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Einführung: Lebenlauf / Literarische Erzeugnisse

Erste Sammlung: Brief I. / Brief II. / Brief III / Brief IV / Brief V / Brief VI / Brief VII / Brief VIII

Zweite Sammlung: Brief IX / Brief X / Brief XI / Brief XII / Brief XIII

Dritte Sammlung: Brief XIV / Brief XV / Brief XVI/Biographie

Ambrosius Bethmann Bernhardi (1756- 18o1)

Die literarischen Erzeugnisse von A.B. Bernhardi

Züge zu einem Gemälde des Russischen Reichs unter Catharina II.
gesammelt bey einem vieljährigen Aufenthalte in demselben. In vertrauten Briefen 1799.

2. Sammlung 1799, 294 Seiten, Brief IX - XIII

Die Bedingung, unter der ich die zweite Sammlung dieser Züge angekündigt habe, ist erfüllt worden. Was mir mehrere Männer von Bedeutung schmeichelhaftes darüber privatim gesagt und geschrieben haben, übergehe ich und berufe mich nur auf die Rezension in den so schätzbaren Göttingschen gelehrten Anzeigen. Auch die Rezension in der allgemeinen Literaturzeitung ist nicht ungünstig, wenn gleich zum Teil, nicht nur nach meinem, sondern auch nach anderer Personen Urteile, etwas sonderbar. Diesen Teil zu zergliedern hätte ich freilich Lust, ich tue es aber nicht, aus Furcht der Rezensent möchte das Lob der Bescheidenheit,das er mir erteilt, zurück nehmen. Das diese Züge in Russland und Österreich verboten worden sind, ist zu sehr in der Regel, als das dies gegen den Wert derselben beweisen könnte. Übrigens berufe ich mich bei dieser zweiten Sammlung auf die Vorrede der ersten.
Der Verfasser.

Inhaltsanzeige

IX. Brief
Gründung und Geist der neuen Volksschulen in Russland. Gefahr, dass sie wieder eingehen werden. Noch bestehender Mangel an Unterricht auf dem Lande. Veränderung in der äußeren Verfassung der Petrischule zu Petersburg. Streit darüber; sonderbares Ende desselben. Verwandlung eines Teils des Lyzeums und der Domschule zu Riga in Volksschulen. Langwieriger Streit darüber zwischen der Stadt und der Regierung. Endlicher Sieg der Stadt. Allgemeine Bemerkungen über die Schulen derselben. S. 1-60. X. Brief.

X. Brief
Landkadetten Korps in Petersburg. Geringer Nutzen desselben, Ursachen hiervon: Untauglichkeit und Pflichtvergessenheit der Lehrer und Aufseher; fehlerhafte Einrichtung --- Die Universität zu Moskau. Innere und äußere Verfassung derselben. Manches Nachahmungswürdige dabei. Größe und Güte des Waisenhauses zu Moskau. Rüge eines Mangels in demselben. Privatlehrer in Russland. Seltenheit der guten. Unbesonnenheit in der Empfehlung und Annahmen der untauglichen. Anstalten dagegen. Benehmen und äußere Lage der Erzieher und Lehrer. S. 61-116.

XI. Brief
Der Zustand der Leibeigenen. Verschiedenheit desselben bei den ehemaligen Polen, Letten, Esten und Russen. Gesetzmäßiges Verhältnis der Herren in Liefland zu den Leibeigenen. Charakteristische Züge der ersten. Geringere Bedrückung der leibeigenen Russen. Ursachen dieses Unterschieds bei Gesetzen, die noch härter für die Russen als für die Letten sind: Schwierigkeit die rohen Produkte in Menge vorteilhaft abzusetzen, Mannigfaltigkeit der Gewerbe der Leibeigenen, Verwandlung der Frohnen in Geld, Branntweinmonopol der Krone, Ursprung der Leibeigenschaft in Russland. Inhumanität des russischen Adels gegen die Leibeigenen. S. 117-175.

XII. Brief
Günstige und ungünstige Darstellung des Charakters der Russen. Ungrund des Vorwurfs der Trägheit. Wahrscheinliche Ursachen dieses Vorwurfs. Bemerkungen über andere beigelegte Charakterzüge: den knechtischen Sinn, die Feigheit, die grobe Sinnlichkeit und die Eigennützigkeit. S. 176 - 247.

XIII. Brief
Hindernisse der Kultur in den höheren Ständen: schlechte Erziehung, frühzeitiges Avancement, übermäßige und unverdiente Belohnungen, gesetzmäßiges Verhältnis der befehlenden Klasse zu der dienenden. Stolz eines eroberten Volkes. Hindernisse der allgemeinen Kultur; Eingeschränktheit des Mittelstandes, strenge und verzögerte Zensur, geheiligter Aberglaube. Denkungsart der russischen Geistlichkeit. Toleranz und Intoleranz der herrschenden Religion. Hindernisse des Einflusses der Religion auf das Leben der Letten. Liberaler Geist des Protestantismus in Liefland. Beispiel seltner Toleranz und Gewissenhaftigkeit in dem Haupte desselben. S. 248-282.

Anhang : Über Herrn Merkel erneuerten Anklage des alten Magistrats in Riga, und eben desselben Darstellung des Einflusses der russischen Stadtordnung auf die Sitten von Riga.

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Brief IX.

Gründung und Geist der neuen Volksschulen in Russland. Gefahr, dass sie wieder eingehen werden. Noch bestehender Mangel an Unterricht auf dem Lande. Veränderung in der äußeren Verfassung der Petrischule zu Petersburg. Streit darüber; sonderbares Ende desselben. Verwandlung eines Teils des Lyzeums und der Domschule zu Riga in Volksschulen. Langwieriger Streit darüber zwischen der Stadt und der Regierung. Endlicher Sieg der Stadt. Allgemeine Bemerkungen über die Schulen derselben. S. 1-60. X. Brief.

Sie finden die Ursachen, welche ich in meinen letzten Briefen von der Unzufriedenheit in Liefland über die russische Regierung angeführt habe, zahlreich, und doch muss ich noch eine hinzusetzen, die vor einigen Jahren entstand, und die ich bisher mit Stillschweigen überging, weil sie mit einem Gegenstand zusammen hängt, über den ich Ihnen viel zu sagen habe --- mit dem Schul- und Erziehungswesen in Russland. Auch werde ich Ihnen erst einige allgemeine Bemerkungen darüber mitteilen, ehe ich auf jene Ursache komme.

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An eigentlichen Gelehrten fehlte es seit Peter I. in Russland nicht, und ihre Zahl hat sich immer vermehrt. Aber diese Gelehrten waren Anfangs größtenteils Ausländer; und gesellten sich zu denselben nachher auch Einheimische, so hatten denn doch weder jene noch diese einen namhaften Einfluss auf die Bildung der ganzen Nation. An Einrichtung von Schulen für den gemeinen Mann dachte erst Katharina II. mit Ernst; und sie führte den Plan aus, welchen gewissermaßen Büsching angegeben hatte.*) Um Volksschulen anzulegen, musste sie Lehrer dazu bilden lassen.

*) Büsching erzählt in seiner Lebensbeschreibung, er habe der Kaiserin ausdrücklich gesagt, nicht fremde Gelehrte, sondern gebildete Russen allein könnten allgemeine Kultur herbei führen, und sie solle daher zur Beförderung der allgemeinen Bildung Lehrer aus den Eingebornen des Landes zu ziehen suchen. Schon Peter I. hatte, wie man sagt, bei dem Plan zu einer Akademie diese Absicht mit gehabt. Aber der Tod verhinderte ihn, die Akademie selbst zu stiften und als sie unter Katharina I. zu Stande kam, wurde sie hauptsächlich eine Anstalt zur Erweiterung der Wissenschaften.

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In dieser Absicht errichtete sie in Petersburg ein Seminar, in welchem nicht nur Unterricht, sondern auch der Lebensunterhalt unentgeldlich gegeben wurde. Wie groß diese Anstalt sein musste, kann man leicht übersehen, wenn man bedenkt, das drei bis vier hundert Schulen in wenig Jahren hinter einander angelegt, und aus dem Seminar mit Lehrern versorgt werden --- dass die Hauptvolksschulen in den Gouvernements Städten sechs und die in den Kreis Städten zwei Lehrer erhalten sollten. Doch nicht allein die Größe des neuen Schulplans sondern auch die Beschaffenheit desselben zieht die Aufmerksamkeit an sich. Selbst in den kleineren Schulen wurden Geographie, Geschichte, Grammatik der Landessprache, und das, fast eben so nützliche als vernachlässigte, Zeichnungen zu Gegenständen des Unterrichts gemacht; und in den Hauptschulen der Gouvernements Städte kamen noch dazu Geometrie, Mechanik, Physik, Naturhistorie und Baukunst, eine ausländische Sprache, die in der Nachbarschaft gesprochen wird,

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und die lateinische für solche Schüler, die das Studieren auf Gymnasien und Universitäten fortsetzen wollen. Auch soll jede Hauptvolkshochschule eine Sammlung von Büchern, Naturalien, mathematischen und physikalischen Geräten, Zeichnungen und Modellen haben. Die Volksschulen sollten also nicht nur allgemeine Bildung des männlichen und weiblichen Geschlechts bewirken, und diejenigen Kenntnisse beibringen, welche in Deutschland auch für den Dürftigsten als notwendig angesehen werden, sondern auch solche, welche teils den Handwerker und Kaufmann über das Gewöhnliche erheben, teils den Knaben von vorzüglichen Fähigkeiten in Stand setzen, das zu werden, was er nach seinen Anlagen werden kann. Ob die Bildung der Lehrer im Ganzen diesen Absichten entsprochen habe, kann ich freilich nicht bestimmt sagen; zwei Lehrer aber, die an der russischen Volksschule in Riga angestellt waren, befriedigten die Erwartung.

