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Einführung: Lebenlauf / Literarische Erzeugnisse

Erste Sammlung: Brief I. / Brief II. / Brief III / Brief IV / Brief V / Brief VI / Brief VII / Brief VIII

Zweite Sammlung: Brief IX / Brief X / Brief XI / Brief XII / Brief XIII

Dritte Sammlung: Brief XIV / Brief XV / Brief XVI/Biographie

Ambrosius Bethmann Bernhardi (1756- 18o1)

Die literarischen Erzeugnisse von A.B. Bernhardi

Züge zu einem Gemälde des Russischen Reichs unter Catharina II.
gesammelt bey einem vieljährigen Aufenthalte in demselben. In vertrauten Briefen 1799.

2. Sammlung 1799, 294 Seiten, Brief IX - XIII

Brief XI.

Geringere Bedrückung der leibeigenen Russen. Ursachen dieses Unterschieds bei Gesetzen, die noch härter für die Russen als für die Letten sind: Schwierigkeit die rohen Produkte in Menge vorteilhaft abzusetzen, Mannigfaltigkeit der Gewerbe der Leibeigenen, Verwandlung der Frohnen in Geld, Branntweinmonopol der Krone, Ursprung der Leibeigenschaft in Russland. Inhumanität des russischen Adels gegen die Leibeigenen. S. 117-175.

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Sie sind nach Ihrem Briefe begierig zu hören, ob denn das Elend eines Leibeigenen im russischen Reiche wirklich so groß sei, als es in deutschen, französischen und englischen Schriften gar nicht selten beschrieben wird. Antwortete ich Ihnen hierauf im Allgemeinen mit Ja oder Nein, so würde ich Sie in beiden Fällen zu einem Irrtum verleiten. Auf manchen Gütern oder auch vielleicht in manchen Gegenden, mag wirklich das Elend der Negersklaven in den westindischen Kolonien verglichen werden kann, in andern hingegen sollte man kaum glauben, das die Bauern leibeigen wären. Nach dieser allgemeinen Antwort will ich den Zustand der Leibeigenen nach den Provinzen betrachten, die eine große Verschiedenheit in dieser Rücksicht zeigen, und zugleich auf den Charakter der verschiedenen Bauern Rücksicht nehmen, die jene Provinzen bewohnen.

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Nach dem Grade des Wohlstandes folgen die in dem kultivierten Russland Leibeigenen so aufeinander: ehemalige Polen, oder vielmehr Litauer, Esten, Letten, Russen.*) Ich bin zwar nicht in demjenigen Teile des russischen Reichs gewesen, der von Polen im Jahre 1773 abgerissen wurde, habe aber den Zustand der dortigen Leibeigenen viele Jahre vor Augen gehabt. Es kommen ihrer jährlich mit den Getreide- Hanf- und Flachsschiffen, Strußen genannt, einige hundert nach Riga, und halten sich da zum Teil mehrere Monate auf. Ausgezehrter, zerlumpter und schmutziger als diese Menschen im Ganzen sind, habe ich keine irgendwo wieder gesehen, ob ich gleich den ganzen Strich von Europa,

*) Seit der letzten Teilung von Polen könnte man die Letten in die kurländischen und liefländischen einteilen. Die letzten befinden sich nach glaubwürdigen Zeugnisse im Ganzen schlechter als die ersten.

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der zwischen Marseille und Petersburg liegt, durchreist und mitten in Russland gewesen bin. Stets fiel mir bei ihrem Anblick ein, das der nackende Wilde ein besseres Los und ein besseres Ansehen haben müsse.*) Einst starb auch eine große Menge jener Menschen in Riga an den Folgen ihres Elends. Sie, welche gewöhnlich das Getreide ihrer Herren zu ganzen Schiffsladungen bringen, hatten um einer karg ausgefallenen Ernte willen, viele Monate kaum ihren Magen füllen, geschweige sich ernähren können, kamen wankend und schwach an, verdienten sich in Riga ein ordentliches Stück Brot und starben daran, weil sie sich nach so langen Hunger überaßen.

*) Bei diesem Elend, das 1793 noch herrschte, muss es sehr auffallen, wenn Merkel in den Letten meint, bei der Erfahrung, dass die unumschränkte Monarchie in den neueren Zeiten überall der Weg zur bürgerlichen Freiheit gewesen sei, müsse man die erhabene Katharina segnen, "das sie Mittel fand, so viele Staaten von Lehnsgräul ihrem monarchischen aber gelinden Skepter zu unterwerfen". Ihre zwanzigjährige Regierung hat das Elend in jenen Provinzen nicht gemindert.

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Mehrere lagen an den Ufern der Düna einsam und verlassen auf bloßer Erde, unter alten Booten, um sich nur gegen die brennenden Strahlen der Sonne zu schützen.*) Welche Unmenschen müssen die Herren solcher Sklaven sein! Von ihnen wird alles glaubliche, was sonst unglaublich scheint, selbst dies, dass, wie mir eine glaubwürdige Person erzählte, ein polnischer Fürst einst nach einem seiner Leibeignen als nach einer Scheibe schießen ließ.

*) Die Schiffe, mit denen diese Leute kommen, werden bald verkauft und zerschlagen, weil sie an einige Orten nur bei hohem Wasser im Frühjahr leicht über die Untiefen der Düna fahren können, Und in Riga so teuer bezahlt werden, das man das Holz sowohl als die Mühe des leichten Baues vergessen kann. Nach dem Verkauf derselben zerstreuen sich die Schiffsleute, ohne für eine ordentliche Wohnung zu sorgen. Höchstens bauen sie sich am Ufer der Düna aus dünnen Stangen Hütten, die sie mit Bastmatten bedecken. Auf ähnliche Weise behelfen sich diejenigen, welch auf dem Lande Arbeit suchen und finden.

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Und diese Herren, welche in dem ausgesuchtesten Genusse schwelgen, und zum Teil Künste und Wissenschaften schätzen und treiben, haben wohl noch die Keckheit zu behaupten, das die Sklaverei eine wahre Wohltat für die Menschen sei, und als solche ihnen anerkannt werde. Sie haben ihre Brüder mit dem Vieh in eine Klasse, ja unter dasselbe gesetzt, und behaupten nun, das sie der Freiheit unfähig sein. Wie sehr hat sich ihre Lage seit zwei hundert Jahren geändert! Wie viel grausamer müssen in dieser Zeit die Gutsbesitzer in Polen geworden sein! Als der König Stephan Bathory der Grausamkeit der deutschen Herren in Liefland Einhalt tun wollte, sagte er, oder sein Bevollmächtigter Peloslawsky in dem Monitorium, sie übten Grausamkeiten, dergleichen in der ganzen weiten Welt selbst unter Heiden und Barbaren nie wären erhört worden,*) und jetzt ist der Druck des polnischen Adels im Ganzen schreiender als der des liefländischen.

*) S. die Letten von G. Merkel.

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Indessen muss ich hinzusetzen, das diejenigen Litauer Bauern, welche ihre eignen Produkte nach Riga bringen, den oben beschriebenen bei weitem nicht gleichen. Diese scheinen mit den kurländischen oder liefländischen Bauern in einer Klasse zu stehen. Polnische Edelleute behaupten nicht nur, das der Leibeigne nicht frei sein könne, sondern auch, dass er nicht frei sein wolle. So wenig die Wahrheit dieser Behauptung verbürgt werden kann, so widersprechend sie zu sein scheint: so ist sie doch nicht schlechthin abzuleugnen, nachdem man erfahren hat, das die ungarischen Leibeignen zum Teil die Freiheit wirklich verschmähten, die ihnen Joseph II anbot, und nur wider sie selbst mit Gewalt durchsetzen konnte. So weit ist der Este und Lette nicht gesunken. Weit entfernt, ihm diesen Sklavensinn zuzuschreiben, macht der liefländischen Edelmann den Leibeigenen das Streben nach Freiheit zum Vorwurf.

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Auch könnte er nach dem letzten Aufstand der Letten im Jahre 1783 ihnen keinen solchen Sklavensinn vorschreiben, ohne die offenbarste Tatsache gegen sich zu haben.*) Wenn aber der Este und Lette nicht so tief als der leibeigne Pole gesunken ist; wenn er, wie ich im Anfang bemerkte, auch in seinem Zustande über demselben steht; so ist doch sein Los immer noch traurig genug, um tiefes Mitleid zu erregen, und gegen einen großen Teil seiner Herrn tiefen Unwillen zu erregen. Auch unter diesen Völkern habe ich wenig gelebt; ich kenne sie aber nach Reisen durch ihr Land.

