde zu werden, bedarf man einer großen Gunst; der Stellen sind nicht viele, und nach der Anzahl von diesen richtet sich auch natürlicher Weise die Anzahl der in den Feldregimenter zurückgesetzten Offiziere. Hierzu kommt noch, das nur wenige von der Garde sich bald in die Armee versetzen lassen; die meisten dienen erst bis zum Kapitän. Sergeant und Wachtmeister hingegen macht man in so großer Menge, dass ihrer jährlich einige hundert als Kapitäne in der Armee angestellt werden, und die übrigen doch immer noch über die Langsamkeit der Avancements klagen. Bei der Ismailowschen Garde waren zu der Zeit, als ich mich in Petersburg

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aufhielt, zwei tausend Sergeanten, und bei der Garde zu Pferde 700 Wachtmeister. Bei dieser entsetzlichen Menge ist es natürlich, das nicht der dreißigste Teil wirklich dient. Die meisten kommen auf einige Monate nach Petersburg, nehmen dann Urlaub, und lassen sich denselben von einem Jahr zum andern bis zu der Zeit verlängern, da sie in der Armee angestellt zu werden hoffen, d.h. bis die sogenannte Dienstzeit fünf Jahre beträgt. Viele warten diese Zeit nicht einmal ab. Wer eine gewisse Summe Geldes anwenden kann und will, wird auch ausser der Reihe als Kapitän in jedem von ihm selbst beliebten Regiment angestellt, und hat noch überdies den Vorzug, das er gleich volle Gage bekommt, wenn er gleich überkomplet ist. Vorteilhafter kann man in der Tat einige tausend Rubel nicht anlegen;*) und an Personen, die zu einer so vorteilhaften Anlegung behilflich sind, fehlt es nie.

*) So viel ist nicht einmal nötig; 1500 Rubel sind gewöhnlich hinreichend. Wer sich aber nicht vorsieht, muss wohl das Dreifache geben. Bisweilen wird nach Judenart gehandelt. Von 5000 Rubel, die in einem mir sehr genau bekannten Falle das erste Gebot waren, rückte man bei dem zweiten Vorschlage bis auf die Hälfte herunter.

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Nicht auf Gunst, sondern nur auf das Geld kommt es an. Darüber wundert man sich freilich anfangs, wenn man weiß, dass nicht von einzelnen Personen, sondern von dem ganzen Kriegskollegium die Anstellung eines Offiziers abhängt, und kann sich einen solchen Missbrauch nicht anders als unter der Voraussetzung einer allgemeinen Niederträchtigkeit vorstellen; wird man aber mit dem ganzen der Sache näher bekannt, so sieht man die Möglichkeit derselben, ohne gerade eine ganz verdorbene Denkungsart voraus zu setzen. Das alle Männer, die Einfluss auf das Kriegskollegium haben, ihre Freunde und Verwandten gern auch ohne unmittelbaren Vorteil befördern, wird vorausgesetzt; und in der Tat ist, um der Gunst gar nichts einzuräumen, eine Rechtschaffenheit erforderlich, wovon sehr viele Menschen nicht einmal

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einen Begriff haben; man schillt wohl gar diejenigen hart, die auf eine strenge Gerechtigkeit halten. Und wird der Freundschaft und Verwandtschaft etwas eingeräumt, so hat auch die Habsucht gutes Spiel. Wer kann immer untersuchen, aus welchen Gründen ein junger Mensch zur Beförderung empfohlen wird? Ja selbst derjenige, welcher offenbar um des Geldes willen eine Bitte unterstützt, weiß nicht nur in fremden Augen, sondern vielleicht sogar in seinen eignen den Schein von Unbescholtenheit zu erhalten. So offenbar der Handel mit den Kapitänsstellen unter den Helfershelfern getrieben wird, und so wenig sich selbst diejenigen, welche eine durch Geld erhalten, sich scheuen zu sagen, wie viel sie ihnen kostet; so behandelt man doch die hohen Personen, auf deren Einfluss es hauptsächlich ankommt, mit großer Delikatesse, wie es auch wohl nötig ist. Einen Antrag, dessen Gewicht bloss auf dem Gewicht des Geldes beruhte, würde der gerechte Stolz wahrscheinlich oft verwerfen. Gerechtigkeit und Billigkeit werden also ins Spiel