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Der eine besonders ist ein in seiner Art ausgezeichneter Mann. Er besitzt nicht nur sehr mannigfaltige Kenntnisse, versteht deutsch, französisch und lateinisch, sondern ist auch in seinem Lieblingsfache, der Physik und Mathematik, so weit gekommen, das ihm nur die Zeit fehlt, um diese Wissenschaften ganz zu umfassen. Sehr gut scheint mir die Einrichtung zu sein, das die Geistlichkeit von allem unmittelbaren Einfluss auf die neuen Schulen ausgeschlossen wurde. Schon in andern Ländern ist es nicht selten nachteilig, das die Geistlichkeit die Direktion der Schulen hat. Die Vermannigfaltigung und zweckmäßige Bestimmung der Lehrgegenstände hat wohl deswegen hier und da noch keinen sonderlichen Fortgang, weil dieser oder jener geistliche Inspektor bei dem engen Kreise seiner Kenntnisse und der pedantischen Wertschätzung derselben schwer zu bewegen ist, den alten gebahnten Weg zu verlassen. In Russland würde die Einmischung der Geistlichkeit in das neue Schulwesen noch mehr Schaden als in andern Ländern gehabt haben.

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Sie ist zwar nicht so unwissend, als sie bisweilen vorgestellt wird, aber doch wohl in Rücksicht auf allgemeine Kenntnisse noch mehr zurück, und bei aller Wichtigkeit, die man ihrem Amte zuschreibt, im Ganzen von den höheren Ständen weniger geachtet als die Geistlichkeit bei uns. Übrigens ist es mir merkwürdig, das fast zu gleicher Zeit in dem freien Frankreich die alten Schulen, und in dem despotischen Russland die neuen dem geistlichen Stande entzogen wurden.
Mit Frankreich hat Russland in Beziehung auf die Schulen auch dies gemein, das jede Züchtigung mit Schlägen durchaus verboten ist. Wird darüber vielleicht nicht ganz genau gehalten, so geschieht es nach meiner Erfahrung doch mehr, als man vielleicht denkt. Selbst in einem Fall, wo körperliche Strafe sehr zweckmäßig schien, weil das Vergehen eine grobe körperliche Beleidigung gewesen war, wies der Gouverneur in Riga, der darum gefragt wurde, auf ausdrücklichen Befehl der Kaiserin zurück.

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Dieser ist schon an sich merkwürdig --- da es wenige Staaten gibt, wo man von der Regierung aus so bestimmt für die schonende Behandlung der Schüler gesorgt hat --- er wird aber noch merkwürdiger, wenn man bedenkt, das die meisten Kinder in den Volksschulen einst, wenn sie erwachsen sind, körperlichen Züchtigungen bei Vergehungen ausgesetzt sind.
Denn nicht nur leibeigne Kinder, die in ziemlicher Anzahl die Schule besuchen, sondern auch alle diejenigen, welche einst nur kleine Bürger werden, stehen im reiferen Alter unter dem Stocke. Man kann daher jenen Befehl tadeln und loben.
Tadeln, weil eine ganz ungewohnte Behandlung im reiferen Alter leicht zur Rache reizt. Loben, weil die Furcht vor einer ganz ungewohnten Strafe einen eigenen Eindruck machen muss. Ich bin für das Loben nicht nur aus der eben angeführten Ursache, sondern auch noch aus einer anderen, welche vielleicht die Kaiserin bestimmte. Sie wußte wahrscheinlich sehr wohl, wie häufig und

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wie unverantwortlich das wahre oder vermeinte Recht zu züchtigen von vielen Lehrern so gut als von Älteren missbraucht wird, ja wie leicht eine Übereilung ist, wenn jedes Vergehen auf der Stelle mit Hand, Rute oder Stock geahndet werden darf. Diesem Übel, und allen daraus entstehenden schrecklichen Folgen zuvor zu kommen, ist es besser, zu wenig als zu viel zu erlauben, zumal in einem Lande, wo man, an manche Härte gewöhnt, so leicht verleitet werden kann, dieselbe bis auf die unschuldige Jugend zu erstrecken. Das überhaupt nur selten zu körperlichen Züchtigungen geschritten werden müsse, hat man von Basedows Revolution an immer mehr eingesehen und befolgt. Gestattet sowohl er selbst, als auch die große Zahl seiner Nachfolger noch Ausnahmen von der Regel, so bleibt immer die Frage: ob nicht durch andere Strafmittel eben derselbe Zweck erreicht werden könne? Man hat in deutschen Schulen vorzüglich die Zensuren dazu gebraucht. Dieses Mittel ist auch für die russischen Schulen eingeführt, und kann,

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der vorgeschriebenen Einrichtung nach, mehr Nachdruck haben als in Deutschland. Die erste Person einer Provinz, der Gouverneur derselben, soll als Kurator der Schulen sich alle Monate die Zensuren einreichen lassen, und sie dann an die Schulkommission schicken. Wird darüber eben nicht strenge gehalten, so ist doch im Notfall der Gouverneur bei der halbjährigen Prüfung zugegen, und kann da mit dem ganzen Gewicht seiner Würde gewiss nicht wenig auf solche Gemüter wirken, die noch durch Züchtigungen zu bessern wären, da es sich übrigens versteht, dass das Verbot körperlicher Strafen den Kindern nicht publiziert wird. Das der Gouverneur Kurator der Schulen ist, und als solcher 1000 Rubel Zulage zu seinem ehemaligen Gehalt bekommen hat, zeugt von der Wichtigkeit, welche die Regierung auf das Schulwesen legte. Man sieht dies aber auch sonst an der Achtung, welche sie den Männern, die bei den Schulen angestellt sind, erzeigt wissen will.

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Hat der Direktor nicht schon seiner anderen Ämter wegen einen hohen Rang, so wird er auf sein Verlangen gewöhnlich zum Hofrat ernennt. So wenig dies in manchen Ländern sein würde, so viel ist es in Russland, da dieser Titel Obristlieutenants Rang gibt. Der Direktor der russischen Volksschule in Riga ist Regierungsrat und von Adel. Die Lehrer haben zwar keinen bestimmten Rang ; es wurde aber in der Schulinstruktion ausdrücklich gesagt, das sie als Männer geachtet werden sollten, die in kaiserlichen Diensten stehen; und sie wurden in Riga wirklich als solche aufgenommen. Der Gouverneur Bechluschef lud sie zur Tafel, vom ersten bis zum letzten, obgleich dieser im eigentlichen Verstande nichts mehr als bei uns ein kleiner Schulmeister oder sogenannter Kinderlehrer ist. Als solcher kann er auch gewiss in Vergleich mit andern Staatsbeamten, oder auch mit seinen Kollegen in andern Ländern mit dem zufrieden sein, was die Krone für seinen Unterhalt tut; denn die Schüler bezahlen gar nichts.

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Er hat, wie alle neuangestellte Lehrer, Wohnung, Holz, Licht und Bedienung frei, und 150 Rubel Gehalt --- ohne dafür die mannigfaltigen Nebengeschäfte zu verrichten, welche sonst die Schulmeister außer ihren Lehrstunden drücken. An den zahlreichen Feiertagen ist er ganz frei; und die Zahl der Lehrstunden ist nur an vier vollen Arbeitstagen in der Woche höchstens sechs. Übrigens steigt der Gehalt bis auf 400 Rubel. So gut dies alles ist, so schlimm ist es, dass das Seminar der Volkslehrer aufgehoben wurde, so bald die Schulen im Gange waren. Wie die abgehenden Lehrer derselben ergänzt werden können, ist gar nicht abzusehen. Es sollen zwar in den Hauptvolksschulen Lehrer für die kleineren vorbereitet werden; aber wo kommen denn die Lehrer für die ersten her? Und das was für die anderen geschehen kann ist doch nicht sobald getan. Das die Schwierigkeiten, die daher bei der Besetzung der Stellen entstehen, nicht gering sind, sah ich zweimal in Riga. Ein Lehrer war da ein Taugenichts höchstens;