*) Das davon laufen der Letten ist nicht selten und wurde noch häufiger sein, wenn es nicht so schwierig wäre. Selbst vor derVereinigung von Kurland und dem größten Teile von Litauen mit Russland war die Einrichtung getroffen, das die dorthin fliehenden Leuflinge ausgeliefert werden. Auch wurden manchmal welche zurück gebracht, die schon mehrere Jahre von dem Gut, zu dem sie gehörten, entfernt gelebt hatten. Nur diejenigen, welche sich für Deutsche ausgeben konnten, waren ziemlich sicher. Daher bisweilen auch die Erbherren ihre Leibeigenen vor der deutschen Sprache, wie vor der Pest zu bewahren suchen.

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nach ihrem Aufenthalt in Riga, nach den Urteilen solcher Personen, die sie kennen, nach den Äußerungen der Edelleute, ihrer Herren, und nach den öffentlichen Vorfällen. Wenn sich die Esten nach einer ziemlich allgemeinen Meinung von den Letten noch in ihrem Charakter unterscheiden, so ist dieser Unterschied wohl weniger in den Zügen selbst als in der Stärke derselben zu suchen. Man schreibt den Esten vorzügliche Tücke, Gefühllosigkeit, Unsauberkeit, Halsstarrigkeit zu; aber eben diese Fehler werden auch den Letten beigelegt. Wenn man nun sowohl das Ansehen als die Wohnung der ersten noch elender, als die der letzten, und unter wohl unterrichteten Personen die Meinung herrschend findet, das die Herren der Esten noch härter sind, als die Herren der Letten;so ist es natürlich, teils die gerügten Fehler überhaupt, teils den größeren Grad derselben nicht dem eigentümlichen Charakter dieser Völker hauptsächlich, sondern dem Druck zuzuschreiben, unter dem sie mehr oder weniger seufzen.

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Ich will Ihnen nicht die schauderhaften Taten erzählen, die ich gehört habe. Sie gehören größtenteils zu den Fällen, die nicht wohl zur Charakterisierung des Allgemeinen dienen, sondern bloß zeigen, wie weit die Leibeigenschaft führen könne.*) Ich will nur einige Züge hinwerfen, die teils das gesetzliche Verhältnis zwischen den Leibeigenen und ihren Herren, teils den herrschenden Geist derselben unstreitig charakterisieren.**)

*) Wie weit diese die Herren führen könne, hat man auch in Deutschland bisweilen gesehen. Eine Frau von D... soll da eine Erbmagd im Backofen haben verbrennen lassen.

**) Einer weitläufigen Erzählung aller Untaten, die ich gehört habe, und wenigstens zum Teil gar nicht bezweifeln kann, enthalte ich mich um so mehr, da in dem angeführten Buch von Merkel in seinem Suplement dazu und in dem ihm ebenfalls zugeschriebenen Halbroman. Die Rückkehr ins Vaterland, vielleicht so schon mehr als zu viel gesagt ist. Was ich in diesem Brief anführe, kann teils zur Bestätigung der Hauptsache, teils zur Übersicht des Ganzen dienen.

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Ein Erbherr in Liefland hat das Recht, den Bauer von einem Stück Landes auf das andere zu versetzen, ja ihm alle eigene Wirtschaft zu nehmen, und seinen Stand unter den Knechten sowohl des Hofes, als einer Bauernwirtschaft anzuweisen, seine Kinder zu bestimmen, wozu er will, ihm bis auf sechzig Rutenstreiche geben zu lassen, ohne die Peitschenhiebe zu rechnen, deren Anzahl nicht bestimmt ist, und ihn endlich, was das empörendste ist, mit Weib und Kind von dem Gut weg, und wohin er will, zu verkaufen. Sonst würde der Bauer auf öffentlichen Markte feil geboten. Ist dies seit 1765 nicht mehr erlaubt, so ist die Hauptsache dadurch gar nicht geändert. So lange man in öffentlichen Anzeigen die Menschen wie Vieh feil bieten darf, so ist dies eben so gut, als wenn sie, wie in Tunis und Algier, auf dem Markte ausgestellt werden.*)

*) Das Verkaufen der Menschen ist durch den neuen Landtagsschluß der liefländischen Ritterschaft von 97 sehr eingeschränkt worden. Nur solche Leibeigene, die von ihren eigenen Landsleuten für schlecht gesinnte Menschen erklärt werden, sollen an jedermann verkauft werden können. Dies ist in meinen Augen doch ein Anfang zur Verminderung des, an sich immer unverzeihlichen Menschenhandels; und ich kann Herrn Merkel weder in Beziehung hierauf noch auf manche andere Artikel jenes Landtagsschlusses beitreten, wenn er ihn nicht nur für ganz unnütz, sondern sogar so vorstellt, als ob derselbe den Zustand der Letten eher verschlimmere als verbessere. Beiläufig werde ich noch einige Anmerkungen darüber machen.

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Zu jener Zeit, als das Ausstellen auf dem Markte verboten wurde, erzwang die Regierung auch andere Einrichtungen, welche das Schicksal des liefländischen Bauers mildern sollten. Sie verordnete, das der Bauer künftig seine fahrende Habe als Eigentum besitze, welches er zuvor gar nicht hatte; sie bestimmte die Frohnen, und setzte Gerichte nieder, bei denen der Bauer seinen Herrn verklagen konnte, wenn dieser mehr forderte als er sollte, und gab für die Hauptzucht, welche dem Herrn gelassen wurde, den Strafen die angeführten Grenzen.

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Aber wie können die Gesetze an sich hinlänglich wirken, wenn der verklagte Edelmann das Recht behält, die Kläger zu verkaufen?--- Und sollte auch der Herr um seines eigenen Vorteils willen selten zu einer solchen Rache scheiten, so bleiben ihm ja noch andere Mittel übrig: er kann ja Haus und Hof nehmen, und unter dem geringsten Vorwand nach Gefallen peitschen lassen. Wie wenig Menschenkenntnis gehört dazu, voraus zu sehen, das der Herr, der ungerechte Forderungen macht, auch die gerechten Klagen darüber nicht ungeahndet werde hingehen lassen, sobald er die Mittel dazu in den Händen hat. Auch ist er ein seltener Fall, das die Privatleibeignen Schutz gegen die Bedrückungen bei der Obrigkeit suchen.*)

*) Auch Merkel deutet darauf an mehr als einem Orte in den Letten z. B. S. 183 und 192. Gleichwohl stellt er die in jenem Landtagsschlusses vorgeschlagene und nachher von dem Monarchen bestätigte Modifikation der Richterstühle zum Besten der Bauern so vor, als ob mit derselben nun vollends alles verloren sei. (Suplement zu den Letten S. 109 und 110). Sind Merkels erste Äußerungen gegründet, wie sie es allerdings auch in meinen Augen sind, so steht höchstens eine Null gegen die andere. Es gibt aber einen Gesichtspunkt, aus dem die neue Einrichtung sogar als sehr heilsam erscheint. Das allendliche Appellationsgericht in Sachen der Bauern ist der Adelskonvent, das heißt nach Merkel, die Versammlung der Großherren, die ihre Mitgenossen schwerlich verurteilt werden --- nach meiner Meinung aber, eine große Versammlung, die als solche, weit schwerer zu gewinnen ist, als ein Gericht das aus wenig Personen besteht, und wahrscheinlich eben deswegen zur letzten Instanz vorgeschlagen wurde, weil die bis dahin bestehenden Gerichte wenig Nutzen geschafft hatten. Selbst nach M. waren die Männer, die jenen Landtagsabschluss herbeiführten, edle Männer, die also das, was zur Verbesserung des Zustandes der Letten wirklich diente, und leicht zu erhalten war, nicht eingerissen haben würden. Wäre es aber wohl schwer gewesen, schon bestehende Gerichte zu erhalten!--- Zur richtigen Beurteilung dieses Streitpunktes muss ich noch anführen, das in den alten Gerichten größtenteils liefländische Edelleute saßen, und das es folglich hauptsächlich darauf ankommt zu untersuchen, ob von einer großen oder geringen Zahl derselben mehr Gerechtigkeit zu erwarten sei.

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Überdies sind die Frondienste gar nicht so bestimmt, dass ihnen nicht ein unübersehbarer Spielraum übrig bliebe.

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Der Bauer soll einen Tag zum ackern mit Pferd und Geschirr kommen --- das scheint bestimmt, ist es aber nicht. Denn der Herr weist ihm ein Stück Feld an, das er an einem Tag umackern soll --- vermag er es nicht, so ist er faul gewesen und muss nachholen, was er versäumt hat. Mit andern Arbeiten ist es eben so. Ja bei manchen ist die Bestimmung selbst so weit, das sie so gar nicht existiert. Es ist verordnet, das der Bauer keine anderen Fuhren in die Stadt zu tun gehalten sei, als um die Gutsgefälle in Umlauf zu bringen. Was gehört nun zu diesen? Wenn der Edelmann nicht nur sein eigenes Getreide, sondern auch das seiner Nachbarn zusammen kauft, um Handel damit zu treiben, wer kann entscheiden was zugewachsen oder zugekauft ist?


