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Einführung: Lebenlauf / Literarische Erzeugnisse

Erste Sammlung: Brief I. / Brief II. / Brief III / Brief IV / Brief V / Brief VI / Brief VII / Brief VIII

Zweite Sammlung: Brief IX / Brief X / Brief XI / Brief XII / Brief XIII

Dritte Sammlung: Brief XIV / Brief XV / Brief XVI/Biographie

Ambrosius Bethmann Bernhardi (1756- 18o1)

Die literarischen Erzeugnisse von A.B. Bernhardi

Züge zu einem Gemälde des Russischen Reichs unter Catharina II.
gesammelt bey einem vieljährigen Aufenthalte in demselben. In vertrauten Briefen 1799.

2. Sammlung 1799, 294 Seiten, Brief IX - XIII

Brief X.

Landkadetten Korps in Petersburg. Geringer Nutzen desselben, Ursachen hiervon: Untauglichkeit und Pflichtvergessenheit der Lehrer und Aufseher; fehlerhafte Einrichtung --- Die Universität zu Moskau. Innere und äußere Verfassung derselben. Manches Nachahmungswürdige dabei. Größe und Güte des Waisenhauses zu Moskau. Rüge eines Mangels in demselben. Privatlehrer in Russland. Seltenheit der guten. Unbesonnenheit in der Empfehlung und Annahmen der untauglichen. Anstalten dagegen. Benehmen und äußere Lage der Erzieher und Lehrer. S. 61-116.

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Ich komme auf andere Lehranstalten zum Unterricht. Von denen für die Geistlichkeit ist mir wenig aus eigner Erfahrung bekannt. Nur so viel will ich von denselben sagen, das sie in gewisser Rücksicht nicht ganz schlecht zu sein scheinen. Ich habe Geistliche von der unteren Klasse gefunden, welche Lateinisch mit einer Fertigkeit sprachen, die nur wenigen Geistlichen bei uns eigen ist, ob sie gleich oft den größeren Teil ihrer Jugend mit dem ewigen Latein zugebracht haben. Mehr kann ich Ihnen von dem allgemeinen Landkadetten Korps in Petersburg, der Universität und dem Findelhause zu Moskau sagen. Wenn man bedenkt, wie viel Kosten auf das erste gewandt werden, um für alles, was zu einer sehr guten Erziehung nötig ist, zu sorgen, *) so sollte man glauben, es müsste etwas Vorzügliches leisten.

*) Nach der im Kadettenkorps gedruckten Übersicht desselben werden für 680 Kadetten über 1500 Menschen beschäftigt, und für jeden in einer Zeit von fünfzehn Jahren, als so lange die Erziehung dauert, 4410 Rubel verwandt, so das er im Durchschnitt des Jahres 294 Rubel kostet.. Th. I. S. 293.


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Auch findet man in der Tat einzelne Männer, die dieser Anstalt Ehre machen. Aber mit Recht hat schon Storch in seinem Gemälde von Petersburg bemerkt, das sie in Rücksicht auf wissenschaftliche Bildung, gar nicht das leistet, was man erwartet. Nicht etwa bloß eigentliche Wildfänge oder Dummköpfe, sondern selbst solche junge Leute, die, ihrem Charakter und ihren Fähigkeiten nach, von einem wohl eingerichteten Erziehungsinstitut am meisten Nutzen ziehen könnten, junge Leute von mildem Temperament und mittleren Geistesgaben, wissen oft gerade das, was sie hauptsächlich in einer Militärschule lernen sollten, am wenigsten, oder besitzen nicht diejenigen Kenntnisse, für die am meisten gesorgt zu sein scheint.

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Für die französische Sprache z. B. wird so viel getan, das sie allgemein noch geläufiger als die Muttersprache werden sollte. Die Erzieherinnen sollen schon mit den Kadetten im ersten Alter, die Offiziere mit allen stets französisch sprechen, die meisten Lehrer ihre Vorträge französisch halten. Gleichwohl habe ich mehrere Kadetten gekannt, die nach einem zwölf- ja fünfzehnjährigen Aufenthalt im Korps nicht wagten französisch zu sprechen. --- Woher mag ein solcher Mangel an Kenntnissen kommen. In manchen andern ähnlichen Anstalten weiß man dies sehr wohl. Wenn die Kadetten genötigt sind, alle Jahre der Reihe herum auf mehrere Monate Urlaub zu nehmen, damit der Chef das Geld für ihren Unterhalt in seine Tasche stecken könne, wie mir von einem Kadettenkorps einst versichert wurde: so lässt sich schon daraus schließen, das für viele Zöglinge der Nutzen des Unterrichts verloren gehen müsse. Eine solche Unordnung aber findet in dem russischen Kadettenkorps nicht statt.

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Man könnte im Gegenteil die Strenge, mit der die Erlaubnis zu Reisen versagt ist, zu groß finden. Außer in Krankheiten, soll nicht eine einzige Lehrstunde versäumt werden. Sonst waren den Kadetten nicht einmal Besuche in der Stadt erlaubt; und jetzt noch sind diese auf Sonn- und Festtage eingeschränkt. Nach dieser Bemerkung werden sie wohl vermuten, das die Schuld jenes Mangels an Kenntnissen in den Lehrern und Aufsehern liege; und ich muss diese Vermutung, nach Zeugnissen glaubwürdiger Personen, wenigstens zum Teil, bestätigen. So viel Talent, Erfahrung und guten Willen mancher Lehrer im Korps haben mag, so unwissend und gewissenlos ist mancher andere. Ein Lehrer der französischen Sprache, der einst gelegentlich gefragt wurde? was ein Muff (russisch Mufta) hieß, gab zur Antwort Mufti. Eben derselbe ließ sich von den Kadetten in den Lehrstunden frisieren, oder gab sie auch, um einiger Kleinigkeiten willen, als Haarnadeln u.s.w. frei.