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denn auch von dieser lernen wohl viele Kinder nichts, als was sie von ihren Eltern hören, oder bei dem öffentlichen Gottesdienst sehen, da oft mehrere weit entlegene Dörfer zu einer und eben derselben Kirche gehören. Gut währe es indessen immer, wenn die Geistlichen schon von Amtswegen gehalten wären, den allgemeinen Unterricht auf dem Lande in so weit zu besorgen, als es möglich ist. Sie haben viel mehr Zeitübrig als die Geistlichen als bei uns. Denn der größere Teil ihrer Amtsgeschäfte ist mechanisch, da sie selten oder gar nicht eine selbst gemachte Predigt halten. Auch lehren sie wirklich jetzt lesen und schreiben; aber dies hängt teils von ihrem guten Willen, teils von der Bereitwilligkeit der Herrschaft oder der Eltern ab, ihnen ihre Mühe zu vergüten.
In liefland ist das anders. Da sind nicht nur besondere Personen bestellt, welche die Jugend auf dem Lande unterrichten sollen, sondern auch die Geistlichen gehalten, sowohl die Oberaufsicht über diesen Unterricht und lief,

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nachdem er viel Schulden gemacht hatte, davon. Seine Stelle blieb unbesetzt, und wurde ihm selbst wieder übertragen, als er nach halbjähriger Wanderung zurück kam --- weil man kein anderes Subjekt hatte. Aus gleichem Grunde suchte ein anderer Lehrer umsonst um seine Entlassung an. Werden also keine zweckmäßigen Vorkehrungen getroffen, so müssen die Volksschulen entweder wieder eingehen, oder mit untauglichen Menschen besetzt werden. Überdies ist auch unter der Voraussetzung, das sie bestehen,für die Dörfer immer noch nicht gesorgt. Das von den älteren Landsleuten fast keiner schreiben oder nur lesen kann, ist eine bekannte Sache. Von den jüngeren können zwar jetzt viele beides, aber diese viele sind in Verhältnis zu der ganzen Volksmasse doch wenig; und wie kann das anders sein? Eigentliche Schulen sind im innern Russlands auf dem Lande noch gar nicht. Die Geistlichen daselbst unterrichten von Amtswegen die Jugend höchstens in den ersten Grundlehren der christlichen Religion.

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Ich sage zu führen, als auch die Jugend, wenigstens in dem Alter, wo sie zur Kommunion geht, in der Religion selbst zu unterrichten. Abgerechnet aber, das die Schulmeister größtenteils wenig verstehen, und irgend ein Handwerk nebenbei treiben, so sind sie noch nicht lange genug so allgemein, das die meisten Alten lesen könnten. Das machte sonst, und macht vielleicht auch noch jetzt bei dem öffentlichen Gottesdienst eine Einrichtung nötig, die den Nutzen desselben in meinen Augen sehr verringert. Der Küster musste nämlich jede Zeile der Lieder vorsagen, ehe die Gemeinde sie sang.
Wie langweilig! Ich kehre zu der neuen Schuleinrichtung in den Städten zurück. Mit der Einrichtung der Volksschulen wurde zugleich eine allgemeine Norm für den Unterricht in denselben festgesetzt, und ausdrücklich bestimmt, das die Lehrer weder andere als die vorgeschriebenen Bücher*)

*) Von den verfertigten Schulbüchern sind sieben auch in deutscher Sprache gedruckt. Bei diesen Übersetzungen finden sich zugleich einige zweckmäßige Abänderungen. In dem Original des einen heißt es z.B. ohne irgend einen Unterschied zu machen: Die Schüler sollen während der Fastenzeit beichten und kommunizieren; in der deutschen Ausgabe hingegen: Es sollen während der Fastenzeit alle diejenigen Schüler kommunizieren, welche bei der öffentlichen Prüfung dazu für fähig erkannt und konfirmiert worden sind.

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gebrauchen, noch die Gegenstände auf eine andere Art behandeln sollten. Für die Lehrer der kleineren Schulen, und die der unteren Klassen in den größeren wurde ein besonderes Methodenbuch gedruckt, und für die Lehrer in den oberen Klassen die zu befolgende Methode bei jedem Gegenstand des Unterrichts in dem dazu bestimmten Lehrbuch vorgeschrieben. Diese Vorkehrungen hatten im allgemeinen für Russland unstreitig ihren großen Nutzen. Waren sie gleich für einen Teil der neuangestellten Lehrer unnütz, ja vielleicht schädlich, so wurde dieser Schaden doch gewiss von dem Nutzen aufgewogen, der bei der Schwäche vieler neuen Lehrer für die neu errichteten Schulen daraus entsprang.

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Denn so gut auch das Seminar an sich sein mochte, so konnte es doch so viele Subjekte, als zu den neuen Schulen erfordert wurden, in wenig Jahren nicht hinlänglich ausbilden. Auch schien es offenbar, das jene Regeln nur um der vorausgesetzten Schwachheit der Lehrer willen gegeben worden, sein; da von der Befolgung derselben alle schon bestehende privilegierte Schulen ausgenommen wurden. Allein das Streben alles in der pädagogischen Verfassung, wie in der bürgerlichen, durch das ganze Reich auf gleichen Fuss zu setzen, veranlasste manchen Kampf, wobei, wie gewöhnlich, jede streitende Partei zum Teil Unrecht hatte, und Leidenschaften im Spiel waren. Mir ist dieser Kampf in mehr als einer Rücksicht merkwürdig gewesen. Unter der Voraussetzung, das er es auch Ihnen sei, werde ich mich etwas länger dabei aufhalten. Ist er ihnen unwichtig, so rate ich Ihnen den übrigen Teil dieses Briefes als ungeschrieben zu betrachten.

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Die privilegierten Schulen waren, wie ich schon oben angeführt habe, selbst nach der kaiserlichen Ukase, der neuen Schulform durchaus nicht unterworfen. Welche Schule hätte nun wohl mehr privilegiert genannt zu werden verdient, als die von Büsching in Petersburg gestiftete Petrischule? Auch konnte sie in vollkommener Ruhe bleiben, da sie gar nicht aufgefordert wurde, irgend eine Veränderung in ihrer innern oder äußern Verfassung zu machen. Gleichwohl tat die Inspektion der Schule einen Schritt, der die Nichtexistenz eines Privilegiums voraussetzte, und nachher sehr sonderbare Maßregeln veranlasste, um nur dasjenige wieder zu erringen, worauf man ohne Not Verzicht getan zu haben schien. Die Inspektion entschloss sich nämlich bei Gelegenheit der neuen Schuleinrichtung die Petrischule der Kaiserin zu empfehlen. Dies geschah zwar in so unbestimmten Ausdrücken, das man eigentlich nicht sehen konnte was sie wollte; auch mochte sie es im Ganzen selbst nicht wissen. Allein ihre Äußerung wurde so ausgelegt,

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als wolle die Petrischule gern in den allgemeinen Plan des neuen Schulwesens gezogen sein. Dieser Auslegung gemäß, erhob die Kaiserin jenes Institut zur vornehmsten Hauptvolksschule der Deutschen im ganzen russischen Reiche, machte den bisherigen Spezialinspektor derselben zum Direktor mit 700 Rubeln Gehalt, und setzte dem Personal der General Inspektion, welches aus dem Patron, den Pastoren und einigen Ältesten der Petri Kirche bestand, einen eigenen Kronkommissarius bei. Das diese Veränderung allen Gliedern recht gewesen sei, lässt sich bezweifeln. Da indessen dieselbe, wenigstens dem Anscheine nach, eine Gnade war, und das Innere nicht zu treffen schien; so war auch für die Unzufriedenen kein Mittel da, derselben auszuweichen. Sie schienen ja selbst die Veränderung gewünscht zu haben! Uns mit den Gnadenbezeichnungen ist es in Russland eine eigene Sache. Man muss sich oft denselben, wie den Strafen unterwerfen. Nur ein Mann gewann, oder glaubte zu gewinnen --- der Direktor. Er hatte als Spezialinspektor

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in einer für ihn lästigen Abhängigkeit von der Generalinspektion gestanden. Wurde diese Abhängigkeit jetzt nicht aufgehoben, so wurde sie doch gemildert; und das Verhältnis des Direktors zu den einzelnen Mitgliedern Kollegiums schien umgekehrt zu sein. Als kaiserlicher Diener glaubte er weit weniger den Ältesten und den Pastoren der Kirche unterworfen zu sein, ja im Gegenteil ihnen seine Vorschläge und Einrichtungen aufdrängen zu können. Auch würden diese Männer in der Tat einen schlimmen Stand haben, wenn er sich begnügt hätte, bloß das Innere der Schule dem normalen Plan anpassen zu wollen, zumal da sowohl der kaiserliche Kommissarius Graf Münnich als der Pastor Wolf, wie man sagt, gewissermaßen auf seiner Seite waren. Allein er wollte seine Gewalt zu weit treiben, und stürzte sich selbst, indem er sich zu erheben trachtete. Nicht zufrieden mit einem gewissen Übergewicht, und mit mancherlei Vorteilen, die er sich in seiner äußeren Lage zu verschaffen wußte, betrug er sich sehr stolz gegen diejenigen Personen,

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von denen er zuvor abgehangen hatte, und maßte sich Dinge an, die Ihm auf keine Weise geziemten. Wenn die Ältesten der Kirche zu ihm kamen, so spielte er nicht nur den großen Herrn gegen sie, sondern erklärte auch wohl, sie hätten kein Recht in seine Einrichtung zu sprechen. Gleichwohl hatten sie offenbar dies Recht, als er seine eigne Wohnung in dem der Gemeinde zuständigen Schulgebäude, zum Schaden der Lehrer, auf eine übertriebene Weise erweiterte. Die Sache kam bei der Generalinspektion zur Sprache, blieb aber wieder liegen, nachdem der Direktor den Pastor Lampe so hart mitgenommen hatte, das dieser erklärte, er werde nie wieder in die Versammlung kommen, so lange die Sachen auf diesem Fuße stünden. Da der Direktor eben dies gewünscht, und nun erreicht hatte, so fielen mehrere der nachfolgenden Konferenzen ruhig aus, und die Lage der Sachen schien im Ganzen leidlich zu sein. Dies teilte der General Rehbinder, Patron der Kirche, dem Pastor Lampe mit, um ihn zu bewegen, bei den Konferenzen wieder zu erscheinen.