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Wenn er eine unermessliche Menge Branntwein oder Ziegel brennt, gehören auch diese, gehört jener zu den Gefällen? Ich führe diese Punkte vorzüglich an, weil die Bauern am geplagtesten auf den Gütern sind, wo Branntwein und Ziegel in Menge gebrannt werden. Schon die unmittelbaren Arbeiten dabei sind drückend. Sie müssen, zum Teil wenigstens, über die gewöhnlichsten Fronen verrichtet werden; und dann kommt noch das Verführen in die Stadt dazu, das oft dem Bauer nicht einmal des Sonntags Ruhe gönnt. Ich weiss, das von einem Gut Ziegel des Sonnabends in die Stadt gefahren wurden, der Bauer erst des Sonntags zurück kam, und einige Stunden nachher wiederum beordert wurde, des Montags früh zu fahren. Auf einem andern Gut, wo der vornehme und furchtbare Pächter das Branntwein brennen zur vorzüglichen Geldquelle gemacht hatte, musste jeder Bauer alle Monate zweimal in die Stadt fahren, ob er gleich nach dem Pachtkontrakt nur alle Jahre so viel mal fahren sollte.*)

*) In dem neuen Landtagsschluss sind die Fuhren wenigstens mehr bestimmt als zuvor. Ist hier wie in manchen Punkten die aufgelegte Last sehr groß, so ist sie doch schwerlich so groß, als auf vielen Gütern ehedem. Überhaupt muss man die Last nie an sich, sondern in Verhältnis des Landes betrachten, das einem Bauer überlassen wird. Täglich ein Gespann zur Frone schicken, scheint entsetzlich, ist aber sehr leidlich, wenn der Bauer mehrere Gespanne halten kann; und selten wird ein Bauer, der in diesen Umständen ist, sich an die Stelle desjenigen wünschen, der nur einen Tag in der Woche zur Frone fährt, aber auch nur für ein oder höchstens zwei Pferde Futter hat. Ob nicht die ordinären und extraordinären Lasten, die den Bauern in dem neuen Landtagsschluss aufgelegt sind, das gehörige Verhältnis übersteigen, lasse ich hier unausgemacht, sagen muss ich aber, das unter den vielen Klagen, die ich in Liefland hörte, keine einzige je die, auf schwedische Gesetze gegründete und beibehaltene Berechnung der bestimmten Abgaben traf. Sie bezogen sich darauf, dass diese Berechnung in den Wackenbüchern falsch angegeben wäre, dass die unbestimmten Leistungen alles Mass überschritten, und die Wackenbücher nicht beobachtet würden; und allen diesen Klagen ist durch den neuen Landtagsschluss in so weit abgeholfen, als es durch bloße Gesetze geschehen kann.

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Es fehlt also gar nicht an Mitteln, den Bauer auszusaugen und halb tot zu quälen, ohne dass die Gesetze selbst verletzt zu sein scheinen.

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Werden denn aber diese nicht durch die Sitten unterstützt? Ist nicht der liefländische Edelmann zur Humanität gebildet? Muss er nicht um seines eignen Vorteils willen dahin sehen, das der Bauer nicht über die menschlichen Kräfte angestrengt, nicht vor der Zeit kraftlos werde? Die letzte Frage wird oft von den Edelleuten selbst getan, wenn man sie auf den möglichen Missbrauch ihrer sogenannten Rechte führt um der Notwendigkeit einer Änderung auszuweichen. Aber eine Menge von Beispielen beweist, das der Gedanke des eigenen Vorteils bei weitem nicht so kräftig wirkt, als er dem Anscheine nach wirken sollte. Was kann einem Gutsbesitzer in Liefland schädlicheres widerfahren, als das Sterben seiner Arbeiter?

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Gleichwohl ließ während meines Aufenthaltes in Riga ein Millionär dieselben lieber Hungers sterben, als sein Vermögen auf eine kurze Zeit um den tausendsten Teil vermindern.*) Er gab selbst den, durch die Gesetze vorgeschriebenen unzulänglichen Vorschuss nicht eher, als bis das Übel so groß wurde, dass die Regierung ihn zur gesetzmäßigen Gerechtigkeit zwang. Und weiss man denn nicht, was der Geiz vermag? Überdies kann selbst die vorsichtige Habsucht dem armen Bauer unendliche Lasten auflegen, ohne eben fürchten zu dürfen, dabei einzubüßen. Wenn sie auch ihre Pläne nur so weit treibt, als menschliche Kräfte sie ausführen können, ohne sich selbst aufzureiben, so hat sie einen großen Spielraum. Aus diesen Ursachen rettet den Bauer nichts vor schreienden Ungerechtigkeiten, als die Humanität seines Herrn.

*) Dieser Millionär war kein alter Edelmann, sonder ein neugeadelter Kaufmann von Riga. Dagegen muss ich anführen, das in der Regel gewesenen rigaischen Kaufleute für gute Herren gehalten werden.

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Leider ist aber diese in Liefland, wie an anderen Orten, bisweilen sehr einseitig. Fern sei es von mir, einen schreienden Kontrast zwischen Humanität auf der einen Seite und Unmenschlichkeit auf der anderen dem ganzen Ritterstande aufzubürden. Ich weiß, das es unter derselben wahrhaft edle Menschen in aller Rücksicht gegeben hat, und noch gibt. Das Andenken des Landrates von Scholze, wird in Liefland jedem Wohldenkenden heilig sein. Er gab seinen Bauern die Wirtschaften erb- und eigentümlich, so lange sie die bestimmten mäßigen Fronen leisten würden, tat auf die sogenannte Hauszucht Verzicht, und unterwarf dieselben den Aussprüchen der Deputierten von seinen Untertanen; sprach und schrieb überhaupt nachdrücklich zum Besten der Bauern, und versetzte die seinigen in einen bis dahin unbekannten Wohlstand.*)

*) Dass dieser edle Mann die verlangte Bestätigung seiner Einrichtung von der Ritterschaft nicht erhalten konnte, ist aus den Letten bekannt. Nach seinem Tode setzte die Witwe entweder vieles auf den alte Fuss, oder forderte wenigstens die bestimmten Leistungen mit mehr Strenge, als ihr Mann getan hatte, und reizte dadurch die Bauern zu aufrührerischen Bewegungen. Einer von ihnen, welcher deswegen mit Zuchthausstrafe belegt worden war, kam nach überstandener Strafe mit bitterer Rache im Herzen auf das Gut zurück; anstatt sie aber zu vollbringen, bezeigte er die innigste Reue und Dankbarkeit, als er hörte, das seiner Frau unterdessen seine Wirtschaft gelassen worden sei, und er selbst wieder in dieselbe eintreten solle. Wie menschlich!

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Auf ähnliche Weise verdienen der Kammerherr von Baier, und die Frau von Boie, die noch leben, ein Denkmal in den Jahrbüchern von Liefland. Auch bin ich überzeugt, dass viele andere Güterbesitzer ihre Bauern menschlich behandelten, wenn sie gleich in ihren Verdiensten um dieselben jenen nachstehen. Aber vielen einzelne Äußerungen selbst von solchen Personen, die äußere Politur in hohem Grade, Kenntnisse, Gutmütigkeit ja Anmut besitzen, sind der Meinung von den menschlichen Gesinnungen des ganzen gebildeten Adels gegen die Bauern gar nicht günstig.

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So vernünftig der Edelmann sonst über Gerechtigkeit sprechen mag, so kann man doch selten sicher sein, das er eben die Grundsätze, die er äußert, auf seine Bauern anwenden werde.*) Diese sind leibeigen, sagt man oft zu sich oder andern, und glaubt dann alles Nötige gesagt zu haben, um ein sonst ungerechtes oder unbilliges Verfahren zu rechtfertigen. Außer dieser allgemeinen Äußerung will ich noch einige besondere anführen, die mir charakteristisch scheinen. Es ist die Menschenmenge im Verhältnis zu der Arbeit so gering, das verwaiste leibeigene Kinder leicht unter ihres Gleichen Pflegeeltern finden, welche hoffen, einst durch die Arbeit derselben Entschädigung für lange Kost zu erhalten. Sind nun die Kinder herangewachsen, so geschieht es nicht selten, dass sie den Pflegeeltern von dem Herren genommen werden.