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Wenn Sie etwa sonderbar finden sollte, das dies zweite Beispiel sich wieder auf die französische Sprache bezieht, so müssten Sie vergessen haben, von welcher Wichtigkeit dieselbe in dem Kadettenkorps auch für den übrigen Unterricht ist, da sie fast bei allen Vorträgen gebraucht wird. Das ist in der Tat eine sehr üble Einrichtung, und man muss sich wundern, das sie auch dann nicht abgeschafft wurde, als die Kaiserin selbst sie für fehlerhaft erklärte.*) Man sagte mir, sie sei deswegen notwendig, damit die Aufwärter, die entweder immer, oder doch dann und wann bei den Lehrstunden gegenwärtig wären, nicht durch einzelne aufgefasste und falsch verstandene Ideen verwirrt würden. Ein sonderbarer Grund! Auch ist es wohl nicht der wahre, der vielmehr darin liegen mag, dass man lange Mühe hatte, unter den Inländern eine hinlängliche Anzahl von Lehrern zu finden, und nachher die hergebrachte Einrichtung um so viel ehr bestehen ließ, da der Chef des Korps selbst nur wenig russisch verstand.

*) S. Storchs Gemälde von Petersburg. Th. F. S. 296

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Doch ich kehre zur Hauptsache zurück. Wissenschaftliche Vorträge in einer Sprache, welche die Schüler nicht vollkommen verstehen, sind schon an sich bedenklich, sind es aber noch weit mehr, wenn sie, wie im vorliegenden Falle, auf akademische Weise gehalten werden. Sehr gerecht fand ich daher die Klagen eines Kadetten darüber, das es ihm unendlich sauer werde, etwas zu lernen, zumal da er versicherte, dass es sehr unruhig in den Lehrstunden herginge. Dies führt mich noch auf eine andere sehr fehlerhafte Einrichtung. Die wissenschaftliche Erziehung ist nämlich von der moralischen ganz getrennt. Die Lehrer können für sich nicht das Geringste gegen Unachtsamkeit, Faulheit und Ungehorsam tun, sondern müssen alles auf die Gouverneure oder Offiziere ankommen lassen, die in den Lehrstunden gegenwärtig sein sollen, aber es bei weitem nicht immer sind.

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Klagen, die hinterher angebracht werden, können um so weniger fruchten, da die Aufseher, welche selbst ihre Pflicht versäumen, ein Interesse haben, Ungebührniss der Kadetten vor den Oberen, ohne welche sie ebenfalls nicht strafen können, zu verbergen. Wie viel duldet aber nicht ein Lehrer, ehe er Klagen anbringt, von denen er fürchten muss, das sie ganz vergeblich sein werden --- und wie wenig kann überhaupt ein Lehrer ausrichten, der in der Regel zu fremder Autorität seine Zuflucht nehmen muss ! --- Die Aufseher, sagt Herr Storch, und sämtliche Leute von gutem moralischen Charakter und einer gewissen Ausbildung; und da die Kadetten fast nie ohne Aussicht bleiben, so sind sie auch fast keiner Gelegenheit zur Verführung ausgesetzt. Herr Storch ist selbst Professor am Kadettenkorps einige Zeit gewesen, und hat in so fern Glaubwürdigkeit. Nach dem aber was ich gesehen und gehört habe, leiden seine Äußerungen mannigfaltige Einschränkungen. Die Offiziere, d. h. die Aufseher der älteren Kadetten sollen alle von guter Familie sein.

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Auch gibt es in der Tat Grafen und Fürsten unter denselben. Ob sie aber auch gute moralische Menschen sein, ob sie Lust und Talent zur Bildung junger Leute haben, danach scheint man doch nicht hinlänglich zu fragen. Zweifel hierüber erregte bei mir besonders ein Knees, der einst auf einige Monate nach Moskau ging, da sonderbare Liebesintrigen hatte, herrlich und in Freuden lebte, ohne die geringste Rücksprache mit seinem Beutel zu nehmen, einer nicht reichen Familie einen ansehnlichen Vorschuss abrang, und doch noch, aus Furcht vor seinen übrigen Gläubigern, bei Nacht und Nebel nach Petersburg zurück gehen musste --- um über die Sitten der Kadetten zu wachen. Wenn dieses einzelne Beispiel an sich nicht viel gegen das Ganze beweist, so macht es doch andere Tatsachen, die mehr beweisen, wahrscheinlich. Storch führt gelegentlich selbst an*), dass die Offiziere nicht, wie sie doch sollen, und wie es nach der einmal getroffenen Einrichtung notwendig ist, bei den Lehrstunden gegenwärtig sind.

*) Gemälde von Petersburg, Th. I. S. 294

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Aber auch außer denselben lassen sie die Kadetten häufig ohne Aufsicht. Daher denn nicht nur die positive Bildung versäumt wird, sondern auch mancher sehr auffallende Unfug entsteht. Zu einer Zeit, als die Kadetten mit dem Essen unzufrieden waren, weil man ihnen, statt des vorgeschriebenen gebackenen Obstes, andere Zugemüse gab, durchbrachen sie eine Wand, um in die Obstkammer des Ökonomen zu gelangen, und machten das Obst ziemlich dünne, ehe der Raub bemerkt wurde. Eine solche Unternehmung, die viel freie Zeit erfordert, hätte nie ausgeführt werden können, wenn die Aufseher nicht ihre Pflichten versäumt hätten. Übrigens zeigte sich bei dieser Gelegenheit nicht nur der gewöhnliche Gemeingeist, sondern auch ein Betragen, das ungewöhnlich stark gegen die Subordination lief. Die Urheber jener Dieberei wurden nicht nur nicht verraten, welches, so zu sagen, in der Ordnung war,