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gebracht. Bald hat der Vater des jungen Menschen sich so um den Staat verdient gemacht, dass die Auszeichnung von diesem nur eine billige Vergeltung ist; bald ist er zurück gesetzt worden, so, dass das ihm angetane Unrecht wieder gut gemacht werden muss; bald verspricht er durch seine Geschicklichkeit dem Staat so große Dienste, das diese zu einer Ausnahme berechtigt. Kurz, der Vorstellungen von besseren Gehalt, als die klingende Münze, sind so viele, das diese gar nicht in Erwähnung gebracht, und nur nachher, nicht in Natura, sondern in angenehmer Form aus Dankbarkeit demjenigen dargebracht wird, welcher sich von jenen Vorstellungen zu einer gerechten oder billigen Handlung hat bewegen lassen.
Durch die Leichtigkeit vermittelt der Garde in die Armee gleich als Kapitän einzurücken, ist es so weit gekommen, das sich nicht leicht ein junger Mensch aus einer angesehenen oder wohlhabenden Familie in einem niederen Grad anstellen lässt. Auch stellt die Kaiserin unmittelbar selten einen anders an.

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So machte sie verschiedene französische Emigrierte gleich zu Hauptleuten, die in Frankreich selbst das nicht waren, oder gewiss viel später geworden wären. Ja, junge Leute, deren Väter sie vorzüglich wohl will, werden noch vor ihrem zwanzigsten Jahre zu Majoren ernannt, ohne den geringsten Dienst getan zu haben. Man kann diese schnelle Erhebung von zwei Seiten betrachten, von Seiten des Einflusses auf den Dienst, und von Seiten der Gerechtigkeit. In der ersten Rücksicht sind wohl viele Personen versucht zu denken, das die Armee schlecht mit Offizieren versorgt gewesen sein müsse; und es kann auch sein, dass sie ihre Meinung mit einer großen Anzahl von Beispielen zu belegen wissen. Allein wenn gleich die Unerfahrenheit der obern Offiziere manches verderben sollte; so trifft es sich doch selten, das sie nicht von ihren geübten Untergebenen Rat annehmen; und ist dieser nicht hinlänglich, allen Nachteilen zuvor zu kommen, so werden sie wieder durch Vorteile gedeckt.

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Wer alle Stufen nach der Anciennität durchwandern soll, hat wenig Hoffnung je Gebrauch von der Geschicklichkeit eines Feldherrn zu machen, und kann daher leicht in Versuchung geraten den großen Dienst, der doch gewiss von den kleinen unendlich verschieden ist, zu vernachlässigen; oder er wird General in einem Alter, das oft die im Kriege so notwendige Entschlossenheit schwächt. Es ist daher nicht zu verwundern, dass bei aller Unerfahrenheit so mancher Offiziere doch im Ganzen die russische Armee fast stets siegreich gewesen ist. Hiermit will ich aber gar nicht das frühe Avancement der jungen Leute in Russland entschuldigen. Die Ungerechtigkeit, die dabei begangen wird, ist gross. Zwanzig bis dreißig Jahre hat bisweilen ein Offizier gedient, und wenn er nun endlich hofft Kapitän oder Major zu werden, so sieht er sich einem unbärtigen und unerfahrenen, vielleicht zum Militärdienst ganz ungeschickten Jünglinge nachgesetzt. Im Krieg kann bisweilen ein solcher Verlust nachgeholt werden. Es geschieht nicht

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selten und viel häufiger, als in andern Ländern, dass bei einer bewiesenen Tapferkeit und Geschicklichkeit der Offiziere nicht um eine, sondern mehrere Stufen zugleich hinauf rückt. Vor Oczakow war bei einem Bataillon, das eine Redoute ersteigen sollte, der Major als krank im Lager geblieben, der Kapitän bei den ersten Angriff getötet worden, die Redoute zu ersteigen.
Dafür wurde er auf der Stelle zum Major ernannt. In andern Diensten würde dieser Sprung schwerlich geschehen sein. Auch kann man denselben, ohne dem Verdienst des Offiziers zu nahe zu treten, wohl nur als eine Folge des Glücks und der Raschheit des Fürsten Potemkin ansehen, der gerade in der Nähe dieser Redoute war, und sich von dem Gedanken des errungenen Sieges hinreißen lies. Es gibt aber doch eine eigne Anordnung, welche einen solchen Sprung in vielen Fällen als rechtmäßig darstellt. Es ist nämlich die Dienstzeit für jeden Grad auf sechs Jahre festgesetzt.