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Er kam, allein seine Erscheinung weckte sogleich die Galle des Direktors und bewog diesen zu einem Betragen, das dem vorigen ähnlich war. Der Pastor, in seiner Hoffnung getäuscht, sprach ebenfalls mit Stärke. Kurz es entstand eine Art von Tumult, worin auch der Sekretär oder Protokollist die Partei des Direktors ergriff. Dies wurde die Losung zu sehr gewaltsamen Maßregeln.Der General Rehbinder von dem Pastor aufgefordert, dem Subaltern Stillschweigen aufzulegen, befahl ihm nach einem Wortwechsel, zu protokollieren, daß er abgesetzt sei. Gegen diesen Machtspruch nahm sich nun wieder der Direktor des Sekretärs an. Allein General Rehbinder erwiderte, das, wenn er (der Direktor) in seinem Ton fortführe, ebenfalls für abgesetzt zu halten sei. Diese Äußerung nahm der Direktor mit Hohnlachen auf, und reizte dadurch den General so, das dieser seine Drohung vollzog. Der Kronkommissarius konnte eine solche Gewalttätigkeit nicht gleichgültig aufnehmen, und schlug sich ganz auf die Seite des Direktors.

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Allein der General Rehbinder blieb bei seinem Entschluss, und gab die Versammlung auf. Der Direktor glaubte immer noch, man könne jenen Entschluss gar nicht ohne anderweitige Untersuchung und ohne Zuziehung der kaiserlichen Schulkommission ausführen, und bekümmerte sich wenig um die wiederholte Aufforderung, seine Wohnung zu verlassen. Er blieb darin, und setzte seine Amtsgeschäfte fort, bis ihm von Seiten der Polizei angekündigt wurde, das er binnen drei Tagen auszuziehen, oder gerichtliche Exekution zu erwarten habe. Nun sah er, das die Drohung Ernst war, und tat einen Schritt, den er längst hätte tun sollen; er wandte sich mit einer förmlichen Klage an die Schulkommission, und durch diese an die Kaiserin. Da indessen darauf keine baldige Resolution erfolgte, und er seine Gegner kennen gelernt hatte, so bequemte er sich seine Schulwohnung zu räumen, in der Hoffnung, dieselbe bald wieder zu beziehen. Seine Stelle wurde sogleich von der Schulinspektion wieder besetzt, und zwar in aller Rücksicht so, wie vor der neuen Einrichtung.

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Die Schulkommission wurde dabei ganz übergangen, und der Titel eines Direktors wieder in den eines Inspektors verwandelt, obgleich nur auf kurze Zeit. Natürlicher Weise erkannte ihn die Schulkommission nicht an,*) gleichwohl nahm sie von ihm Berichte und Anzeigen an, und ließ es zu, das ihm die kaiserliche Besoldung eines Direktors ausgezahlt wurde. Wie dergleichen Widersprüche vereinigt werden können, begreife ich nicht recht. Vielleicht konnte oder wollte die Schulkommission ohne ausdrückliche Genehmigung der Kaiserin nichts bestimmtes tun, da um eben die Zeit, als dieses Ereignis vorfiel, der Chef der Schulkommission einen großen Teil seines Ansehens verloren hatte, der General Rehbinder hingegen in großen Gnaden stand, und da die Regierung in solchen Angelegenheiten keine bestimmte Kraft zu zeigen geneigt war,

*) Dies bezieht sich bis auf den Anfang des Jahres 94. Wie es nachher geworden ist, weiß der Verfasser nicht.

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wie aus dem Ende der vorliegenden Streitigkeit, und aus dem Gange einer andern Schulangelegenheit hinlänglich erhellt.Denn nach einiger Zeit wurde der Schulinspektion allerdings, im Namen der Kaiserin, Verantwortung wegen der Absetzung des Direktors abgefordert, aber auf seine Art, die es ihr leicht machte, sich zu rechtfertigen. Anstatt ihr ganzes Verfahren zu kaschieren, wurde nur höflich angefragt, aus welchen Gründen der Direktor abgesetzt worden sei --- und Gründe, die sich zu einer nicht an sich verwerflichen Handlung leicht finden lassen, waren vorzüglich im vorliegenden Falle nicht schwer zu finden. Außer dem anmaßenden Betragen hatte sich der Direktor sehr unvorsichtige Reden über die Religion in Gegenwart der Schüler zu Schulden kommen lassen. Diese wurden als der Hauptgrund seiner Absetzung angegeben, und ohne weitere Untersuchung angenommen. Es geschah nichts weiter. Die Schulinspektion blieb in Besitz ihrer alten Rechte, und hatte von Seiten der Krone keine Beeinträchtigung weiter zu fürchten.

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Denn selbst der Kronkommissarius erschien seit der Absetzung des ehemaligen Direktors nicht wieder in den Schulkonferenzen --- und dieser, ohne Hoffnung etwas auszurichten, ging nach Deutschland zurück, wo das Maß seines Unglücks, das ihn Schlag auf Schlag traf, voll wurde. Kurz nach seiner Absetzung verlor er fast sein ganzes Vermögen, 14 bis 16000 Rubel, dann brach er ein Bein, und in Deutschland soll er blind geworden sein. Solch Ungemach verdient Schonung, wenn auch selbst der Anfang desselben verschuldet war; und das im Ganzen bei der vorliegenden Angelegenheit widerrechtlich verfahren worden sein, ist in meinen Augen keinen Zweifel unterworfen.
In Petersburg trug die alte Schulinspektion über die Angriffe auf ihre Rechte, einen ziemlich leichten Sieg davon; in Riga wurde ihr derselbe viel schwerer, vielleicht eben deswegen, weil die neue Einrichtung nicht nur äußere sondern auch die innere Verfassung traf.

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Doch ich will Ihnen den Gang der Dinge ausführlich darstellen, da er von dem schon dargestellten ganz verschieden ist.
Als die neue Schuleinrichtung im ganzen russischen Reich eingeführt, und der Gouverneur jedes Gouvernements zum Kurator der Schulen desselben ernannt wurde, war dieser in Riga der schon genannte General Bekleschof, ein Mann nicht nur von vielen Verstande und großer Tätigkeit überhaupt, sondern auch insbesondere voll Eifer für das Schulwesen. Wie er sich desselben annahm, hat es vielleicht kein Gouverneur im ganzen russischen Reiche getan. Aber eben dieser Eifer, verbunden mit einer gewissen Herrschsucht, vermochte ihn zu Schritten, welche ihn einem großen Teil der rigaischen Einwohner gehässig machten, und alles Gute, was er in dieser Rücksicht tat, in Schatten stellten. Seine Absicht war unstreitig, gleich nachdem er zum Kurator der Schulen seines Gouvernements ernannt war, auch die zwei privilegierten Schulanstalten in Riga, das Lyzeum und die Domschule, in vollkommene Abhängigkeit von sich zu bringen; er verfuhr aber dabei Anfangs mit vieler Feinheit, und zeigte erst dann große Energie, als die Feinheit nicht helfen wollte, wenigstens in Rücksicht auf die Domschule. Denn bei derselben gab es einen viel härteren Kampf, als bei dem Lyzeum. Dies letztere war schon lange zuvor gewissermaßen von dem Gouvernement abhängig gewesen, und wurde ganz abhängig von demselben gemacht, noch ehe man die neue Schuleinrichtung einführte. Es stand nämlich von alten Zeiten her zwar unmittelbar unter dem Generalsuperintendent, und erhielt seine Lehrer von dem Kirchen Kollegium, wovon er das Haupt ist, musste aber doch seine Lehrer von der Regierung bestätigen lassen. Als nun die sogenannte Statthalterschaftsregierung eingeführt wurde, und nach derselben Kirchen und Schulen unter dem Kollegium der allgemeinen Fürsorge stehen sollten, nahm sich der Gouverneur Bekleschof, als Präsident desselben, des Lyzeum eifrig an, wirkte bei der Kaiserin einen unmittelbaren Beitrag von 10000 Rubel zu einem neuen,

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sehr nötigen Schulgebäude aus, und ließ eins aufführen, das gewiss zu den schönsten Schulgebäuden gehört. Es kostete über 25000 Rubel. Eine solche Fürsorge von Seiten des Gouverneurs, hatte der Superintendent mit Dank angenommen; er sah es aber nicht gleichgültig an, als er merkte, das sie sich auch weiter erstrecken, und ihn eines Teils seines Amts überheben sollte. Die Sache kam zwischen ihm und dem Gouverneur hauptsächlich auf die Unterstützung, welche die Krone der Schule habe widerfahren lassen, und wollte dem Generalsuperintendent nichts weiter übrig lassen, als das Recht über den Religionsunterricht die Oberaufsicht zu führen. Nach vielen Unterhandlungen, wobei es mehr als einmal darauf stand, die unmittelbare Entscheidung der Kaiserin einzuholen, gab endlich der Generalsuperintendent nicht nur die Rechte auf, die man ihm streitig machte, sondern zugleich auch andere, die man ihm zwar zugestand, aber mit Einschränkung.