*) In einer Flugschrift nannte ein Edelmann die Bauern Unterbrüder. Sie würden freilich froh sein, wenn sie auch nur als solche immer behandelt würden.

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Als ich einst einem, in vieler Rücksicht lobes würdigen Gutsbesitzer dieses Verfahren als unbillig vorstellen wollte, so bekam ich keine andere Antwort als: Es geht nicht anders an, man muss die Leute dahin setzen, wo sie zur Arbeit am nötigsten sind. Ist dies wahr, nun so ernähre der Herr auch die Waisen! Als jener Advokat über die Grenze gebracht worden war, weil er in einem Schreiben an die Regierung gesagt hatte, die Leibeigenschaft sei nur in dem Völker- nicht in dem Naturrecht gegründet, hörte ich von einem Herrn, der seiner milden Denkungsart wegen viel Lob hatte, die Sache mit einer Lebhaftigkeit billigen, die alles gegen Reden unmöglich machte. --- Einst äußerte sich eine Deutsche von hohem Stande, die sich nach Liefland verheiratet hatte, über die Bedrückung der Bauern in Estland, musste sich aber gefallen lassen, das alle Achtung gegen ihr Geschlecht und ihren Stand aus den Augen gesetzt wurde. Sie nehmen sich stets alles liederlichen Gesindels an, sagt ein sonst feiner Herr, der sich getroffen fühlen mochte.

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Eine andere Dame, die nicht nur in ihrer Jugend, sondern selbst im Alter vorzügliche Anmut besaß, und durch dieselbe sogar bei ihren schwer gedrückten Bauern einst die Klage zurück drängte, die sie eben vorbringen wollten, hatte die Stirn, in großer Gesellschaft zu behaupten, der Bauer brauche nur einen Rock und zwei Hemden, das eine auf dem Leib, und das andere im Wasser. Mir fällt dabei die Stelle aus Thomas Epistel an das Volk ein, wo er sagt: der Große sei glatt aber auch hart wie der Marmor. Wenn sich solche Gesinnungen von Personen ungescheut geäußert werden, die gar nicht auf die öffentliche Achtung Verzicht tun, und Welt genug haben, um wissen zu können, was derselben verlustig mache: so muss der Geist des Standes, in welchem sie leben, wenigstens im Ganzen mit dem ihrigen nicht so sehr disharmonieren als zu wünschen wäre, und noch einer großen Läuterung bedürfen. Wie könnte man auch daran zweifeln,

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wenn eine fast allgemeine Furcht bei dem Gedanken an eine Gelegenheit entsteht, wo die Bauern sich erheben, und Unterstützung von außen erhalten könnten. Schrecklich würde das Schicksal der Deutschen sein, hörte ich oft, bei dem letzten schwedischen Kriege mit Russland, ohne Widerspruch sagen, wenn die Bauern von den Schweden unterstützt würden. Selbst die Regierung in Riga verbot von diesem Kriege zu sprechen, als er schon ausgebrochen, ihr aber noch nichts offiziell bekannt gemacht worden war.*) Auch liegt solchen Äußerungen der Furcht schwerlich mit Recht der Gedanke zum Grunde, dass die Letten von Natur ein grausames, verworfenes Volk wären. Es machte in seinem letzten Aufstand 1784 einen großen Unterschied zwischen den Herrschaften.

*) Der Generalgouverneur Graf B... ließ einen Mann arretieren, weil er von dem weil er vom Ausbruch dieses Krieges gesprochen hatte, mit dem Bedeuten, dass der Arrest so lange dauern sollte, bis der Krieg wirklich ausgebrochen wäre. Der Arrest dauerte nur drei Tage.

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Die Bauern der Frau Boie standen nicht auf, sondern boten ihr auch ihren Schutz gegen die Nachbarn an, welche aufgestanden waren. Leugnen will ich aber gar nicht, das nach dem Drucke, den das ganze Volk so lange erfahren hat, bei einem Aufstand desselben wohl auch mancher, eben nicht schlechte Herr Gefahr von den Bauern zu befürchten habe.
Ein gewisser Hass gegen die Deutschen überhaupt, ist wohl als herrschend anzusehen, und vielleicht nur durch lange und große Wohltaten zu überwinden.*)

*) Diesen Hass schildert Merkel in den Letten (S. 33 u. folg.) sehr groß, scheint ihn aber zu vergessen, wenn er in dem Supplement dazu (S. 104) sagt: der Bauer werde nie anders Klage gegen seinen Herrn führen, als wenn er überzeugt sei, ganz unwiderleglich Unrecht gelitten zu haben. Eine solche Behauptung lässt sich schwerlich selbst dann rechtfertigen,wenn der Bauer nie gedrückt worden wäre; aber noch weniger unter der Voraussetzung von Hass und Tücke, die ihm M. zuschreibt. Auch ist mir ein auffallendes Beispiel von böslicher Klage der Bauern auf den Gütern der Stadt Riga, bekannt. Sie kamen in Scharen auf das Schloss zu dem Generalgouverneur und schrieen über Brotmangel.
Als nun auf dessen Befehl, weil der Stadtrat die allgemeine Klage für unbegründet erklärte, von den Gerichte genaue Untersuchung angestellt wurde, so fand man viele versteckte ansehnliche Vorräte. Es ergab sich ferner bei der Untersuchung, dass einige Bauern die übrigen zu jenem Schritte verleitet hatten. Diese Anstifter wurden exemplarisch bestraft -- und doch wohl mit Recht. Ich kann daher das Gesetz des neuen Landtagsschlusses, nach welchem ungerechte und boshafte Klagen der Bauern gegen ihre Herren gestraft werden sollen, weder für eine neue unerhörte Anmaßung der Ritterschaft, noch an sich als angerecht ansehen, wie M. es am angeführten Orte vorstellt. Ein solches Gesetz ist mehr oder weniger in allen Staaten vorhanden. Endlich verdient auch die Verordnung, dass die Bauern, wenn sie allgemeine Klagen zu führen haben, es nur durch Deputierte tun sollen, schwerlich eine Rüge.

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Wenn ich auf endlich die inneren Bauernwirtschaften wenig beobachtet habe, so weiß ich doch gewiss, das sie im Ganzen sehr ärmlich sind. Zwar erscheint der Lette in der Stadt nicht wie der Pole in Lumpen,*) aber seine Wohnung sowohl als seine Kost ist doch oft höchst elend.

*) Das seine Füsse nur mit Bastschuhen bekleidet sind, kann ich nicht mit Merkel als einen Beweis seiner großen Dürftigkeit ansehen. Auch in Russland hat in der Regel der Bauer gleiche Bekleidung, und in Frankreich sind selbst in den Städten die viel unbequemeren Holzschuhe nichts ungewöhnliches. Desgleichen ist es kein Beweis großen Elends, dass die lettischen Bauern Späne statt der Talglichter brennen. Das ist selbst in den guten Gegenden Deutschlands etwas Gewöhnliches.

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Bei der ersten überzeugt der bloße Anblick, und für die zweite kann ich keine sehr bestimmte Tatsache anführen, wovon ich oft Augenzeuge war. Nicht nur zur Zeit des Misswachses, sondern selbst bei guter Ernte kaufen die Bauern den Bäckern in Riga die Kleie ab. Ich sah ihrer fast täglich zwanzig bis dreißig zu der Zeit sich damit versorgen, da sie ihre Produkte in die Stadt führten. Sogar Spreu sollen sie häufig in ihr Brot backen. Diese kraftlose Nahrung, verbunden mit der frühzeitigen übermäßigen Arbeit, hat auch, so zu sagen, das Äußere der ganzen Nation umgeschaffen.

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Unmöglich kann man sich vorstellen, das dies jetzt kleine, gelbe und abgezehrte Volk ehedem den kraftvollen Widerstand habe tun können, den es wirklich den Deutschen tat, ehe es ganz unterjocht war. Der Gedanke einer solchen Ausartung bekommt noch dadurch mehr Wahrscheinlichkeit, das nicht nur die Kinder, welche früh von guten Herrn zu Bedienten bestimmt, und ins Haus genommen werden, sondern auch die erwachsenen Bedienten selbst, bisweilen ein viel kraftvolleres Ansehen haben, als alle Bauern, die ich je gesehen habe. Auch fühlt mancher bestimmt, das seine Kraftlosigkeit von der schlechten Nahrung herkomme. Als einst einer, welcher in der Stadt arbeitete, darüber bestoßen wurde, das er sowohl zu wenig Erde auf die Schaufel nehme, als auch dieselbe viel zu langsam bewege, und zur Rechtfertigung dieses Vorwurfs der Herr der Arbeit mit seinem eigenen Beispiel zeigte, wie man weit schneller die Erde wegschaffen könnte, sagte der Bauer zu ihm --- ja, wenn ich ihre Nahrung hätte, würde ich auch ihre Kräfte haben.