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Trift es sich nun, dass ein Offizier zwei, dreimal so lange in einer Stelle dient, und nachher um irgend einer Tat willen bemerkt wird, so rechnet man ihm die verflossene, und Anfangs nicht bemerkte Dienstzeit in seinem Avancement an. Dies ist etwas, aber im ganzen wahrscheinlich sehr wenig gegen die Ungerechtigkeiten, welche bei dem Avancement vorfallen. Sie werden dies schon nach meinen bisherigen Bemerkungen finden, und doch muss ich noch mehrere Schleichwege anführen, auf welchen man zu steigen sucht. In der Regel avanciert der Offizier, die eingeschobenen Gardisten weggerechnet, nach der Anciennität. Seine älteren Kameraden zu überspringen, geht ohne ausdrücklichen Befehl der Kaiserin nicht. Aber erstlich wird bis zum Major gewöhnlich eine Rangerhöhung verwilligt, wenn sich ein Offizier freiwillig, wenn wenn sich ein Offizier nach Sibirien versetzen lässt. Dies kann man billig finden. Auch ist es begreiflich, wie das Kriegskollegium um Offiziere in Sibirien verlegen sein kann. Auf seinen Befehl muss zwar jeder Offizier dahin;

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er kann aber, sobald er angelangt ist, teils um seinen Abschied, teils um Versetzung bitten. Die letzte wird selten und der erste gar nicht verweigert; und bei einer Subalternen Stelle bleibt nur derjenige in Sibirien, welcher weder Vermögen noch Gönner hat. Unter diesen Umständen lässt sich gegen die Erhöhung des Charakters bei einem freiwilligen Erbieten nach Sibirien zu gehen, nichts einwenden. Man soll sich ja einmal genötigt gesehen haben, eine dort vakante Kapitänsstelle, mit Vergütung der Reisekosten, öffentlich anzubieten, und sie einem Manne zu geben, der gar nicht gedient hatte. Aber jenes freiwillige Erbieten ist, wie man sagt, bisweilen nur ein Kniff. Der deswegen avancierte Offizier reist nicht ab, hat wohl gar die
Keckheit in Petersburg zu bleiben, gibt nach drei bis sechs Monaten eine Bittschrift ein, wieder bei einem Regiment im europäischen Russland angestellt zu werden, und erhält, was er begehrt. Mit diesem Schleichwege hat ein anderer Ähnlichkeit. Der Offizier, der bei seinem Regiment noch auf kein Avancement Anspruch machen kann,

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erhält dasselbe durch einige Begünstigung, indem er sich bei einer Kommission z.B. bei dem Proviantwesen anstellen anstellen läßt, das von einrangierten Offizieren verwaltet wird. Ist er da einige Zeit wirklich, oder dem Schein nach, gewesen, so hascht er nach der ersten besten erledigten Stelle in einem Feldregimente, oder lässt sich auch als übercomplet anstellen. Dies hält nicht schwer; denn das Versetzen von einer Stelle zur andern, und von einem Regiment zum andern, ist überhaupt sehr leicht. In den meisten Ländern ist das Versetzen einer gewissen Ordnung unterworfen, und geschieht gewöhnlich nur bei einer Vakanz. Diese Bedingungen aber sind in Russland bis zum Oberstleutnant gar nicht nötig. Ist ein Offizier mit seiner Lage, um irgend einer Ursache willen, nicht zufrieden; so sucht er um die Versetzung in ein von ihm gewähltes Regiment an, und tut selten eine Fehlbitte. Alles, was er dabei verliert, ist die Gage, bis er bei dem Regiment, wo er sich anstellen läßt, in dem Range einrückt,