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sondern die versammelten Kadetten gaben auch die ihnen gemachten Vorwürfe zurück. Als der Major nämlich sie Räuber schalt, riefen sie zum Echo: selbst ein Räuber. Dies bezog sich darauf, das sie glaubten, der Ökonom habe die Erlaubnis, schlechtere Speisen zu geben, als er geben sollte, erkauft. Ob dieser Verdacht begründet gewesen sei oder nicht, lasse ich dahin gestellt, schlimm aber ist es gewiss mit einer Erziehungsanstalt, wo ein solcher Verdacht gegen die Oberen entsteht. Frei von demselben war wohl der Chef des Kadettenkorps, Graf A... . Die Mühe aber, die er sich gab, die Liebe und Achtung seiner untergebenen Zöglinge zu erlangen, ging verloren. Sie bemerkten bald die Schwachheiten, die man ihm so ziemlich allgemein vorwirft, und sahen fast nur diese in allem, was er tat und sagte. Besonders musste sein Ansehen keinen geringen Stoß durch folgenden Vorfall leiden, der mir von Augenzeugen erzählt worden ist.

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Ein Professor hielt lange um Zulage an. Der Graf A... versprach sie, ohne Wort halten zu können oder zu wollen. Des Wartens müde, wiederholte einst der Professor vor der ganzen Versammlung der Kadetten sein Gesuch bei dem Grafen. Als nun dieser es abschlug, oder zur Geduld verwies, brach jener in Vorwürfe aus, und sagte laut, der Graf sei schuldig ihm seinen Gehalt zu vermehren, er habe es versprochen, und zwar nicht umsonst, sondern für Lobgedichte, die er auf ihn machen sollte; und nur deswegen habe er diese Lobgedichte wirklich gemacht. In welchen Unwillen der Graf ausbrach, lässt sich denken. Der Professor wurde auf der Stelle fortgejagt. Aber das rechtfertigte schwerlich den Grafen in den Augen des Korbs --- zumal da man erzählte, der Professor sei bald darauf als Kapitän bei der Armee angestellt worden. Dessen allen ungeachtet gebe ich gerne zu, dass wie Storch sagt, die Kadetten im ganzen nicht schlechter an Gehalt, und besser an Form aus dem Korps entlassen werden, als sie aus den Händen der Natur kommen.

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Eine gewisse Gutmütigkeit habe ich fast bei allen bemerkt, die ich kennen lernte, und von den sonst häufig herrschenden geheimen Sünden keine Spur gefunden. Nur möchte ich zu jenem Lobe, in dem Sinne, den es haben kann, nicht mit Storch setzen, das es bei einer so großen Erziehungsanstalt hinreichend sei. Sie soll ja vorzügliche Offiziere, vorzügliche Menschen bilden! In Rücksicht auf dem ersten Punkt muss ich Ihnen noch sagen, das viele von den entlassenen Kadetten fast eben so geschwind die Offiziersstellen wieder aufgeben, als sie dieselben erhalten haben, oder doch nur behalten, weil se durch ihre äußere Lage dazu gezwungen werden. Dieser große Mangel an Lust zum Dienste ist zwar zum Teil zufälligen Ursachen, aber zum Teil auch den Geiste, der im Korbs herrscht, zuzuschreiben. Ein Zögling desselben wird höchstens als Premier Lieutenant angestellt, da hingegen in einem Alter von 21 bis 22 Jahren, in welchem diese Anstellung gewöhnlich erfolgt,

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die meisten Edelleute, welche Vermögen oder doch angesehene Verwandte haben, entweder wirkliche Kapitäne, ja Majore sind, oder doch, durch den Weg der Garden, bald zu werden hoffen können. Die Kadetten müssen froh sein, wenn sie zehn Jahre später eben so weit sind. Eine solche Zurücksetzung tut nie gute Wirkung. Einigermaßen könnte sie indessen aufgehoben werden, wenn die eigentlichen Erzieher wenigstens den militärischen Geist zu wecken suchten. Der erfolgt zeigt, das dies nicht geschieht. Und wie wäre es auch möglich, da sie die Kadetten, wie ich Ihnen schon gesagt habe, häufig sich selbst überlassen, und wie ich nun hinzusetze, eben so häufig den militärischen Geist selbst nicht haben. Viele von ihnen haben nie ordentlich gedient, und andere suchen eben deswegen eine Stelle im Korps, um des Felddienstes überhoben zu sein. Ich habe bisher von der Erziehung in Rücksicht auf Verstand und Herz gesprochen. Nun noch eine Anmerkung über den physischen Teil derselben.

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Dieser würde sehr gut sein, wenn er nicht in einer Rücksicht zu streng wäre. Man hat dabei zum Grundsatz angenommen, das der Mensch seinen Körper in alles fügen lerne, wenn er von Jugend auf dazu angewöhnt werde. Mit gewissen Einschränkungen hat dies auch seine Richtigkeit. Man weiß, dass der gemeine Russe nach einem Dampfbade im im Schnee sich wälzt, ohne sich Schaden zuzuziehen, und ich habe selbst auf meinen Reisen bemerkt, das er unbekleidet von seiner Schlafstelle auf den heißen Ofen in den Stall übergeht, wo die Pferde mit Eis, wie mit einem Panzer, überzogen sind. Wenn man aber bemerkt, mit welcher Vorsicht eben diese Russen auf Reisen ihre Füsse vor Kälte und Feuchtigkeit bewahren, und wie schwer sie selbst eines Pelzes entbehren können, so wird man auch auf die Bemerkung geleitet, das alle Abstumpfung der Nerven nicht hinlänglich ist, den üblen Folgen einer lang anhaltenden Kälte ohne gehörige Bekleidung zu widerstehen.