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Weit besser als der liefländische Bauer muss im Ganzen der russische stehen. Schon sein Ansehen verrät gewöhnlich Kraft, und diese findet sich selbst da, wo man sie weniger sucht. Auch währe es nach meiner Ansicht der Dinge gar nicht möglich, das in der Regel der russische Leibeigene einen so guten Charakter zeigte, wenn er so schwer gedrückt wäre, als es der liefländische häufig ist. Doch man braucht nicht bei solchen mittelbaren Schlüssen stehen zu bleiben. Man betrachte die Wohnungen und Kleidungen, so wird der angegebene Unterschied unmittelbar in die Augen springen. Die russischen Bauernhäuser sind zwar nicht mit den Wohngebäuden der deutschen großen Bauernhöfe im Ganzen zu vergleichen; ja sie kommen nicht einmal den mittelmäßigen Häusern der Dörfer an den meisten Gegenden von Sachsen bei. Wer, wie Herr Hupel behauptet, der russische Bauer wohne eben so gut,

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als der deutsche, muss in Deutschland nur die ärmeren Gegenden, und in Russland nur die besseren Bauernhäuser gesehen haben. Auf dem Weg von Riga bis Moskau und von da nach Petersburg, sah ich nicht eins, welches mit einem gewöhnlichen Bauernhof verglichen werden könnte. Schornsteine findet man fast gar nicht, sondern ein Loch unter der Decke über dem Ofen, wodurch der Rauch desselben hinausziehen soll, aber nicht hinauszieht, sobald der Wind etwas widrig ist; ordentliche Fenster sind nicht allgemein, und Schlösser oder Klinken an den Türen fast gar nicht zu finden. Die ersten sind häufig nur so groß, das man gerade mit dem Kopfe durchkommen kann, und, eins ausgenommen, wohl gar nicht einmal mit Glas, sondern nur mit hölzernen Schiebern versehen; und um die Stelle der letzten zu ersetzen, macht man die Türen so passend, das sie im Winter, wo sie von der Nässe quellen, nur durch eine gewisse Gewalt in die Türstöcke gedrängt werden können. Ferner ist höchst selten außer der Wohnstube,

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auch nur noch eine einzige Kammer zu finden. Oft wohnen und schlafen die eigentlichen Besitzer mit ihren verheirateten Kindern und Kindeskindern zu acht bis neun Personen in einem einzigen kleinen Behältnisse, ohne zu den Armen zu gehören. Wen aber dies alles einen großen Unterschied zwischen den deutschen und russischen Bauernwohnungen zeigt, so ist doch in den letzten viel besser sein als in den liefländischen. In jenen findet man doch immer einen reinen Tisch und eben so reine um drei Teile der Stube gehende Bänke, und deswegen den Aufenthalt weniger unangenehm, als gewöhnlich selbst in den Stuben, welche in den liefländischen Krügen (Schenken) für Herrschaften bestimmt sind.
Was zweitens die Kleidung betrifft, so ist zwar der Unterschied zwischen der lettischen und russischen dem äußern Anschein nach gering, soll aber doch der Hauptsache nach im Ganzen sehr beträchtlich sein.

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Groß und Klein ist in Russland, selbst zu Hause, gegen die Kälte durch hinlängliche Bedeckung geschützt, und mit hinlänglicher Wäsche versehen. In Liefland hingegen sind nach dem Urteil von Augenzeugen, die Menschen zu Hause häufig nur mit Lumpen bedeckt und halb bloß. Auch kann man sich vorstellen, wie es mit der Wäsche beschaffen ist, wenn Herrschaften selbst behaupten, dass der Bauer nur zwei Hemden brauche. Endlich habe ich sehr wahr gefunden, was schon mehrere Schriftsteller bemerkt haben, das der russische Bauer nicht selten Vermögen sammelt; unter den leibeigenen Letten hingegen findet man Wohlhabenheit so selten, das nur ein kleiner Teil der Bauern eine einzige schlecht ausfallende Ernte ohne Unterstützung ertragen kann. Woher kommt dieser Unterschied? fragen sie vielleicht; sind denn den russischen Bauern die Gesetze günstiger als den lettischen, oder sind die Herren der ersten menschlicher als die der letzten? --- Die Milde der Gesetze für die russischen Leibeigenen kann man eben nicht rühmen.

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Weit entfernt, denselben mehr zuzugestehen als den Letten, räumen sie nicht einmal so viel Rechte ein, als den letzten. Der leibeigene Russe ist nicht nur eben so abhängig von seinem Herrn, und eben so verkäuflich seiner Person nach, sondern hat auch nicht einmal das Recht über Bedrückungen bei der Obrigkeit zu klagen. Diese können nach der gesetzlichen Verfassung gar nicht statt finden. Der Herr hat die Befugnis so viel von seinen Erbleuten an Arbeit und Geld zu fordern, als er will. Also sind die Herren derselben menschlicher? schließen sie vielleicht daraus. Es kann sein, und ich selbst werde Ihnen nachher einen wahrscheinlichen Grund davon angeben. Aber allein reicht dies zur Erklärung des angeführten Unterschieds nicht hin. Es wirken mehrere Ursachen zusammen. Erstlich können so viel rohe Produkte, als der russische Edelmann abzusetzen hoffen darf, mit weit weniger Händen erzeugt werden, als er zu seiner Disposition hat.

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Er braucht also dieselben nicht übermäßig zu belasten, ja er hat ihrer auch bei mäßiger Arbeit noch übrig, und erlaubt diesen gern, wo und wie sie tätig sein wollen, wenn sie wenigstens etwas für ihn zugleich erwerben. Da nun bei Erweiterung der Bedürfnisse die Einwohner der Städte oder eigentlichen Bürger bei weitem nicht hinreichend waren, für dieselben zu sorgen, so wurde dieser Mangel natürlicher Weise am besten durch die, für den Ackerbau überflüssigen Menschen ersetzt. Jeder reiche Edelmann hat in großen und kleinen Städten hunderte ja tausende von seinen Leibeigenen, die da alle mögliche Artender Industrie treiben; und selbst für diejenigen, die auf dem Lande bleiben, gibt es noch manchen Erwerbszweig. In allen Dörfern, durch welche große Straßen führen, gibt es Fuhrleute, die von einem Ende des Reichs zum andern fahren, und nur einen kleinen Teil des Jahres zu Hause sind. Neuerlich sind zwar die Erwerbszweige der Bauern dem Anscheine nach eingeschränkt worden, indem eine besondere Ukase nur demjenigen Handel und gewisse Gewerbe erlaubt, welche Wirklich als Bürger eingeschrieben sind.*)

*) Die Absicht dieser Ukase kann doppelt sein. Man will entweder die zahlreicher gewordenen Bürger, welche Vermögenssteuer erlegen, vor Beeinträchtigungen schützen, oder man will die Edelleute bewegen den Bauern, welche für beständig städtische Gewerbe treiben, und nur dadurch in den Stand gesetzt werden, einen hohen Obrock zu erlegen; indirekte zwingen, die Freiheit zu verkaufen, und dadurch den fast neugeschaffenen Bürgerstand zu vermehren. Diese Vermehrung würde nicht nur Gewinn für die Krone abwerfen, sondern auch in der Tat die allgemeine Kultur befördern, worauf bei der Einrichtung der Städte unstreitig Rücksicht genommen worden ist. Ich glaube, das mancher Bauer, der der Krone jetzt nur Kopfgeld erlegt, gern 200 Rubel jährliche Vermögenssteuer erlegen würde, und erlegen könnte, ohne zu Grunde zu gehen.

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Allein erstlich bleibt ihnen auch nach jener Ukase doch immer noch ein weites Feld zur Tätigkeit, und wie sie die Schranken zu durchbrechen wissen, habe ich Ihnen bei Gelegenheit der Beschwerden gesagt, welche die rigaischen Bürger über die Aufnahme der Russen unter sich führen.