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Bisher nämlich war er auch der Oberalmosenpfleger gewesen. Dies sollte er bleiben, doch so, das er dem Kollegium der allgemeinen Fürsorge Rechnung ablegte.Diese Einschränkung sah er als unter seiner Würde an, und überdies die Besorgung der Armen ganz dem genannten Kollegium. Ich zweifle, das er wohl daran tat. Doch die Zweifelsgründe gehören nicht hierher. Ich fahre vielmehr in der Geschichte des Lyzeums fort. Der Herr desselben war der Gouverneur schon, als die neue Schuleinrichtung anbefohlen wurde, und es schien, als ob seine Absicht, aus untersten Klassen eine deutsche Hauptvolksschule zu machen, gar keine Schwierigkeit haben könnte. Gleichwohl wurde damit gezögert, und in der Folge sah man den Grund dieser Zögerung sehr wohl ein. Der Gouverneur wollte teils nicht bloß den Buchstaben der Verordnung befolgt wissen, teils keine neuen Streitigkeiten veranlassen. Aus diesem doppelten Grunde war es notwendig, das der Rektor die Hände zur neuen Einrichtung bot,

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oder wenigstens nicht gegen dieselbe eingenommen war. Weder das Eine noch das Andere erwartete der Gouverneur von den damaligen Rektor, der als schon bejahrter und ziemlich steif gesinnter Mann gar nicht geschickt schien, sich in einen neuen Gang der Dinge zu fügen, und überdies als Schwiegersohn des Generalsuperintendenten, diesen bewegen konnte, den vergessenen aber nicht förmlich abgetanen Streit aufs neue vorzunehmen. Er sollte also vor der Wiedergeburt der Schule anderwärts versorgt werden. Dies Versorgung erfolgte erst nach einem Jahre ungefähr, und nun wurde Hand an die Reform gelegt, doch so, das die zwei obersten Klassen im Ganzen ihre gelehrte Einrichtung behielten, und das den Lehrern der untern immer mehr Freiheit im Unterricht bleiben musste, als bei den russischen Schulen gestattet war. Denn da nur wenige von den Normallehrbüchern in deutscher Sprache vorhanden waren, so wurden nur die Gegenstände des Unterrichts verändert, und die Methoden der Hauptsache nach vorgeschrieben.

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Im Ganzen war auch gewiss die Reform heilsam. Nur zwei Stücke waren es, über deren Zweckmäßigkeit Zweifel entstehen konnten --- die wenigen lateinischen Stunden für die niedern Klassen, und die vielen russischen für die oberen.
Erst in der dritten Klasse von oben wird das Latein gelehrt, und zwar nur drei Stunden die Woche. Da nun doch aus dieser Klasse die Schüler gleich in die zweite kommen, wo ziemlich schwere Schriftsteller gelesen werden sollen, so ist es fast nicht möglich, das jener kurze Unterricht hinlänglich darauf vorbereite. Der zweite streitige Punkt betrifft die russische Sprache. Es war schon zuvor Unterricht darin im Lyzeum erteilt worden. Weil aber der Gouverneur, als kompetenter Richter und Liebhaber seiner Muttersprache, sehr gut und mit Missfallen sah, das gerade hierin die wenigsten Fortschritte gemacht wurden, so wollte er eine Änderung erzwingen, indem er mehrere Stunden für diese Sprache bestimmte. Dadurch wurde aber den andern Gegenständen zu wenig Zeit gelassen, und seine Absicht doch nicht erreichte.

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Der Grund des Übels lag nicht da, wo er ihn suchte. Mit der Hälfte der Stunden, die er anordnete, hätte zehnmal mehr getan werden können, wenn die Schüler nur den allergeringsten Fleiß gehabt hätten; und der Mangel an diesem kam hauptsächlich daher, das der größte Teil der Erwachsenen wo nicht eingewurzelten Hass, doch gänzliche Gleichgültigkeit gegen jene Sprache verrieten. Es ging mit derselben wie auf den sächsischen Fürstenschulen mit Physik und Mathematik. Wie viele Fürstenschüler mögen wohl sonst nur so viel Kenntnisse darin erlangt haben, als man jetzt von jedem vierzehn- oder fünfzehnjährigen Knaben verlangt, dem eine gute Erziehung zu Teil wird? Und woher dieser Mangel? --- Daher, dass Physik und Mathematik den alten Sprachen durchaus nachgesetzt und von den Lehrern der letztern, welche das Schulwesen dirigieren und Lob wie Tadel austeilen, so behandelt werden, als ob es Allotria wären. So nachteilig als dies Benehmen hier ist, so nachteilig war ein ähnliches auch dort, von Seiten der meisten Eltern.

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Unglücklicher Weise kam auch der Mangel an Autorität von Seiten der russischen Lehrer hinzu, wie auf den Fürstenschulen ein ähnlicher Mangel von Seiten des Mathematikus --- der stets den untersten Platz behält, wenn er auch den ersten verdiente.
Aus diesen Gründen konnte die Vervielfältigung der russischen Stunden nichts als Tötung der Zeit oder Unordnung bei den Schülern bewirken, die sich in nichts eine solche Nachlässigkeit erlaubten, als in Abwartung jener Stunden. Dies gilt nicht nur für das Lyzeum, sondern, auf eine gewisse Zeit, auch für die Domschule, wo gleiche Ordnung eingeführt wurde, und gleiche Unordnung, gleicher Unfleiss herrschte. Ich sage für eine gewisse Zeit, denn jetzt ist für gewissermaßen die alte Ordnung der Dinge wieder hergestellt. Dies beiläufig. Den ganzen Gang des Kampfes in Rücksicht auf die Domschule, will ich Ihnen jetzt näher anzeigen.

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Es gehörte dieselbe unstreitig zu den privilegierten. Denn sie hatte von jeher unter dem Stadtmagistrat gestanden, und die Aufsicht darüber war, so wie die über das Kirchenwesen, selbst bei Einführung der Stadthalterschafts Regierung unangetastet geblieben. Auch verfuhr der Gouverneur anfangs so sauber, das man eine gänzliche Umwälzung gar nicht vermutete. Er fing mit dem Äußern an, indem er das bisherige Schulkollegium, welches bloß aus Gliedern des Magistrats bestand, aufhob, und die Geschäfte desselben vor das Kollegium der allgemeinen Fürsorge zog. Diese Änderung erregte an sich kein großes Missvergnügen. Denn bei jenem Kollegium hatten auch zwei angesehene Mitglieder der Bürgerschaft Sitz und Stimme. Allein die Stimmung der vornehmeren Bürgerschaft änderte sich schon, als der Gouverneur auch eine Abänderung in der inneren Einrichtung der Schule erzwang. Anfangs hatte er, wie gesagt, allerdings einen sanften Weg eingeschlagen. Er besprach sich mit den Lehrern und forderte sie nur auf,

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die Schule so viel als möglich, dem neuen Plan zu akkommodieren, indem er wohl wisse, wie er ausdrücklich hinzusetzte, das eine gelehrte Schule Eigenheiten behalten müsse. Als nun aber jene, nach häufigen Konferenzen, nicht geneigt schienen viel Neues einzuführen, so wurde nicht nur aus dem vorigen Rate ein Befehl, sondern dieser erstreckte sich auch viel weiter als jener. Es wurden die untersten Klassen zu einer ordentlichen Volksschule umgeformt, und für sie, wie für alle Stadtschulen, ein eigener Direktor angestellt. Im Ganzen hatte diese Reform gewiss viel Gutes. Da die wenigsten Schüler in Riga zum gelehrten Stande bestimmt sind, so war es zweckmäßig, in der Hauptstadtschule vorzüglich für die übrigen Stände zu sorgen. Auch hatte sich der Gouverneur bei der Besetzung der Direktor Stelle dadurch vor unmittelbaren Vorwürfen geschützt, das er sie dem Oberpastor in der Stadt erteilte. Gleichwohl war man gegen diese Neuerung sehr erbittert, und selbst der Oberpastor musste von seiner Gemeinde viel leiden, weil er Direktor geworden war.