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Ja, die Polizei in Petersburg nimmt Rücksicht auf den Einfluss der Kälte, selbst bei der im Ganzen warmen Bekleidung der unteren Volksklassen. Wenn das Thermometer über 17 Grad Reaumür steht, wird kein Schauspielhaus geöffnet, obgleich zur Erwärmung der Kutscher und Bedienten große Kohlpfannen auf dem Platze stehen. Gleichwohl behandelt man die jungen Kadetten so, als ob sie sich zu jeder Kälte gewöhnen könnten. Die jüngeren wenigstens haben keine Stiefel und nur ein Paar dünne Strümpfe. Dies ist, selbst bei der Voraussetzung, dass sie nicht viel im Freien sind, gewiss zu wenig, da die Zimmer und Säle mit Steinen belegt sind, und wenig geheizt werden. Daher denn erfrorene Füsse kein ungewöhnliches Los der jungen Leute sind, und nicht selten eine vieljährige Kur erfordern, um nur wieder in einen leidlichen Zustand zu kommen. Dies ist eine Hauptklage der älteren und jungen Leute. Die weite Erziehungsanstalt, über über die ich Ihnen einige Bemerkungen mitteilen wollte, ist die Universität zu Moskau.

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Sie erhielt bei ihrer Stiftung von der Kaiserin Elisabeth eine jährliche Einnahme von 43000 Rubel, welche zu der damaligen Zeit gegen 50000 Thaler sächsisch machten, jetzt aber freilich kaum so viel Gulden betragen. Nach der ersten Einnahme zu urteilen, könnte man eine ziemlich vollständige Universität erwarten, zumal da der Gehalt der ordentlichen Professoren auf 500 Rubel gesetzt ist. Allein abgerechnet, dass von jener Summe die gewöhnliche Ausgabe für Bibliothek, Instrumente und Gebäude bestritten werden soll,*) so wird die Einnahme auch auf die Unterhaltung von zwei mit der Universität verbundenen Gymnasien verwandt, an welchen mehr als dreißig Lehrer zu besolden sind. Sonach bleibt für die eigentliche Universität nicht die Hälfte jener Einnahme, und man darf sich nicht wundern, wenn sowohl die Anzahl der Professoren, als ihr Lektionskatalog ziemlich dürftig ist.

*) Für das ganz neue Universitätsgebäude hat die Kaiserin Katharina II. besonders 125,000 Rubel bewilligt.

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Es sind nur zehn "Professores ordinarii" angestellt, und die Anzahl der übrigen Lehrer belief sich im Jahre 1791 auf neun. Doch muss man sowohl bei dieser Zahl der Lehrer als bei ihren Vorlesungen nicht vergessen, auf den individuellen Zustand von Russland Rücksicht zu nehmen. Die theologische Fakultät fehlt ganz, und dies mit Recht, da für die Theologie vor der Errichtung der Universität, schon durch andere Anstalten gesorgt war. In der Jurisprudenz hielten 1971 drei Lehrer Vorlesungen. Dies ist für Russland hinreichend, da hier der Rechtsgang nicht durch so vielerlei Arten von Gesetzen verwickelt wird. Wozu sollte man die zum Teil auch wohl bei uns unnötigen, und nur der alten Form wegen beibehalten, Professores Institutionum, Pandeetarum, Codicis oder andere anstellen, die sich bei unseren Universitäten nur auf die Abweichungen der Provinzialrechte von dem allgemeinen deutschen Recht beziehen? Man liest über Natur- und Völkerrecht, über die Institutionen, um System über das Zivilrecht beizubringen, und über den Prozess.

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Wäre es nicht gut, wenn man nirgends mehr brauchte? --- Die medizinische Fakultät ist am stärksten besetzt; und es fehlt da an keiner Art von notwendigen Vorlesungen, selbst über die bei uns so oft versäumte und doch so notwendige Chirurgie und Hebammen Kunst, nicht. Gleichwohl hat diese Fakultät erst in dem Jahre 90 das Recht erhalten Doktores zu kreieren.--- Die Anzahl der Lehrer in der sogenannten philosophischen Fakultät, ist zwar noch stärker als in der medizinischen. Da man aber auch hier, wie an andern Orten, alles in diese Fakultät wirft, was sich zu keiner anderen qualifiziert, so ist dies natürlich. Über die eigentliche Philosophie las, mit Ausnahme des Naturrechts, im Jahre 91 nur ein Lehrer, über medizinische Gegenstände hingegen lassen ihrer sechs, worunter nur ein extraordinarius war.*)

*) In Upsala sind unter 24 Professoren nur 3 für die Medizin.

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Außer dieser weißen Ökonomie findet sich noch manches bei der Einrichtung jener Universität, was den Deutschen zur Nachahmung vorgehalten werden kann, und was ich noch anführen will. Sie wurde im Jahre 1755 gestiftet, und erhielt einen besonderen Professor der Pädagogik und der Methode im Unterricht. Das Bedürfnis einer solchen Stelle ist zu jener Zeit in Deutschland kaum noch gefühlt worden, und wird bis jetzt, selbst als Nebensache, noch sehr wenig bedacht. Auf wenigen Universitäten sieht man von Staatswegen darauf, dass sich die künftigen Lehrer derselben in Ruhe und ohne ängstliche Sorge für ihren Unterhalt ausbilden können. Wer kein Vermögen hat, muss sich gewöhnlich entweder auf entsetzliche Weise quälen, um nur bei der Universität bleiben zu können, oder sich in unabsehbare Schulden stürzen.* Diesem Übel hat man in Moskau wenigstens einigermaßen abgeholfen.

*) Auf manchen Universitäten könnten zur Unterstützung angehender Lehrer die sogenannten Kollegiaturen dienen, aber auch diese werden, der Regel nach, solchen Lehrern zu Teil, die schon Brot haben.