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den er zuvor gehabt hatte, daher trägt es sich nicht selten zu, dass bei einem großen Überfluss von Offizieren überhaupt manches Regiment doch Mangel daran leidet. Bei einem fehlten ihrer einmal nicht weniger als achtzehn, während das in einem andern ihrer sieben übercomplet waren. Außer dieser Unordnung ist auch die Zurücksetzung vieler Offiziere, die weder Geld noch Gunst haben, eine unvermeidliche Folge des leichten Überganges von einem Regiment zum andern. Endlich ist selbst der Abschied noch ein Mittel zum unregelmäßigen Avancement. Man sucht ihn mit Erhöhung des Charakters zu erhalten, und erhält sie wirklich nach dem erhöhten Charakter, wenn man die gehörigen Triebfedern wirken lassen kann.
Dies führt mich zu einigen Bemerkungen über das Ende des Dienstes und den Nichtdienst. In beiden Punkten liefert Russland Eigenheiten. Peter I. forderte sehr ernstlich, nicht nur überhaupt, dass der Adel dem Staate in irgend

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einem Amte diene, sondern auch zu gewissen Zeiten, dass er Militärdienste tue. Auch herrschte bis auf Peter III. die Regel, das ein Offizier nur um Kränklichkeit willen seinen Abschied verlangen könne. Man hat diesen Zwang als eine barbarische Einrichtung angesehen; und neuerlich hat Neker noch an der französischen Konstitution dies scharf getadelt, dass sie der Regierung die uneingeschränkte Befugnis erteile, jeden Bürger zum Kriegsdienst zu zwingen. Er nennt den Geist einer solchen Verordnung eine politische Brutalität, die in einem Menschen nichts als ein lebendiges Wesen sehen will. Manche starke Gründe hat eine solche Behauptung allerdings; allein sie beruhen sämtlich auf der Voraussetzung von Missbräuchen, und hauptsächlich von dem, das der Krieg als ein Mittel sich zu vergrößern und dem Ehrgeiz der Regierung zu dienen betrachtet wird. Unter dieser Voraussetzung aber muss man nicht sagen, es sei wiederrechtlich alle Bürger, sondern einen einzigen zum Soldatendienst zu zwingen.


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Diente der Krieg hingegen bloß, wie es sein sollte, das Land zu verteidigen, und sein Hab und Gut zu schützen; so kann es wohl keinem Zweifel unterworfen sein, dass jeder Staatsbürger im Notfalle die Waffen zu ergreifen verpflichtet sei. Will man dabei Grade der Verbindlichkeit annehmen, wie man mit Recht tun kann, so trifft der höhere Grad den Adel. Seine Vorzüge leiten sich bloß von seiner Bestimmung zu Militärdiensten her; und will er jene behalten, so muss er sich im Falle der Not auch diesem vorzüglich widmen. Wenn ferner es der Gerechtigkeit zuwider ist, einen Staatsbeamten, auf welche Weise er es sei, zu entlassen, bloß weil es der Regent will; so muss es auch gegenseitig der Gerechtigkeit zuwider sein, das ein Staatsbeamter sein Amt niederlege, bloß weil er es will. Alles was man wider diese gegenseitige Verbindlichkeit anführen kann, ist davon hergenommen, das bei dem jetzigen Zustand der Dinge der Regent leicht wieder Diener, der abgesetzte Diener aber nur selten wieder im Ausland ein Amt, oder im Vaterland

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irgend etwas erhalten kann, was den Verlust seines Amtes ersetze. Diese Einwendung fällt weg, wenn es dem Staat allerdings schwer wird, erledigte Stellen so auszufüllen, wie sie von den abgegangenen Beamten ausgefüllt wurden. Alles dieses spricht für den Zwang, welchen Peter I. dem Adel antat; es gibt aber freilich einen Punkt, der gegen ihn spricht. Er würde wohl nie in die Notwendigkeit versetzt worden sein, so hart gegen den Adel zu verfahren, wenn er nicht viele Jahre Krieg geführt hätte, um sein Reich zu vergrößern. Erst dann, als er deswegen eine unsägliche Menge Menschen aufgeopfert hatte, legte er jenen Zwang auf. Dieser bestand bis auf Peter III. der es dem Adel frei stelle, ob und wie er dienen wollte, in der Armee oder in den Gerichten. Katharina II. ließ diese, wie manche andere menschliche Anordnung, ihres unglücklichen Gemahls bestehen. Doch ist es dabei geblieben, dass der Adel ohne Dienst gar keinen Rang gibt. In andern Ländern gibt es zwar auch keinen bestimmten Rang, aber doch gewisse äußere Vorzüge.