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Man fand teils, das er sich dem Gouverneur zu untertänig bewiese, teile, dass er mit dem Schulwesen nicht hinlänglich bekannt sei. Hierbei hätte man freilich bedenken sollen, das er, nach seiner eignen Erklärung, die Stelle nur deswegen angenommen hatte, weil sie sonst wahrscheinlich einer gewissen Zivilperson anvertraut worden wäre, die noch weniger Kenntnisse besaß, und gleiche Untertänigkeit wohl nur in so fern nicht bewiesen haben würde, als sie selbst despotisirt hätte. Man vergaß diese Betrachtungen, weil man unwillig gegen die ganze Einrichtung war, und in derselben nur die Verletzung der Stadtprivilegien sah. Das Missvergnügen hierüber stieg durch mancherlei Umstände, die teils von großer Wichtigkeit, teils sehr geringfügig waren, zu einem noch viel höheren Grade, als es an sich gewesen sein würde. Von Wichtigkeit war ein Machtspruch, durch den der Gouverneur die Rektorstelle ohne Stimmung der Mitglieder des Kollegiums der allgemeinen Fürsorge besetzte.

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Dieses hatte nämlich bei einer Vakanz auf Vorschlag des damaligen Inspektors D. Schlegel den jetzigen preußischen Regiments Quartiermeister Jakobi und damaligen Hofmeister in Liefland, schon nach Riga zur Präsentation beschieden, als der jetzige Direktor des kaiserlichen Lyzeums Götze, der einen jungen Liefländer nach Riga begleitet hatte, und nach einem sehr kurzen Aufenthalt daselbst schon im Begriffe war nach Deutschland zurück zu kehren, sich um die vakante Stelle bei dem Gouverneur meldete und sie von ihm erhielt. Bei dem Tausch hatte unstreitig die Schule gewonnen. Auch zweifelte D. Schlegel daran nicht. Allein er war nach seiner Meinung ziemlich starkkompromittiert, wenn er gleich dem Anfangs aufgeforderten Manne keine sichere Hoffnung gemacht hatte; und die Bürger sahen in diesem Beispiel die völlige Vernichtung ihrer Mitwirkung zur Besetzung der Schulstellen. Das Missfallen an dem Gange der Sache wurde auch wahrscheinlich nicht wenig dadurch verstärkt, das der neue Rektor in seiner Anzugsrede Dankbarkeit fühlen.

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das Gemälde von Russland und dem Gouverneur mit sehr schönen Farben entwarf. Die Leute wußten nichts von der Regel: dandum est aliquid oratori,*) und sahen in den Lobeserhebungen nur Schmeichelei. Auch bin ich eben kein Freund von jener Regel, und fand allerdings in der angeführten Rede vieles, was ist meiner Ansicht der Dinge nicht übereinstimmt. Aber nach einer Hyperbel in einer Rede muss doch nicht der ganze Mann beurteilt werden, --- und Götze sprach der höchsten Wahrscheinlichkeit nach wie er dachte und fühlte. Er war erst einige Monate in Riga, und hatte die russische Regierung nur von der schönen Seite kennen gelernt, von welcher sie ja so viele Männer betrachten. Für den Gouverneur insbesondere musste er hohe Achtung und

*) Diese Regel schien man indessen anzunehmen, als eben dieser Gouverneur Riga verlies, und bei einem Mal, das ihm die Bürgerschaft gab, den öffentlichen Dank für seine Bemühungen zum Besten der Stadt erhielt. Doch war wohl mancher Bürger weder mit dem Einen noch mit dem Andern zufrieden.

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Er hatte an demselben das viele Gute, das ihm kein Mensch streitig machen konnte, und in Beziehung auf sich so wohl einen sehr humanen Mann im Umgang, als auch einen sehr tätigen und willfährigen Gönner gefunden. Ihm allein verdankte er ja seine Anstellung! Das Missfallen, das dieser Mann in und mit seiner Anstellung bei einem großen Teil der Bürgerschaft erregte, wurde noch durch mancherlei Umstände verstärkt. Er war kein Theologe und brauchte das nicht zu sein, da die theologischen Lehrstunden von dem geistlichen Inspektor gehalten wurden. Auch hatte man schon einen Lehrer, der ehedem preußischer Referendar gewesen war. Allein dieser hatte sich dem theologischen Examen, so wie dem Eide auf die symbolischen Bücher unterworfen, und das theologische Kostüm, so weit er gebräuchlich war, angenommen; der neue Rektor hingegen hielt statt des Examens nur Probe Vorlesungen, legte nur ein sehr allgemeines Glaubensbekenntnis ab,*)

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und trug bald, auf Veranlassung des Gouverneurs, bürgerliche Gouvernements Uniform. So zweckmäßig nun auch das Erste, so vernünftig das Zweite und so unschuldig das Letzte war, zumal da die Lehrer der russischen Volksschulen ebenfalls Gouvernements Uniformen tragen; so fielen doch alle diese Abweichungen von der hergebrachten Sitte, mehr oder weniger, vielen Personen auf. Kurz, man blieb unbillig gegen ihn, weil man unwillig auf jenen Machtspruch war, und wieder umgekehrt, erbittert gegen diesen, weil man unwillig gegen jenen war.

*) Solche Vorlesungen wären wohl überhaupt zweckmäßiger als ein theologisches Examen für einen Rektor ist, der über so mancherlei Gegenstände Unterricht zu geben hat; und so orthodox ist man in Riga nicht, das man jede Abweichung von den symbolischen Büchern für verderblich halten sollte. Aber ein Mann, mit dem man schon unzufrieden ist, erregt Unzufriedenheit auch durch solche Dinge, die man bei einem andern sehr billigen würde, und macht sie vielleicht auf lange Zeit verhasst. Bei einer neuen Besetzung der Rektorstelle, hat man sich mit dem theologischen Examen begnügt.

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Noch war die erste Wunde, welche die neue Einrichtung dem alten Bürgersinn geschlagen hatte, kaum geschlossen, als sie bei vielen durch ein Wort wieder aufgerissen und schmerzhafter wurde. Ungefähr ein Jahr nach der neuen Einrichtung, wurde ein öffentliches Examen gehalten, das, im Vorbeigehen gesagt, viel zweckmäßiger ist, als es in den meisten Schulen zu sein pflegt. Da findet kein unmittelbar vorhergehendes einkäuen der abzuhandelnden Gegenstände statt; da schränkt sich auch die Öffentlichkeit nicht auf die Gegenwart der Schulinspektoren und der Geistlichen ein. Um nun dies erste Examen zu verherrlichen und die Jugend zum Fleiß zu ermuntern, wurde nicht nur mancher Preis ausgeteilt, wie sonst geschehen war, sondern von dem Gouverneur den Schülern, Lehrern und Inspektoren ein Gastmahl gegeben, an dem er selbst Teil nahm. Mancher Patriot sah schon dazu ziemlich sauer aus, weil er meinte, es sei nichts verderblicher als Zuneigung zur russischen Regierung; noch mehr aber wurde er aufgebracht,

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als er die ganze Feierlichkeit in der Zeitung beschrieben las, und am meisten dadurch, das die untersten Klassen Volksschule genannt waren. Wir haben keine Volks- sondern eine Bürgerschule, hieß es --- man will uns immer tiefer herabsetzen u.s.w.. Kurz, ich weiß bestimmt, das Kaufmannssöhne bloß deswegen die Schule verlassen mussten, weil sie nicht mit dem Volke vermischt werden sollten. An eine solche Herabsetzung hatte nun in der Tat die Regierung nicht gedacht. Auch stießen sich die weniger leidenschaftlichen Bürger nicht sonderlich an das Wort. Allein die Schulsache wurde doch aufs neue der Gegenstand des allgemeinen Gesprächs; und da überdies es an Gelegenheit nicht fehlte, wo die Beamten der Stadt fühlten, das ihnen unrechtmäßiger Weise die Aufsicht über die Schule entrissen worden war, und wo sie zu bemerken glaubten, das unter ihrer Aufsicht das Schulwesen besser stehen würde, so versuchte der Stadthaupt zu wiederholten Male dem Gouverneur ernstliche Vorstellungen zu tun, aber umsonst.

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Er konnte, aller Bitten ungeachtet, nicht einmal den kaiserlichen Befehl zu sehen bekommen, der den Gouverneur zu allen jenen Änderungen berechtigte. Hier ist er, sagte der Gouverneur, indem er auf seine Tasche schlug, und wenn sie mir nicht glauben wollen, so verklagen Sie mich bei dem Senat. Dazu hatte man nichtMut genug. Ob man gleich mit Recht vermutete, das der Senat keinen ausdrücklichen Befehl zur Umformung des Schulwesens gegeben hatte, so war doch auf der andern Seite so viel gewiss, das der Gouverneur seine Sicherheit wußte; und bei der Festigkeit, die in seinem Charakter lag, war es gar nicht zu erwarten, das Vorstellungen bei dem Senat etwas ausrichten würden. Höchst wahrscheinlich hatte der Gouverneur die Instruktion erhalten, so weit in der Sache zu gehen, als es ohne großes Aufsehen geschehen könnte. Da nun nicht sowohl die niedern Volksklassen als die Vornehmeren mit der neuen Einrichtung unzufrieden waren, so hatte man unstreitig nicht einmal einen Schatten von innerer allgemeiner Gährung zu befürchten.