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Acht Leute, die sich durch ihre Talente und durch ihren Fleiss auszeichnen, bekommen jeder jährlich 200 Rubel, um ohne Nahrungssorgen sich zu einer Lehrerstelle vorzubereiten. Und damit sie dies wirklich tun, müssen sie halbjährig dem Inspektor des Seminars ausführliche, schriftliche Rechenschaft von ihren Arbeiten und Fortschritten in den Wissenschaften geben. Vor ihrer Aufnahme müssen sie ein Examen bestehen, nach dessen günstigen Ausfall sie zu Magistern kreiert werden, und Kapitänsrang haben. Indessen kann ich nicht unbemerkt lassen, dass dieses Seminar einige Zeit ganz eingeschlafen war. Erst vor ungefähr zehn Jahren wurde es, seiner anfänglichen Einrichtung gemäss, wieder hergestellt. Es war in der Tat sonderbar, das der Professor der Pädagogik, Bause, mehrere Jahre zugleich Inspektor des pädagogischen Instituts hieß, ohne nur zu wissen, das ein solches Institut vorhanden sei. Er erfuhr erst dessen Existenz, als einst der Kurator der Universität sich erkundigte, wie es mit demselben stände.

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Von der Bibliothek und der Instrumentensammlung kann ich ihnen wenig sagen. Als ich 91 in Moskau war, lag die Bibliothek in Kellern, weil das neue ansehnliche Universitätsgebäude noch nicht ganz fertig, und das alte schon zu andern Zwecken gebraucht war. Die Instrumentensammlung sollte zu eben der Zeit sehr ansehnlich vermehrt werden. Es wurde deswegen ein Professor nach Deutschland, Frankreich und England geschickt. Was übrigens die Regierung der Universität betrifft, so ist sie fast wie bei den Deutschen. Die Professoren machen nach der Stimmenmehrheit aus, was getan oder unterlassen werden soll, nur stehen ihre Beschlüsse unter dem Gutachten eines Kurators, und von diesem kann man an die Kaiserin appellieren. An Intrigen fehl es auch hier eben so wenig, als auf anderen Universitäten, wo die Professoren in Kollision kommen. Als einst einer mit den Beschlüssen nicht zufrieden war, appellierte er an den Kurator, und da auch dieser ihn nicht unterstützte, an die Kaiserin.

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Der Anspruch von dieser änderte die Sache. Nun aber ruhten die anderen Professoren nicht eher, bis er seine Stelle aufgeben, und sich anderswo anstellen lassen musste. Auch wurde mir dieser Gang der Sache als der natürlichste von der Welt vorgestellt. Die Gymnasien sind zwar nur gewöhnliche Schulen mit Pensionsanstalten verbunden, sie haben aber doch Vorzüge vor vielen bei uns. Denn erstlich werden darin nicht nur den neueren fremden Sprachen und der russischen besondere Lehrstunden gewidmet, sondern es werden auch sonst viele Dinge getrieben, die man bei uns nicht immer mit den Schulen vereinigt findet; und zweitens ist für jeden Hauptgegenstand des Unterrichts ein besonderer Lehrer angestellt. Die Grundeinrichtung wenigstens ist also gut. Ob sie auch von dem Eifer und den Talenten der Lehrer unterstützt werde, kann ich nicht bestimmen.*)

*) In dem Lektionskatalog fiel mir auf, das ein Professor eine von ihm selbst geschriebene, philosophiam rationalem vorträgt, und sie der philosophiae morai entgegen zu setzen scheint.

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Sah ich auf der einen Seite, das man in der Stadt eher gegen als für die Erziehung in den Gymnasien eingenommen war, so hörte ich auf der anderen von de Prof. Bause, dass dies bloßes Vorurteil sei. Auch ist dessen ungeachtet die Zahl der Schüler groß.*) Weit weniger wird die Universität benutzt, und gar nicht so, wie sie benutzt werden könnte und sollte. Ob sie gleich die einzige eigentliche Universität im ganzen russischen Reiche ist, so beläuft sich doch die Zahl der Studierenden nicht auf hundert. Der Grund davon, sagte mir ein Professor, ist hauptsächlich der, dass Leute, die mehr Kenntnisse haben, als in den Gerichtskollegien gewöhnlich zu finden sind, nicht nur nicht vorgezogen, sondern sogar nachgesetzt werden, oder doch um ihrer Kenntnisse willen eine üble Lage haben.

*) In Storchs Materialen I 126 werden 1060 Schüler für beide Gymnasien angegeben. Dies trifft auch mit den Angaben überein, welche Storch in seinem Gemälde des russischen Reichs Th. I. S. 414 beibringt. Nach ihm waren seit der Stiftung, d.h. von 1763 bis 1786 mit Einschluss der im Hause selbst geborenen 37, 97 Kinder aufgenommen worden, und ihrer im letzt genannten Jahre 6080 vorhanden.

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Zu den großen Erziehungsanstalten muss das Waisenhaus in Moskau gerechnet werden. Es ist dies eine Anstalt, die wenig ihres Gleichen, und auch in meinen Augen fast alles das Gute hat, das inländische und ausländische Schriftsteller von ihr rühmen. Es sorgt gewöhnlich für 4000 Kinder in dem Hause, und auch für eine große Zahl außer demselben auf dem Lande, wie mich ein Aufseher belehrte.*) Von den aufgenommenen Kindern sind freilich nach den bekannt gewordenen Nachrichten in zwanzig Jahren nur der fünfte Teil am Leben geblieben, da bis zu dem Alter, wo das Waisenhaus seine Zöglinge entlässt, der Regel nach nicht viel über die Hälfte stirbt; ich glaube aber, das von dieser großen Sterblichkeit die Ursache weder in der fehlerhaften Einrichtung des genannten Waisenhauses insbesondere, noch der eines jeden überhaupt zu suchen sei.