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In der Tat ist alles geblieben, wie es war. Es sind eben so viel Bauern, als vorher in den Städten, ohne als Bürger aufgeführt, und ohne doch in ihrem bürgerlichen Gewerbe gestört zu werden. Dabei will ich Ihnen noch eine Sonderbarkeit anführen, ehe ich in der Hauptsache weiter gehe. Viele Bauern sind stets in der Stadt; viele kommen nur zu gewissen Jahreszeiten als Gärtner, Zimmerleute, Maurer dahin, und ziehen in ihre fünfzig bis hundert Meilen entfernte Heimat zurück, wenn für sie nichts mehr in den Städten zu tun ist. Dies ist Ihnen wohl schon bekannt, weniger dürfte aber dies sein, das manches Gewerbe stets fortgesetzt wird, und nur die Personen wechseln. Es ist nämlich nichts ungewöhnliches, das eine Familie von Mehreren erwachsenen Gliedern unter sich ausgemacht, wechselweise da seine oder das andere zu einem und eben demselben Gewerbe in die Stadt zu schicken. So habe ich in Petersburg eine Bäckerei gekannt, die selbst an den Hof Brot lieferte, und von mehreren Brüdern wechselweise betrieben wurde.

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Wenn einer ein Jahr hindurch Brot gebacken hatte, ging er in seine Heimat zurück, und besorgte die Landwirtschaft.
Ich komme auf die Hauptsache zurück. Die russische Bauernschaft, sagte ich, steht im ganzen besser, als die lettische, weil sie verhältnismäßig zahlreicher ist, und bei der geringen Anzahl der Bürger von jeher mit diesen die Städtischen Gewerbe geteilt hat, dagegen, wie ich nun hinzusetze, die lettischen Bauern dieselbe wenig oder gar nicht treiben dürfen. Es gibt zwar unter denselben fast alle Arten von Handwerkern, teils aber arbeiten sie bloß auf dem Lande, und wohnen nur dann in den Städten, wenn die Herrn ihrer daselbst bedürfen, teils bringt ihnen die Arbeit auf dem Lande, wenn sie ja Erlaubnis dazu erhalten, wenig ein, weil sie ihren Herrn zu viel von dem verdienten Lohne abgeben müssen. Liefländische Bauern kommen nach Riga bloß zu Tagelöhner arbeiten, und auch nur dann, wenn ihre Herrn sie bei Miswachs nicht mit hinlänglichen Getreide unterstützen.

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Eine zweite Ursache des leidlichen Standes der russischen Bauern steht mit der vorigen im Zusammenhang. Eben weil an vielen Orten es nicht an Menschen zur Bearbeitung des Landes fehlt, haben die Herrn einen großen Teil ihrer Bauern von Fronen befreit, lassen sich dafür ein gewisses Geld selbst von denen geben, welche sich nur mit Ackerbau beschäftigen, und treiben denselben bloß mit ihren zahlreichen Hofleuten. Doch können selbst diese nicht als bloße Knechte oder Mägde angesehen werden. Sie erhalten etwas Vieh und ein Stück Feld zum Anbau von Rüben, Kohl, Flachs und dergleichen, liefern dafür einen gewissen Zins an Flachs oder Garn, werden selten vom Heiraten abgehalten, und von der Herrschaft mit Brot und einigen andern Bedürfnissen versorgt. Eigentlicher Hunger oder Blöße quält sie also fast nie. Das Jahr sei gut oder schlecht, so bekommen sie das ihrige, wenn nur der Herr oder sein Verwalter kein eigentlicher Tyrann ist. Wenn diese Einrichtung ungefähr eben dieselbe ist, welche für die Negersklaven statt findet,

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und man daher für jene ein ähnliches Schicksal befürchten sollte, so muss man bedenken, das ein großer Unterschied zwischen den Produkten ist, den diese beiden Menschenklassen erzeugen. Würde auf den westindischen Inseln statt des Zuckers Getreide und Flachs gebaut und hätte der Absatz von diesen noch überdies seine Schwierigkeit und einen mäßigen Gewinn, wie dies in Russland häufig der Fall ist; so kann ich mir nicht vorstellen, das selbst bei aller Hartherzlichkeit der Kolonisten die Sklaven bis aufs Blut gequält, und doch kaum satt gemacht werden würden.
Überdies weiß man in Russland selten etwas vom eigentlichen Misswachs. Der Boden ist da größtenteils so gut, das er allen Unfällen der Witterung widersteht. Auf einigen Gütern, die ich in dieser Rücksicht genau kenne, waren in acht Jahren hinter einander stets gute Ernten, und in Liefland war dagegen, während dieser Zeit, die beste nur mittelmäßig, und manche sehr schlecht.

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Überhaupt muss ich im Vorbeigehen anmerken, dass Liefland gar nicht so viel Getreide zur Ausfuhr liefert, als man gemeiniglich denkt. Der größere Teil dessen, was aus Riga verschifft wird, kommt aus Curland und Litauen; und selbst verbacken wird in Riga viel Getreide, das von dorther kommt. Dies scheint wunderbar, wenn man bedenkt, das Liefland so lange als die Kornkammer von Schweden angesehen worden ist. Außerdem aber, das auch damals wohl manche Last fälschlich für Getreide angesehen worden sein mag, weil sie aus Riga kam, so muss ich noch hinzusetzen, das sich seit der zeit die Verwandlung des Getreides in Branntwein höchst wahrscheinlich außerordentlich vermehrt hat. Der Bauer ist unterdessen wahrscheinlich im Ganzen elender und eben deswegen dem Trunk ergebener geworden; und die Edelleute, welche ehedem nur Liefland mit Branntwein versorgten, versorgen jetzt auch einen großen Teil Russlands damit.

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Mancher Edelmann macht sich jährlich zu Lieferungen von mehreren tausend Fässern anheischen.*) Dies weist zugleich auf eine neue Ursache des Unterschieds zwischen dem Zustand der liefländischen und russischen Bauern.

*) Die Statthalterschaft Riga liefert nach Storchs statistischer Übersicht so jährlich ungefähr 400,000 Fässer, oder 800,000 Wedro (13 ? Dresdner Kanne) Branntwein, wovon, wie es da heißt, die Hälfte in der Statthalterschaft selbst konsumiert wird. Rechnet man nun 6 Wedro Branntwein auf einen Lof (Anm. altes lettisches Getreidemaß), welches im ............. als zu wenig ist, so verbrennt man dort jährlich 800,000 Lof oder 530,120 Dresdner Scheffel. Wenn übrigens Storch am angeführten Orten den Branntwein einen sehr wichtigen Nahrungszweig nennt, so ist diese Benennung sehr uneigentlich zu nehmen. Eigentlich sollte er ein Coniumtioszweig heißen. Denn sowohl die Brennerei als der Genuss verzehrt die Kräfte der Bauern; und die Kontrakte mit der Krone, ruinieren auch nicht selten den Edelmann. Als der Herr von D.... die übernommene Menge Branntwein nicht liefern konnte, wurden seine Güter Anfangs sequestrirt, dann subhastirt; und ihm blieb von seinem sehr ansehnlichen Vermögen -- nichts.

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Zum Verschenken darf der Edelmann im eigentlichen Russland keinen Branntwein brennen; und sowohl deswegen, als weil da weniger getrunken wird (wie ich in einem andern Brief zeigen werde) und die liefländischen Herrn einen großen Teil der geringen Lieferung wegnehmen, kommt er selten auf den Gedanken, Kontrakte über über diesen Artikel mit der Krone zu schließen. Geschieht aber auch dies bisweilen, so ist es doch schon deswegen nicht so drückend, weil gewöhnlich die Hofleute das tun, was in Liefland derBauer zur ungerechneten Fron tun muss. Überhaupt spekulieren die Gutsbesitzer in Russland in der Landwirtschaft weniger, als in Liefland. Die meisten der ersten dienen in der Armee oder in Zivilämtern, oder sind doch wenig auf dem Lande, und bekümmern sich nicht sowohl um das, was es tragen kann, als was es trägt. Eben deswegen fallen auch viele Plackereien weg, die so oft eine Folge von guter Ökonomie sind. Der Himmel bewahre einen jeden Menschen vor einer solchen Ökonomie!

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Bisweilen haben Gutsbesitzer in Russland die liefländische durch Verwalter, die derselben kundig waren, einführen wollen, es ist aber, wie mir gesagt worden ist, selten gegangen, und zwar hauptsächlich deswegen, weil die Bauern entgegen strebten und wohl gar das Leben der Verwalter bedrohten. Auch mögen diese wohl nicht bloß die Ökonomie, sondern auch das Verfahren in Liefland gegen die Leibeigenen haben einführen wollen. Denn das die Bauern bloß deswegen nichts Neues hätten annehmen wollen, weil es neu sei ist mir nicht wahrscheinlich, wenn sich gleich die Menschen überhaupt, und am meisten die unkultivierten gegen das Neue häufig sträuben. Hier hätte ich freilich Lust einige Bemerkungen über den Charakter der Russen zu machen. Allein sie würden mich zu weit von dem vorliegenden Gegenstand abführen. Ich verspare sie auf einen anderen Brief, und sage Ihnen jetzt nur überhaupt, das der Grundcharakter des russischen Volkes gesunden Verstand, Gutmütigkeit und Stärke vereinigt, und gehe zu einer Hauptursache der verschiedenen Behandlung der russischen und liefländischen Bauern über.