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Auch lag diese gar nicht in dem Willen der vornehmeren Bürger. Sie wollten nur Gerechtigkeit auf gerechte Weise, und erhielten sie endlich nach mehreren Jahren, als der Gouverneur Bekleschof nichts mehr in Riga zu befehlen hatte. Sein Nachfolger, General Reck, ein Mann, der alle gewaltsamen Maßregeln hasste, ließ sich bewegen, dem Stadtrat eine Schrift auszustellen, worin dieser wenigstens einen großen Teil seiner vorigen Gewalt zugesichert erhielt. Er durfte wieder einen Spezialinspektor setzen, und alle Ämter vergeben. Der Gouverneur mit dem Kollegium der allgemeinen Fürsorge behielt bloß die Oberaufsicht und die Bestätigung der gewählten Lehrer. Unglücklicher, oder vielmehr glücklicher Weise, wenn man auf den endlichen Erfolgt sieht, erhob sich zwischen dem Rektor Götze und dem Lehrer der Theologie ein starker Zwist, wobei es auf Mein und Dein ankam, und das wiedererlangte Ansehen des Stadtrates für einige Zeit aufs neue vernichtet wurde.

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Ich muss Ihnen denselben der Hauptsache nach auseinander setzen, wenn ich nicht in der Folge unverständlich werden, oder doch in Ihren Augen irgend einer Partei zu viel tun soll. Der jetzige Generalsuperintendent in Greifswald D. Schlegel, hatte, als er die Rektorstelle aufgab und Pastor wurde, mit dem Titel eines Schulinspektors zugleich den Unterricht in der
Theologie und Philosophie beibehalten. Für beide Gegenstände war bei seinem Abgang nach Greifswald ein neuer Lehrer zu bestellen. Auf den theologischen Unterricht machte der Rektor keinen Anspruch, wohl aber auf den philosophischen; und der Stadtrat, dem der Gouverneur Bekleschof die Besetzung der vakanten Stelle, als einer geistlichen, überdies, schien nicht abgeneigt, sie, den Wünschen des Rektors gemäß, mit verhältnismäßigen Besoldungen zu trennen. Davon war im allgemeinen gesprochen worden, als der Rektor verreiste. Bei seiner Rückkehr fand er sich ausgeschlossen, und hörte bei dem Stadthaupt,

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das man die Teilung der vakanten Stelle aufgegeben, weil er sich nicht ordentlich gemeldet habe, und, nach der Äußerung des Direktors, nicht geneigt sei, die Philosophie zu übernehmen. Worauf sich diese Äußerung gründe, wußte der Rektor um so weniger, da er gerade das Gegenteil davon erklärt, und einen Teil jener Stelle schon als den seinigen angesehen hatte. Er besprach sich deswegen mit dem Direktor und erhielt durch denselben so viel, das der Pastor Brecht, der zum Lehrer der Theologie und Philosophie ernannt worden war, ihm die letztere abtrat. Diese Zäsion wurde auch von dem Kollegium der allgemeinen Fürsorge genehmigt, und aller anmaßenden Einwendungen des wichtigen Sekretärs ungeachtet, protokolliert. So schien der Zwist beigelegt. Allein der Rektor hatte wiederum vergessen, sich an den Stadtrat zu wenden. Dieser nahm also keine Notiz von jenem Vertrag, sondern zahlte nach Ablauf eines Halbjahres die ganze Besoldung an den, welchem er die ganze Stelle übertragen hatte, mit dem Zusatz,

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dass, wenn ein Privatvertrag statt fände, dieser auch privatim in Erfüllung gehen müsse. Das wollte der Rektor nicht.
Der Streit wurde aber vor der Hand dadurch beigelegt, das es das Ansehen gewann, als ob der Pastor das Geld im Namen des Stadtrates auszahlte. Nach Verlauf des zweiten Halbjahres entstand eben derselbe Streit aufs neue. Er wurde wieder auf gleiche Weise privatim geschlichtet, doch setzte der Pastor in dem letzten Billet, das er deswegen schrieb, hinzu: Da der Streit immer aufs neue anginge, so werde er künftig die Philosophie selbst lehren. Unglücklicher Weise denkt der Rektor gar nicht an eine wichtige Äußerung in jenem Billet, und wirft es, ohne es ganz zu lesen, zu anderen Schreibereien. In dem nächsten Halbjahr lehrte also er als sowohl als der Pastor, Philosophie, und war erstaunt, als er die Besoldung verlangte, aus dem leicht zu erachtenden Grunde eine ganz abschlägige Antwort zu erhalten. Das Billet, welches er noch fand, zeigte allerdings einen guten Grund. Er hatte dazu geschwiegen,

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und schien also die Aufhebung des Vertrages angenommen zu haben. Dagegen behauptete er aber, das der Vertrag nicht nur nicht einseitig, sondern auch nicht ohne Vorwissen der Oberen hätte aufgehoben werden können, und hatte allerdings eine Qualibestellung von Seitendes Kollegiums der allgemeinen Fürsorge für sich anzuführen. Er fuhr daher auch fort, der nun bewussten Erklärung ungeachtet, nach wie vor Philosophie zu lehren, und verlangte nicht nur für die Vergangenheit, sondern auch für die Zukunft die Besoldung, die ihm in dieser Rücksicht zugestanden worden war. Nun ging also der Streit nicht mehr auf Formalitäten, sondern auf das Wesen der Sache. Der Pastor hatte eigentlich nichts als die stillschweigende Einwilligung des Rektors für sich und außer dem schon berührten Hauptgrund, vieles gegen sich. Er hatte den Vertrag nicht gutwillig, sondern deswegen gemacht, weil er bei Verweigerung desselben Ungelegenheiten fürchtete, er Hatte bei der Cession gewiss nicht an eine künftige Aufhebung derselben gedacht,

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und würde an eine solche Aufhebung gewiss auch nachher nicht gedacht haben, wenn nicht in der angegebenen Zwischenzeit die Lage der Schule überhaupt geändert worden wäre. Der General Bekleschof, Beschützer des Rektors, und vormals Gegenstand der Furcht, war nicht mehr in Riga, und sein Nachfolger hatte schon dem Stadtrat die oben angeführten Rechte eingeräumt. Da nun überdies selbst der erste die Ernennung zum Lehrer der Philosophie dem Stadtrat überlassen hatte, so vergaß dieser, dass das Kollegium der allgemeinen Fürsorge doch die Oberinspektion der Schule habe, und schlug sich gleich Anfangs im Geheimen auf Brechts Seite. Der Gouverneur, ein friedliebender Mann, der dem Rektor Recht sprechen wollte, es aber doch nicht tun konnte, ohne bei dem Rat und bei der Geistlichkeit zu verstoßen, verschob die Entscheidung von einer Zeit zur anderen, und gab endlich gar sein Gouvernement auf, ohne sie erteilt zu haben. Sein Nachfolger, Baron von Palen, entschlossen, sich an die Rückschritte seines Vorgängers nicht zu kehren, sondern den Weg zu verfolgen,

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den der Gouverneur Bekleschof gebahnt hatte, und von diesem noch vor seinem Amtsantritt aufgefordert, sich des in seinen Rechten gekränkten Rektors anzunehmen, empfahl gleich nach seiner Ankunft in Riga die baldige Entscheidung der vorliegenden Sache dem Stadtrat. Dieser sprach das Urteil unverzüglich, aber ganz gegen den Rektor; und zog sich dadurch eine starke Demütigung zu. Denn der Gouverneur kassierte nicht nur unbedingt dessen Ausspruch, sondern legte ihm auch auf, sich förmlich darüber zu verantworten, das er auf die ausdrücklich von dem Oberkollegium erteilte Bestallung des Rektors nicht geachtet habe. Bei der Verantwortung kamen nun die einst entzogenen und dann wieder zugestandenen Rechte zur Sprache. Der Gouverneur wollte dieselben auf keine Weise zugestehen, äußerte aber, er habe nichts dagegen, wenn sich der Stadtrat, des ihm vermeintlich angetanen Unrechts wegen in Rücksicht auf die Schulinspektion, an den Senat wenden wollte;

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und es wurde der Entschluss gefasst, diesen Schritt wirklich zu tun. Er schlug zum Vorteil der Stadt aus. Der Fürst Repnin, der etwa ein Jahr darauf als Generalgouverneur in Riga ankam, brachte von Seiten des Senats den Auftrag mit, die Schulsache zwischen dem Gouverneur und dem Stadtrat zu vergleichen; und in diesem Vergleich erhielt der letztere noch mehr, als ihm der G. Reck zugestanden hatte. Die innere Einrichtung der Schule wurde ihm ganz überlassen, nur mit dem Zusatz, das er dabei die bürgerlichen Mitglieder des Kollegiums der allgemeinen Fürsorge zu Rate ziehen sollte; und bei der Besetzung Der Ämter war nur die Bestätigung des Gouverneurs erforderlich. Nach diesem Sieg wurde die Domschule größtenteils wieder auf den alten Fuss gesetzt, und besonders die Vielheit der russischen Stunden abgeschafft. Auch kann man sicher sein, das kein Lehrer für die oberen Klassen wieder sobald angesetzt werden wird, der sich nicht getraut, ein theologisches Examen in aller Form zu bestehen.