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Der Edelmann kann meistenteils bei Hofe erscheinen, wenn er auch nicht dient -- und zwar oft eher, als wenn er dient. Dies ist in Russland nicht der Fall. Wer nicht Majorscharakter hat, wird weder in die Antichambre noch bei Bällen des Hofs zugelassen. Zu dieser Ehre gelangt hingegen selbst der Bürgerliche, sobald er nur bis zu dem genannten Grade gestiegen ist. Dieser kann ferner mit vier Pferden fahren, selbst wenn er keinen bestimmten Rang hat, sondern nur in der Klasse der
namhaften Bürger ist, zu welcher jeder graduierte Gelehrte und jeder Kaufmann gehört, der eine gewisse Vermögenssteuer erlegt, oder dreimal zu gewissen Stadtämtern gewählt worden ist. Der Adlige hingegen, der gar nicht gedient hat, darf in Städten nach dem Gesetz nicht einmal mit zwei Pferden fahren. Nur seine Frau hat eigentlich Erlaubnis dazu, und es hängt von ihr ab, ob sie ihren Herrn Gemahl als eine Appendix will durchschlüpfen lassen. Wird nicht immer über dies Gesetz gehalten, so wird es doch von Zeit zu Zeit wieder publiziert, und macht böses Blut.

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Eine Frau ließ sich sogar, wie man sagt, von ihrem Manne scheiden, weil ihr Gemahl, ein Baron schlechtweg, nicht mit zwei Pferden fahren durfte. Dies im Vorbeigehen. Dem Offizier wird, wie gesagt, der gebetene Abschied erteilt. Doch kommt es auf verschiedene Umstände an, ob er zugleich einen Grad höher rücken soll oder nicht. Der Regel nach wird die Standeserhöhung allen Ausländern abgeschlagen. Und selbst der Inländer erhält sie nur dann, wenn er seine Unfähigkeit zum Dienst beweisen kann. Ich meine die körperliche Unfähigkeit. Wäre die geistige auch eine hinlängliche Ursache, so müsste die Standeserhöhung sehr oft bei dem Abschied statt finden; denn selbst der Mangel an Lust und gutem Willen gehört unter die Rubrik der geistigen Unfähigkeit. Die körperliche muss in Russland durch ein Zeugnis, nicht, wie gewöhnlich in andern Ländern, von dem Regimentschef, sondern von dem Regimentchirurgus, oder dem Kreisarzt bescheinigt werden. Über die Falschheit dieser Zeugnisse ließ sich sehr viel sagen;

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und wer etwa seinen Beobachtungsgeist zuerst in Russland übte, könnte leicht in Gefahr kommen zu denken, er habe eine hässliche Seite in dem Gemälde desselben entdeckt. Vergleicht man aber dieselbe mit der homogenen in andern Gemälden, so wird man die erste noch schön gegen die letzte finden. Nirgends ist sehr auf ein Zeugnis zu trauen, das sein Gewicht bloß aus der allgemeinen oder besondern Verbindlichkeit, die Wahrheit zu sagen, erhalten soll, wenn dies Zeugnis sichtbaren Nutzen für bestimmte Personen, und nur einen entfernten oder unmerkbaren Nachteil für andere hat; und nirgends hat; und nirgends wird ein Regimentschef über ein solches Zeugnis zur Rede gesetzt, wenn man auch vermutet, dass es nicht seine Richtigkeit habe. Einem Arzt, oder gar einem Chirurgus, (denn leider! muss man unter beiden in vielen Ländern noch einen großen Unterschied machen) ist weit leichter beizukommen. Auch weiß ich in der Tat einen Fall, wo in Russland eine besondere Kommission zur Untersuchung