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Diese Ursache finde ich in der Verschiedenheit des Ursprungs der Leibeigenheit. Die liefländischen Herren beherrschen ein fremdes, durch Gewalt der Waffen unterworfen, und gleich Anfangs in ein drückendes Joch geschmiedetes Volk. Sie haben daher auf der einen Seite mit allen den Fehlern zu kämpfen, die eine Folge einer solchen Unterjochung sind, und auf der anderen einmal ......., ererbte oder teuer erkaufte Rechte und Vorteile aufzugeben, wenn sie menschlich sein wollen. Die russischen Herren hingegen befehlen über ihre eigenen Landsleute, die sich zum Teil sogar freiwillig denselben eigen machte, haben nur nach und nach durch sonderbare Umstände das Unrecht über dieBauern als Sklaven zu gebieten erlangt, und sind noch von Alters her im Ganzen gewöhnt, mit ihren Bauern ordentliche Kontrakte zu schließen.

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In den alten Zeiten hatten nämlich die russischen Bauern zwar, wie jetzt, kein Land eigentümlich, waren aber alle frei, konnten von einem Gut zum anderen ziehen, ihren Stand verlassen, und sich im Dienst begeben. Dies änderte sich erst unter dem Zar Alexei Michailowitsch, der die Bauern durch ein ausdrückliches Gesetz dem Boden, den sie bebauten, eigen machte. Vollkommene Sklaven, die einzeln verkauft werden können, wurden sowohl sie, als ein großer Teil der Bedienten und Hofleute durch das von Peter I. eingeführte Seelenverzeichnis, welche ohne Unterschied die Bauern sowohl, als die auf Kontrakte stehenden Bedienten und Knechte mit den eigentlichen Sklaven oder Leibeigenen in eine Klasse setzte. Daher kommt es wohl, das der russische Edelmann mehr als der liefländische, wenigstens gewissermaßen gewohnt ist, einen Kontrakt mit seinen Bauern zu schließen.

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Er legt ihnen eine Abgabe auf; und ist diese einmal bestimmt, so lässt er es in der Regel so lange dabei, als er nicht überhaupt eine Änderung zu machen für gut findet. Ich sage in der Regel; denn freilich ist in dem eben angeführten Punkte das Verhältnis der Herren zu ihren Erbleuten auch im eigentlichen Russland, selbst derTat nach, bei weitem nicht durchaus, wie es von Menschen sein sollte. Ich habe Ihnen bisher das Gemälde von einer Seite gezeigt; ich muss es nun auch von der anderen Seite zeigen. Bei der Gewalt, welche der russische Edelmann über seine Leibeigenen hat, können sich diese ohne Wunder schwerlich durchaus wohl befinden. Menschenkauf ist im eigentlichen Russland eben so gesetzmäßig, als in Liefland, nur mit einigen Unterschied. Dort bezieht er sich gewöhnlich bloß auf die Klasse der Hausbedienten; hier sind aber die Beispiele von wirklichem Bauernverkauf zu Rekruten nicht selten. Ich habe schon angeführt, das einst von Jaroslav aus, ein Kommissionär nach Riga geschickt wurde, um zwei Rekruten zu kaufen und sie auch wirklich kaufte.

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So weit war der ruf von diesem Handelszweig Lieflands erschollen, und so schwer hielt es, in Russland selbst, Menschen zu kaufen! Wollte man etwa sagen, das der Unterschied des Preises die Kosten einer so weiten Reise tragen könne, so gebe ich Ihnen zu bedenken, ob nicht eben die Höhe des Preises schon die Seltenheit der Ware beweise; und das diese Seltenheit nicht von der Menschenzahl, sondern von dem Willen der Herren herrühre, wird niemand bezweifeln, der nur einige Kenntnisse von der Bevölkerung des rigaischen und des jaroslavschen Gouvernements hat. Doch so eingeschränkt der Menschenkauf in Russland sein mag, so ist er, auch so wie er ist, sehr entehrend für die Menschheit. Mancher gute Bediente wird nicht, wie in Islands Spielern, metaphorisch, sondern sehr eigentlich auf eine Karte gesetzt und verspielt, nachdem schon Ringe, Kutschpferde u.s.w. verspielt sind. --- Ich habe selbst einen solchen gekannt, der durch seine Sparsamkeit, Treue und Redlichkeit vorzüglich verdient hätte,


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frei zu sein, und auch von seiner jetzigen Herrschaft schwerlich anders als durch den Tod getrennt werden wird. Wer nicht ganz nichtswürdig ist, weiß, wenigstens in Rücksicht auf seinen Vorteil, gute Menschen zu schätzen, und hält sie fest, wenn er sie einmal hat. Deswegen werden sie aber nicht immer gut gehalten. Sie müssen bleiben, wenn sie auch noch so schlecht genährt werden; und die Menge der Bedienten, die man oft bei eingeschränkter Einnahme hält, lässt mit hoher Wahrscheinlichkeit vermuten, das der Aufwand auf jeden einzelnen sehr gering sein müsse. Auch hörte ich in Petersburg darüber klagen, dass diese und jene Straße in der Nähe von großen Häusern nicht recht sicher sei, weil die Bedienten derselben nicht hinlänglichen Unterhalt bekämen. Habe ich selbst nichts erfahren, das diese Sage bestätigte, so weiß ich dagegen, dass bei einer, im Ganzen guten Herrschaft auf einen Bedienten wöchentlich nicht mehr als zehn Kopeken zu Fleisch und in der Fastenzeit eine Kost gegeben wurde, der mancher trocken Brot vorzog.

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Endlich bemerkt man in dem Dienst selbst, auch bei guten Herrschaften Dinge, die einem Deutschen, der schon unter den Großen und Reichen seines Landes die Behandlung der Bedienten oft unbillig fand, entsetzlich vorkommen. Ich habe die Kutscher, besonders im Winter, nie ohne einen gewissen Unwillen mehrere Stunden stehen sehen können; und in Russland müssen sie oft vom frühen Morgen bis in die Nacht fahren, oder vor den Häusern stehen, selbst die Essenszeit nicht ausgenommen. Dies kann gar nicht anders sein; es kann ja etwas vorfallen, wozu man den Wagen braucht, antwortete mir ein Herr, mit dem ich von der Lästigkeit und Unnützlichkeit eines solchen Wartens sprach, und der seinen Wagen von früh acht bis in die Nacht um elf Uhr stehen ließ. Das so nach auch die Bedienten nicht immer Zeit zum ordentlichen Essen haben, versteht sich von selbst. In Petersburg ist an den öffentlichen Plätzen, bei dem Schloss, vor der Komödie u.s.w. doch noch für Erwärmung der erstarrten Glieder gesorgt, aber in Moskau habe ich eine ähnliche Anstalt nicht gesehen.

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Was ferner die Leibeigenen betrifft, die für eine gewisse Abgabe die Freiheit haben, ein Handwerk, oder sonst zu treiben, was sie wollen, so sind auch sie oft sehr schlimm daran. Ein Schuster- oder Schneidergeselle muss des Jahres 25 Rubel von seinem Verdienst abgeben. Das ist doch wohl mehr, als solche Leute an irgend einem Orte der Welt abgeben, selbst England nicht ausgenommen, wenn man dort den verhältnismäßig größeren Lohn rechnet; und wenn gleich ein solcher Mensch von seinem Verdienst die Abgaben entrichten, und nach seinem Stande noch leben kann, so bleibt ihm doch gewiss wenig zu einem Etablissement übrig. Dies ist auch in anderer Rücksicht sehr unsicher. Es ist nicht selten, dass die Herrschaft einen irgendwo eingerichteten leibeigenen Handwerker zu ihrem Hausbedürfnis auf das Land oder in die Stadt ruft, ihm in dieser nichts als kärgliche Kost gibt,

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und voraussetzt, dass er in seiner freien Zeit durch Arbeit für Andere so viel verdienen werde, als zu seinen übrigen Bedürfnissen gehört. Dies möchte noch sein, denn in der Tat gibt es fast in jeder mäßigen Stadt genug zu verdienen. Aber erstlich wird ein solcher Mensch nicht nur zu seiner Handwerksarbeit, sondern auch zu allerlei Diensten gebraucht, die wenig Zeit übrig lassen, und unsern Handwerkern sehr sonderbar vorkommen würden; und zweitens ist bei einer solchen Einberufung die Trennung von Eheleuten nicht außer der Regel. Der Mann ist bei der Herrschaft, und die Frau viele Jahre, wo nicht immer, hundert Meilen davon, entweder auf den Gütern oder in einer Stadt, und muss in dieser selbst für ihren Unterhalt sorgen. Eine gleiche Trennung von Eheleuten findet auch bei den Hofleuten statt, sobald die Herrschaft den einen oder den anderen in der Stadt brauchte. Wenn endlich die eigentlichen Bauern im ganzen am meisten Freiheit genießen, und bei ihren mannigfaltigen Gewerben,