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Was ich wenigsten sah, ließ keinen Verdacht irgend einer Schuld zu, und ich sah doch eher mit ungünstigen als günstigen Augen. Der Direktor war mir als ein außerordentlich wohl beleibter und reich gewordener Mann beschrieben worden, wie er auch beides wirklich ist, welches mich auf die Gedanken brachte, das sein Fett das Mark der Waisen sei. Dieser Gedanke musste aber schlechterdings der Anschauung weichen. Ich wurde ohne vorherige Zeitbestimmung in dem ganzen Hause herumgeführt, und fand überall Ordnung, Reinlichkeit und gute Luft, auch die Kinder munter und wohl genährt. Von Seiten der physischen Erziehung, worauf bei einem Waisenhaus so viel ankommt, scheint also kein Tadel statt finden zu können. Auch glaube ich, das es nicht an guten Willen fehlt, Herz und Kopf der Kinder in so weit zu bilden, als es eine solche Anstalt und die religiöse Verfassung zulässt.

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Ich habe nichts Nachteiliges darüber gehört. Auffallend war mir aber nicht wenig, das eine solche Anstalt in Russland nur eine Kartenfabrik hatte. Sonst war noch eine Strumpfmanufaktur da gewesen, aber wieder eingegangen. Man habe dabei, sagte man mir, eher Verlust als Gewinn gehabt. Ich begreife das nicht recht, wenn ich gleich sehr wohl begreife, das die Kartenfabrik mehr einbringt. Nur ist bei der Berechnung gewiss ein großer Teil des Gewinns gar nicht der Fabrik selbst, sondern einem Nebenumstand zuzuschreiben, der wahrscheinlich außer Acht gelassen wird. Es ist nämlich auf jedes Spiel Karten eine große Stempelabgabe gelegt, welche in Moskau das Findelhaus zieht, und also von seinen selbst fabrizierten Karten nicht erlegt. Wird dieser Vorteil nicht von dem Gewinne der Fabrik abgezogen, so setzt man ihn offenbar zu hoch an. Denn auch ohne dieselbe würde dem großen Bedürfnis der Karten durch Privatanstalten, wie deren schon einige vorhanden sind, abgeholfen,

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und so die unmittelbare Einnahme der Stempeltaxe verhältnismäßig vermehrt werden, nach Abzug dessen, was etwa durch Unterschleif eingebüßt werden dürfte. Auch würde ich eben dieses Unterschleif wegen nicht für die Abschaffung der Kartenfabrik stimmen, aber gar sehr dafür, das man auch solche Fabriken anlege, die als Privatunternehmungen, wenigstens Anfangs, keinen großen Gewinn abwerfen, und deswegen leicht unterbleiben. Das Waisenhaus hat nicht nur hinlängliche sondern schon überflüssige Einkünfte, und wird von Jahr zu Jahr reicher. Unter solchen Umständen sollte und könnte es wohl etwas mehr für die feinere Industrie tun, als unmittelbar Kartenfabrikanten ziehen.
Nach den Bemerkungen über einige öffentliche Schul- und Erziehungsanstalten, muss ich noch etwas über die Privatlehrer sagen. Es sind mir über dieselben unglaubliche Dinge erzählt worden. Nach dem aber, was ich mit meinem Auge gesehen habe, wird mir auch das Unglaubliche glaublich.

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Doch will ich Ihnen meinen Glauben nicht auf dringen. Ich referiere nur, und Sie mögen sehen, ob sie auch ohne denselben selig werden. In Moskau suchte man einst einen Hofmeister, der Englisch verstände, und nahm einen versoffenen Kutscher dazu, weil sich sonst kein Engländer fand. Aus gleicher Ursache wurde ein italienischer Tabuletkrämer als Hauslehrer angestellt. Diese beiden Fälle habe ich nur vom Hörensagen. Die beiden folgenden weiß ich aus eigener Erfahrung. Ein Buchbinder Geselle von der französischen Kolonie aus Berlin, war in Liefland als Bedienter angestellt, wahrscheinlich zugleich mit in der Absicht, den jungen Herrn des Hauses durch Unterredung in der französischen Sprache zu üben. Wenigstens tat er dies einige Zeit. Nachher fiel ihm ein, sein Hauptgeschäft aus dem Unterrichte in der französischen Sprache zu machen, und er engagierte sich in dieser Absicht bei dem Rektor einer kleinen Stadt in Liefland, welcher Pensionäre bei sich hatte. Der Rektor starb ein Jahr darauf, und ließ seinen Sprachmeister in großer Verlegenheit.

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Wahrscheinlich um sich aus derselben zu reißen, verheiratete er sich mit einer Person, die bei einer unbegreiflichen Unwissenheit und Albernheit*) doch dann und wann als Gouvernante angestellt gewesen war, und bei ihm ihre vermeintlichen engen Verbindungen mit angesehenen Personen geltend zu machen gewußt hatte. Allein nun wurde die Verlegenheit dieses neuen Paares noch viel größer, als sie für jeden Teil einzeln gewesen wäre. Sie hatten nicht von einem Tag zum andern zu leben, ohne von ihren wenigen Habseligkeiten ein Stück nach dem andern zu verkaufen; und die Anstellung des Mannes als Lehrer war sehr schwer. Zwar ist ein verheirateter Hofmeister in Liefland nichts Unerhörtes, aber wohl ein so verheirateter.

*) Ihrer Unwissenheit kam ihre Einbildung gleich, die sie von ihren Kenntnissen und Erfahrungen hatte. Sie diente deswegen oft zum Ziel des Spottes. Einst brachte man sie so weit zu behaupten, das sie Exkremente gegessen habe, und zu äußern, das sie im Karechismus mit ihren Schülern noch nicht bis zur Fortifikation gekommen sei.

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Eben die Person, auf deren Verbindung der Buchbinder am meisten gerechnet hatte, war seinem Fortkommen noch mehr im Wege, als sein ehemaliger Stand, obgleich auch dieser bald zu seinem Nachteil bekannt wurde. Endlich erbarmte sich dieser Person ein reicher Engländer, der eben von Riga nach Moskau zurückreisen wollte, und, wie er meinte, für seine kleinen Kinder einen solchen Aufseher gebrauchen konnte, da er noch einen besonderen Hofmeister für die größeren hielt, und bei jenem Manne, außer der französischen Sprache, doch gute Sitten zu finden glaubte. Auch hoffte er, das die Frau wenigstens im Hauswesen nützlich sein könnte. Allein er sah sich bald in seinen Erwartungen betrogen, und hatte schlimme Auftritte. Zum Glück für ihn war er kaum einige Monate in Moskau, als der Buchbinder daselbst als ordentlicher Hofmeister mit einem hohen Gehalt angestellt wurde.