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Von dem profanen Rektor war die Schule schon befreit worden. Er wurde bald nach jener Entscheidung als Professor und Rektor bei dem kaiserlichen Lyzeum angestellt. Noch vor ihm war der Pastor Brecht aus Missmut über den verlorenen Prozess, abgegangen.*) Bei dieser Gelegenheit hatte sich Götze gegen den Stadtrat gewiss auf eine sehr billige Weise erklärt. Da er nämlich den Teil der Besoldung, den er als Lehrer der Philosophie erhielt, allerdings als eine Folge des mit Brecht geschlossenen Kontrakts ansah, so war er nun bereit ihn aufzugeben, und doch, auf Verlangen, die Philosophie ferner wie bisher zu lehren.

*) Der Konrektor, ein bejahrter stumpfer Mann, der, um wenig zu sagen, nicht mit dem Zeitalter fortgegangen war, hatte sich gleichfalls entschlossen, unter guten Bedingungen abzugeben, trat aber zurück, als der Rektor die Schule verließ. Bei Gelegenheit der wahrscheinlichen Vakanz erklärte man sich privatim über die Nichttheologen so, das ihr Heil auf lange Zeit verschwunden zu sein scheint.

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Übrigens hat die Schule durch die vorübergehende Vernichtung der Stadtinspektion doch manchen Vorteil gehabt. Die so zweckmäßige Trennung der unteren Klassen, so wie der öffentlich gemachte Unterricht im Zeichnen, ist ganz, und der in der russischen Sprache, dessen die Liefländer so sehr bedürfen, doch zum Teil geblieben. Vielleicht wirkt er nun, da er nicht von einem Russen aufgedrungen scheint, mehr als zuvor. Auch ist so manche Pedanterie verscheucht worden. Es war z.B. gewöhnlich, das in einer Kirche alle Sonntage zwei Schüler sich ein Stück des Katechismus vor dem Altar abfragten, und beantworteten, ein ganz zweckloser Gebrauch, der doch den Lehrern viel Mühe machte. Die Söhne der angeseheneren Bürger gaben sich nie zu dieser Art von Komödie her, und eben deswegen wurden auch die anderen Schüler derselben immer abgeneigter. Ja man musste sie oft durch Naschereien willig dazu machen. Sobald nun die Schule der Oberaufsicht des Stadtmagistrats entzogen war, fiel auch die Zeremonie weg.

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Die Lehrer, welche sonst die Personen dazu liefern mussten, hatten sich bei Unterlassung nicht mehr vor Ungelegenheiten zu fürchten, und strengten also, um eines Nichts willen, weder Zunge noch Beutel an. Überhaupt erhielten sie eine noch zwanglosere Existenz als sie zuvor hatten. Das Benehmen des Gouverneurs der sie an seine Tafel zog, und sie eben so, ja oft noch mit mehr Auszeichnung behandelte, als den Magistrat selbst, unterstützt auch nach dem Sturz der russischen Schulregierung, den humanen Ton, welcher dem Geiste unserer Zeit angemessen ist. So ist manches Gute durch russische Befehle und Sirren veranlasst worden. Denken sie aber ja nicht, als ob ich die unmittelbaren Verdienste der Stadt um das Schulwesen in Schatten, und die vorige Beschaffenheit der Schule herunter setzen wolle. Auch vor der neuen Einrichtung hatte die Stadtschule gewissermaßen Gang mit dem Geiste der Zeiten gehalten. Der Magistrat und die neuen Lehrer waren durchaus von der pedantischen Meinung entfernt,

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Das Griechisch, Lateinisch und die dogmatische Theologie die einzigen Gegenstände des Unterrichts in gelehrten Schulen sein müssen. Geographie, Geschichte, Naturkunde u.s.w. gehörten in den Schulplan. Die Bibliothek, die ihrem Innern und Äußern nach, bei wenigen Schulen ihres Gleichen finden wird, enthält nicht bloß alte kostbare Werke, sondern auch einen großen Teil neuerer Schriften, in verschiedenen Sprachen, und ist wöchentlich zweimal offen. Auch ein kleines Naturalienkabinett ist da, welches, nach seinem Stifter, das Himselsche heißt, und von ihm auch einen Fond zur Unterhaltung hat. Was endlich die Unterstützung der armen Schüler anbetrifft, so muss sie nicht durch das höchstschädliche Zeit- und Geist tönende Singen vor den Türen erbettelt werden. Sie wird auf eine liberale Weise entweder von einzelnen Bürgern, oder von der Gemeinde mitgeteilt. Wer vorzügliche Fähigkeiten zeigt, findet gewiss Mittel sie auszubilden.

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Mir sind mehrere Beispiele bekannt, das junge Leute, selbst auf der Universität, mit hinlänglichem Gehalt teils von einzelnen Personen, teils von mehreren in Verbindung versorgt worden sind; und die Stadt gibt fast jedem, der auf ihrer Schule gewesen ist, und der Unterstützung bedarf, ein jährliches Stipendium von achtzig Thalern. Unter den Dingen, die der Stadtschule abgehen, ist vorzüglich eine hinlängliche Sammlung physikalischer Instrumente. Diese findet sich im Gegenteil bei dem kaiserlichenLyzeum. Der Gouverneur Bekleschof ließ auf einmal für mehr als tausend Thaler Instrumente aus Paris kommen. Ist manches davon nicht in dem besten Zustand, so ist doch das Ganze für den Unterricht hinlänglich. Auch könnte sehr gut eine Einrichtung getroffen werden, um diesen Apparat für beide Schulen nützlich zu machen. Allein es hat lange Zeit zwischen denselben eine Art von Jalousie geherrscht, die zwar durch die Fortschritte in der Humanität gemildert, aber doch nicht so weit gehoben ist, als es zum Besten des Ganzen sein sollte.

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Die Verschiedenheit der Direktion verhindert manches Gute, was durch Gemeinschaft bewirkt werden könnte. Die oberen Klassen der beiden Schulen sind nie stark besetzt gewesen, und in den neueren Zeiten noch schwächer als zuvor geworden --- seitdem nämlich dm gelehrten Stande viel Ämter entzogen sind, die ihm sonst ausschließlich gehörten, und jetzt entweder gar nicht, oder doch nicht notwendig mit Gelehrten besetzt werden. Oft sind daher in jeder der oberen Klasse nicht mehr als sieben bis acht Schüler. Wie leicht wäre es daher, die oberen Klassen des Lyzeums und der Domschule zu verbinden, und wie vorteilhaft würde nicht diese Verbindung sein! Man hat schon längst eingesehen, das ein einziger Lehrer unmöglich alles für junge Leute von fünfzehn bis zwanzig Jahren Notwendige in dem Grade wissen kann, in welchem es ein Lehrer wissen soll, und daher an mehreren Orten, wie in Berlin und Petersburg, für einzelne Fächer besondere Lehrer angestellt.

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Ist dies an vielen Gymnasien noch nicht geschehen, so hat das Haupthindernis in der Schwierigkeit gelegen, die Besoldung für mehrere Lehrer aufzutreiben. Diese Schwierigkeit fiele in Riga größtenteils weg, wenn man die oberen Klassen der schon bestehenden Schulen zusammen schmelzen wollte. Vier Lehrer haben schon ihre Besoldung --- und selbst unter den jetzt angestellten hat jeder sein Lieblingsfach, in welchem er am meisten wirken könnte. Aber das Mein und Dein in Rücksicht auf die Regierung des Ganzen, lässt noch nicht sobald eine so vollkommene Vereinigung hoffen, als es zu wünschen ist. Doch genug von den höheren Schulen in Riga. Nun zum Schluss dieses Briefes noch ein Wort von den niederen, welche für die deutsche Jugend sorgen. Nach dem was ich davon erfahren habe, sind sie nicht sonderlich. Einer der angesehensten und gesuchtesten Schulhalter gab bei einer Revision dem Gouverneur auf seine Frage, wie viel Schüler er hätte und ob sie alle da wären, zur Antwort: Ja, wer kann das wissen?

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Seiner Unachtsamkeit kann man täglich seine Lehrmethode an die Seite stellen. Er lässt den Katechismus auswendig lernen, und glaubt so hinlänglich für die Religion gesorgt zu haben. Entschließt er sich ja etwas aus seinem eigenen Kopf hervor zu langen, so mag das nicht viel Kluges sein, wie aus folgender Frage und Antwort erhellet: Woran musst du zuerst denken, wenn du in einen Garten kommst? --- An den Sündenfall. --- Vergessen sie aber bei diesen Bemerkungen ja nicht, das es auch in Deutschland mit dem Unterricht der niederen Volksklassen noch gar nicht allgemein gut steht. Fragte doch einst in meiner Gegenwart ein Kandidat des heiligen Predigtamtes, einen Knaben von sechs Jahren, zu wiederholten Male: Was schließest du daraus, das die Weisen aus dem Morgenlande dem neu geborenen Jesus Geschenke darbrachten? --- Der arme Knabe wußte, aller dringenden Aufforderung sich doch zu besinnen ungeachtet,

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keinen Schluss heraus zu ziehen, und am allerwenigsten wohl den verlangten --- nämlich, das Christus der wahre Gott sei. Ich hätte ihn auch nicht herausgebracht, ob ich gleich manchen sonderbaren Schluss gelesen und gehört habe.

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