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am meisten auf einen bleibenden Wohlstand rechnen können, so ist doch die eine wie der andere manchen Beeinträchtigungen ausgesetzt. Das die eigentlichen Bauern in der Regel nicht verkauft werden, habe ich zwar oben angedeutet; es gibt aber doch einen Fall, wo das Verfahren einem Kauf sehr ähnlich sieht, und nicht selten ist. Wenn nämlich bei einer Rekrutierung die Bauern eines Dorfes der Herrschaft vier bis fünf hundert Rubel dafür geben, das sie selbst für einen Rekruten sorge, so scheut sich diese nicht immer von einem andern Dorfe dazu einen Bauern zu nehmen, der ihr nicht viel einbringt. Auch wissen die Prikaschiks (leibeigene Verwalter), selbst ohne Wissen der Herrschaft, die Sache so einzurichten, das der bezahlende Bauer von der Rekrutierung frei bleibe, und der weniger wohlhabende, oder in den Mitteln und Wegen zu dieser Freiheit nicht so erfahrene an seiner Stelle zum Soldatendienste abgegeben werde. Im ersten Falle ist eine Rettung gar nicht anders als durch die Flucht, welche große Schwierigkeiten hat, und im anderen nur sehr selten möglich, da die Entfernung der Herrschaft von den Gütern oft so groß, und die Rekrutenstellung so eilig ist.

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Dem Bauer unmittelbar sein Vermögen zu nehmen, ist wider alle Observanz, wenn auch nicht wider ein besonderes Gesetz. Auch ist es gar nicht gewöhnlich, das ihm das Land, welches er mit Mühe und Fleiß gut angebracht hat, genommen werde. Von solchen Aussetzungen der Bauernwirte, die in Liefland statt finden, habe ich gar nicht gehört. Dagegen gibt die Willkürlichkeit des Kopfzinses sowohl als der Frondienste, allerdings Anlass zu mancher Bedrückung, nicht nur für die einzelne sehr wohlhabende, oder gar reich gewordenen Bauern, sondern auch für Dörfer. Wenn, wie ich von den Besitzern eines Herrn einst hörte, sieben bis acht hundert Seelen sehr wenig einbringen, so ist dies gar nicht anders möglich, als das die Bauern in höchst elende Umstände versetzt sind, wie auch ausdrücklich hinzugesetzt wurde.

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Bei dem Verkaufe eines andern Gutes hieß es ebenfalls, dass die Bauern höchst elend wären; und der Kauf wurde nur unter der Voraussetzung geschlossen, das dem russischen Bauer die Erleichterung der Abgaben auf einige Jahre hinlänglich aufhelfe. Ich glaube dies auch, da der gemeine Russe wirklich sehr tätig ist, was auch dieser und jener Schriftsteller von der natürlichen Trägheit des russischen Nationalcharakters geschrieben haben mag --- Doch davon ein mehreres in meinem folgenden Briefe. Diesen mögen einige Bemerkungen über die Aufhebung der Leibeigenschaft schließen. Ich wünsche diese Aufhebung von ganzem Herzen, hoffen kann ich sie aber nach den Zeichen der Zeit sobald noch nicht. Alle starke Veranlassungen dazu sind bisher ohne Wirkung geblieben; und was in ruhigen furchtlosen Zeiten nicht einmal angefangen wurde, wird in den jetzigen, wo schon das Wort, Freiheit, erschreckt, schwerlich vorbereitet.

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Die Kaiserin zeigte sich in der Instruktion für die Gesetzkommission der Freiheit der Bauern so geneigt, das die ökonomische Gesellschaft in Petersburg es wagen durfte, die Aufhebung der Leibeigenschaft zum Gegenstande einer Preisfrage zu machen, und diejenige Schrift zu krönen, welche die Menschenrechte begünstigte. Gleichwohl ist für die Milderung der Leibeigenschaft der adligen Bauern seit der Zeit nicht das Allergeringste getan worden.*) Der Verkauf, so wie die uneingeschränkte Belastung derselben ist ganz so geblieben, wie beide zuvor waren. Jetzt darf man nicht einmal die Unrechtmäßigkeit der Leibeigenschaft öffentlich berühren ohne Gefahr zu laufen über die Grenzen geschafft zu werden,

*) Ich sage der adligen Bauern; denn nicht nur hat die Verwandlung vieler Krondörfer in Städte eine große Menge Bauern zu freien Bürgern gemacht, wie ich schon angeführt habe, sondern es hat auch die Krone unmittelbar das Schicksal der Bergwerks Bauern gemildert (S. Storchs Gemälde des russischen Reichs, Th II S. 642). Leider hat aber auch die Kaiserin hier und da die Leibeigenschaft drückender gemacht oder erweitert, indem sie den Kopfzins in Liefland einführte, so viele Krongüter ohne Einschränkung verschenkte, und in der ehemaligen Ukraine freie Bauern gewissermaßen dem Lande eigen machte.

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und zwar, nach Versicherung des Gouverneurs von Riga, zu Folge der strengen Befehle der Kaiserin.*) Bei dem Adel habe ich ebenfalls Gesinnungen gefunden, die mit demselben übereinstimmen. Auch kann auf ihn alles, was etwa in Beziehung auf seinen eignen Vorteil für die Freilassung der Bauern gesagt wird, wenig Eindruck machen, weil es nicht der Wahrheit gemäß ist. Nicht nur der harte Herr würde einen großen Teil der Menschen verlieren, die ihm Arbeit leisten oder Abgaben entrichten, sondern auch wahrscheinlich der gute. Das Land wird besser gebaut, sagt man, wenn es dem Bauer eigentümlich gehört, und dieser bessere Anbau hat selbst auf den Wohlstand des Gutsherrn Einfluss.

*) Diese Versicherung gab er zu der Zeit, als für den Advokaten gebeten wurde, der gemeint hatte, die Leibeigenschaft sei nicht im Naturrechte gegründet.

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Aber abgerechnet, das der russische Bauer größtenteils sein Stückchen Land und sein Haus fast so gut als eigentümlich besitzt, und das folglich der angegebene Vorteil sehr gering sein würde; abgerechnet, das er vollends verschwindet, da die Edelleute zum freien Verkauf kein Bier brauen, keinen Branntwein brennen dürfen: so würde selbst, wenn beide Punkte nicht statt fänden, der angegebene Vorteil schwerlich den Verlust des Obrocks aufwiegen, den die in den Städten bürgerliche Nahrung treibenden Leibeigenen jetzt ihrer Herrschaft bezahlen, und nicht mehr bezahlen würden, wenn sie frei wären. Ferner werden selbst auf dem Lande von Leibeigenen zum Vorteil ihrer Herrn manche Fabriken betrieben, deren Gewinn durch die Freilassung größtenteils verschwände, wenn sie nicht gar eingingen. In Liefland finden sich diese Schwierigkeiten nicht, aber andere, die nicht von geringerem Gewicht sind. Nicht nur die Herrn, sondern auch die Bauernwirte haben leibeigene Knechte,

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welche, als die geplagtesten Letten, nach erlangter Freiheit schwerlich in ihrem Stande bleiben würden. Wollte man sie an das Landleben nur überhaupt binden, so wäre doch zu fürchten, das sehr viele Herren, so wie alle armen Bauern, keinen Knecht behielten. Als solcher würde kein Mensch ohne hohen Preis dienen, so lange noch wüstes Land als Eigentum zu erhalten wäre; und das würde in Liefland sehr lange dauern. Freilich gewönne mancher Herr sehr reichlich auf der einen Seite, was er auf der andern einbüßte; am schlimmsten befände sich aber gerade derjenige, welcher sein Land bisher am besten angebaut hätte. Eine solche Totalumwälzung können also, wenn es auf Berechnung des möglichen Gewinn und Verlust ankommt, fast nur diejenigen wollen, die hohes Spiel lieben. So schwer ist es einen einmal gemachten Riss in die Menschenrechte wieder zuzumachen. Auf die Anerkennung von diesen dringe man immer mehr und lauter.

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Vielleicht das mancher aus Achtung für die Menschheit sich nach und nach entschließt, die Freilassung der Leibeigenen vorzubereiten oder zu bewirken, sollte sie ihm auch ansehnliche Vorteile entziehen.

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