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Bei einem andern Mann war die Anstellung zum wenigsten eben so sonderbar. Als ich mit einer Familie nach Petersburg reiste, hatte der Fuhrmann, der für uns allein gedungen war, sich einfallen lassen, auf den Rüstwagen, wo die weibliche Bedienung nebst der großen Bagage fortgeschafft werden sollte, noch nebenbei einen jungen Menschen mitzunehmen, der, wie sich die Sache nachher entwickelte, die Kaufmannschaft in Berlin bei einem Verwandten gelernt, seine Zucht zu strenge gefunden, und sich entschlossen hatte, nach Petersburg zu einem andern Verwandten zu gehen, ohne hinlängliches Geld zu haben, ja ohne hinlänglich bekleidet zu sein. Er hatte zu seiner Bedeckung nur ein einziges kurzes Kleid, und in dem Koffer wahrscheinlich nicht einmal etwas Wäsche. Seine wenige Barschaft war schon in Dörpt zu Ende. Er bekam von dem Fuhrmann Vorschuss bis Narwa, wo er, wie er vorab, Geld erhalten sollte, aber keins erhielt. Nun ging große Not für ihn an. Der Fuhrmann gab nichts mehr her; und wenn sein Passagier auch eben nicht zu fürchten hatte, das man ihn würde verhungern lassen, so war er doch vor dem Erfrieren nicht sicher.

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Es war Oktober, und zwar ein ungewöhnlich harter Oktober. Indessen wurde er auch gegen die Kälte geschützt, und glücklich nach Petersburg spediert. Auf diese Stadt, als den Hafen nach dem Ungewitter, schien er in der Tat ein volles Vertrauen zu haben. Er fing sogleich an, etwas groß zu leben, schlug nicht nur den Vorschlag des Fuhrmannes, mit ihm ein Zimmer zusammen zu nehmen, aus, sondern traktiert sogar köstlich den Unteroffizier, den wir zur Begleitung hatten. Ob er darauf rechnete, den Wirt zu betrügen, oder von seinem Verwandten mit offenen Armen aufgenommen zu werden, weiß ich nicht. Aber beides schlug fehl. Der Wirt, der bald die leeren Taschen seines Gastes erfahren hatte, ließ sich den Pass desselben zum Unterpfand geben, und der so sehr gerühmte reiche Verwandte war seit zwei Jahren nicht mehr in Petersburg. Hatte es zuvor schlimm mit dem jungen Menschen ausgesehen, so sah es jetzt noch viel schlimmer aus.

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Die Wirte spaßen dort gar nicht. Wer nicht bezahlt, bekommt bald nichts mehr, und kann vor der Bezahlung nicht einmal fort. Gefängnis ist dann sehr leicht das Ende einer solchen Aventüre. Der Fuhrmann hatte auch keine Bezahlung erhalten, und konnte ihn ebenfalls peinigen. Doch das tat dieser nicht nur nicht, sondern hatte den Vorsatz, selbst seinen Pass einzulösen, und ihn zurück nach Riga zu fahren, wenn er da seine Kinder im Schreiben und Rechnen unterrichten wollte. Ob ihn dies zuerst auf den Gedanken gebracht habe, als Lehrer in Petersburg zu bleiben, lasse ich dahin gestellt. Kurz, nach einigen Tagen wurde er als Hofmeister bei einem Obersten in Equipage abgeholt. Die Sache war so zugegangen. In dem Gasthof, wo er eingekehrt war, wurde er mit einem Engländer bekannt, der in den Zeitungen hatte ankündigen lassen, das er eine Hofmeister Stelle suche. Jener Oberst lässt diesen zu sich kommen, und will ihn engagieren. Da aber der Engländer den Gehalt von 200 Rubel zu gering findet, so schlägt er seinen neuen Bekannten vor --- und die Sache wird noch an eben demselben Tage richtig.

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Ob wohl irgend ein Mensch auf dies Art einen Stallknecht mietet ! Diese Geschichte erzählte ich bald darauf dem Prof. Wolke, welcher mir versicherte, dass sie noch nicht zu den stärksten gehöre. Von einer solchen Verwahrlosung der Jugend wahrscheinlich unterrichtet, verordnete die Schulkommission, das sich jeder Privatlehrer examinierten Hauslehrer annehme, hundert Rubel Strafe bezahlen sollte.*) Leider hat diese Verordnung, welche schon vorhanden war, als die beiden von mir selbst erlebten Beispiele einer gedankenlosen Anstellung vorfielen, wenig gefruchtet. Auch wird sie immer wenig fruchten, wenn das Gesetz nicht durch den guten Willen der Privatperson unterstützt wird.

*) Schon in den Verordnungen zur Verwaltung der Gouvernements des R. R. ist bei der Instruktion für adlige Vormünder ausdrücklich bemerkt, das sie keine Landstreicher zur Erziehung ihrer Mündel anstellen sollen.

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Ob wohl irgend ein Mensch auf dies Art einen Stallknecht mietet! Diese Geschichte erzählte ich bald darauf dem Prof. Wolke, welcher mir versicherte, dass sie noch nicht zu den stärksten gehöre. Von einer solchen Verwahrlosung der Jugend wahrscheinlich unterrichtet, verordnete die Schulkommission, das sich jeder Privatlehrer examinierten Hauslehrer annehme, hundert Rubel Strafe bezahlen sollte.*) Leider hat diese Verordnung, welche schon vorhanden war, als die beiden von mir selbst erlebten Beispiele einer gedankenlosen Anstellung vorfielen, wenig gefruchtet. Auch wird sie immer wenig fruchten, wenn das Gesetz nicht durch den guten Willen der Privatperson unterstützt wird.