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der Wahrheit eines Zeugnisses niedergesetzt wurde, das von einem Kreisarzt über den Gesundheitszustand eines Offiziers ausgestellt worden war. Dies ist noch nicht alles, was sich zum Vorteil für Russland sagen lässt. Der Hauptunterschied zwischen diesem und andern Ländern, in der angegebenen Beziehung, besteht darin, das auf ein solches zweifelhaftes Zeugnis keine Pension erteilt wird. Wer nicht mehr im Feld dienen kann, wird auf sein Gesuch in eine Garnison gesetzt, und ist er auch da Alters wegen nicht mehr zu gebrauchen, so wird er als Invalid in ein Kloster zur Versorgung geschickt. An Pensionen für Offiziere, die noch sehr wohl dienen könnten, und die, alles wohl bedacht, noch wenig gedient haben, ist in Russland nicht zu denken. Wie oft aber solche Offiziere in andern Ländern, selbst bei ansehnlichem Vermögen, Gnadengehalt ziehen, ist eine bekannte Sache. Herrscht indessen dieser Missbrauch in Russland nicht; so ist dagegen die Erhöhung des Charakters bei dem Abschied auf ein zweifelhaftes Zeugnis

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doch von üblen Folgen, wie sie schon aus einer vorhergehenden Bemerkung werden gesehen haben, und aus andern, die ich in den folgenden Briefen über die bürgerliche Verfassung zu machen habe, noch mehr sehen werden. In diesem muss ich nur noch einem Irrtum begegnen, den die angeführten Missbräuche bei ihnen veranlassen könnten. Sie denken vielleicht, dass alles in Ordnung, oder vielmehr Unordnung, zurück getreten sei, welche vor Peter I. bei dem Militär in Russland herrschte. Es findet sich aber doch immer noch ein großer Unterschied zwischen der jetzigen und ehemaligen Lage der Dinge, wenn es war ist, dass zu Peters I. Zeiten, vor seiner eingeführten Ordnung, kein Edelmann unter einem andern stehen wollte, dessen Vater weniger, als der seinige war. So weit gehen die Prätentionen doch letzt nicht. Überdies herrscht besonders bei dem Corps, wo Geschicklichkeit und Erfahrung am wenigsten entbehrt werden können, bei der Artillerie und dem Ingenieurcorps, die gehörige Ordnung. Da muss jeder, nicht bloß

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dem Scheine nach, von unten auf dienen, da findet das Einschieben der Gardisten und das Versetzen wenig oder gar nicht statt. Weit eher geschieht es, dass ein Artillerieoffizier zu einem Feldregiment übergeht, weil er da um einen Schritt höher angestellt wird, und Hoffnung hat zu den großen Vorteilen eines Obersten zu gelangen, welche bei der Artillerie teils nicht in eben dem Maße statt finden sollen, teils dem General zukommen. Auf diese Beweise von wirklich guter Ordnung mag noch zuletzt ein Zug von Strenge folgen, der gegen die angeführten Missbräuche stark absticht. Ich habe schon gesagt, das man oft wider seinen Willen zum General gemacht wird; jetzt setze ich noch hinzu, dass ein gezwungenes Avancement selbst in andern Fällen nicht vermieden werden kann. Der Oberstleutnant S.... war Platzmajor in Riga, und hoffte es Zeit seines Lebens zu bleiben. Denn in der Tat avanciert man da der Regel nach nicht weiter, und die Stelle ist sehr gut. Als er aber die Geschicklichkeit gehabt hatte, einen verschmitzten Spion zu fangen,

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wurde er zum Oberstleutnant ernannt, und musste deswegen seinen guten Posten aufgeben. Einwendungen dagegen wären als eine Verachtung der bewiesenen Gnade angesehen worden. Dies geschah zwar nicht unter der jetzigen Regierung; die Grundsätze haben sich aber hierin nicht geändert. Während meines Aufenthalts in Riga musste sogar der Lazarettarzt in Riga ein solches gezwungenes Avancement, wenigstens dem Scheine nach, annehmen. Er wurde von Riga nach Sibirien versetzt und konnte nichts weiter tun, als das er von da aus um seinen Abschied bat. Heißt dies nicht strenge Ordnung?


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