*) Schon in den Verordnungen zur Verwaltung der Gouvernements des R. R. ist bei der Instruktion für adlige Vormünder ausdrücklich bemerkt, das sie keine Landstreicher zur Erziehung ihrer Mündel anstellen sollen.

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Denn könnte auch die Polizei, selbst in so großen Städten als Petersburg und Moskau sind, leicht wissen, wenn ein neuer Hauslehrer ankommt, so ist sie doch für diesen Fall nicht besonders instruiert. Die Untersuchung gehört eigentlich für die Schulinspektion, und diese kann ohne unmittelbare Hilfe der Polizei in den genannten Städten von zehn ungeprüften Lehrern kaum einen kennen lernen. Da man nun überdies sich selten an hohe Personen in Fällen wagt, wo die Übertretung des Gesetzes dem Aufseher keinen Vorwurf, ja nicht einmal einen Verdacht der Pflichtwidrigkeit nach sich zieht; so ist auch jene Verordnung leicht in Vergessenheit geraten. Nur dann, wenn ungeprüfte Lehrer sich mit ihren Prinzipalen überworfen hatten, und niederträchtig genug waren, dieselben anzugeben, soll man die oben bestimmte Strafe eingetrieben haben. Warum aber die Väter und Mütter nicht auf das befohlene Examen dringen, ist ohne Voraussetzung von Eigensinn oder Indolenz schwerlich zu begreifen.

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Das sie das erste beste Subjekt zum Lehrer und Erzieher annehmen, kann entschuldigt werden. Es fehlt durchaus an einer hinlänglichen Zahl von Subjekten. Das aber dies ein Übel sei, sollte doch ein jeder einsehen, der nicht ganz gedankenlos handelt; und da demselben wenigstens einigermaßen durch ein vorhergehendes Examen abgeholfen werden kann: so sollte dieser sehr willkommen sein, zumal da es unentgeldlich angestellt wird. Beleidigt kann sich doch ein ganz unbekannter Mensch nicht finden, das er einen Beweis seiner Geschicklichkeit geben soll; und so viel als ich gesehen und gehört habe, hat wohl in Russland auch keiner zu fürchten, das die Examinatoren die Prüfung als eine Gelegenheit ansehen, ihren beißenden Witz auszulassen, wie bisweilen in einem gewissen deutschen Konsistorium geschehen soll.*)

*) Wenn dies hauptsächlich bei den sogenannten Kolloquien mit den Superintendenten statt findet, so muss man sich wundern, das keiner die Herren Examinatoren mit Nachdruck an ihre Pflicht erinnert.

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Ja gerade die ganz unbekannten Menschen, welche am meisten der Prüfung unterworfen werden sollten, hätten am wenigsten von der Schikane zu fürchten. Wenn in den alten Provinzen von Russland nur gelegentlich über jene Verordnung gehalten wurde, so war in den neueren nicht einmal an die Einführung derselben gedacht. Gleichwohl wäre sie da auch sehr nötig gewesen. Denn ob man gleich in Liefland sich dem gerade wohl nicht so sehr überlässt, und solche Geschichten, wie die erzählten, wohl nicht vorfallen, so ist es doch nicht weniger gewiss, das es mit unter erbärmliche Lehrer gibt. Einer, der sich die Stunde, wie gewöhnlich, mit einem halben Gulden bezahlen lies, brachte bei dem Unterrichte in der französischen Sprache das Wörterbuch fast nicht aus den Händen, und wundern sich sehr, das er chevaux nicht darin fände. war ein Eingeborener. Aber selbst von Deutschland und Frankreichaus werden Subjekte geschickt, die bei weitem das nicht leisten, was die Eltern von denselben erwarten.

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Bei einer ansehnlichen Stelle wurden Kenntnisse in der Mathematik verlangt, und man schickte einen Mann, der dieselbe erst auf der Reise lernen wollte; *) zu einer zweiten schickte man einen Menschen, der in Deutschland schon zwei Stellen nach kurzer Zeit hatte verlassen müssen; und zu einer dritten einen solchen, der mit einem fähigen Kopfe nach vier Jahren in der Geschichte bis zu den Phöniziern kam. Wenn ein Kandidat nur einmal in Liefland oder Kurland ist, so denkt man, könne es ihm an Fortkommen nicht fehlen, sollte es ihm auch sonst überall daran gefehlt haben.

*) Der Mann kam indessen gut fort, weil sein Prinzipal nichts von der Mathematik verstand. Dies ist gerade in Beziehung auf diese Wissenschaft ein nicht seltener Fall. Ein Hofmeister galt lange, weil einige der leichtesten geometrischen Aufgaben mechanisch zu lösen wußte, für einen guten Mathematiker, ob er gleich nicht einmal mechanisch mit Brüchen zu rechnen verstand, und zweifelte, das er es je lernen würde. So schwierig und unbegreiflich schien ihm diese Rechnungsart! Übrigens hatte er viele Kenntnisse, wozu nur Gedächtnis erfordert wird.

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Recht hat man bisweilen freilich gehabt. Ich begreife nur nicht, wie man solche Menschen empfehlen kann. Vor einigen Jahren empfahl Prof. B...., der wohl sehr gut weiss, was zum Unterricht erfordert wird, und gewiss auch sehr gut versteht, die Menschen zu prüfen, ohne ein eigentliches Examen mit ihnen anzustellen, einen ganz unwissenden an den D. Schlegel. Da dieser schon nach Greifswald abgegangen war, ließ jener das Empfehlungsschreiben erbrechen, um durch den Inhalt desselben andere Männer für sich zu interessieren. Sie waren auch bereit, ihm fortzuhelfen und eine eben vakante Stelle zu erteilen, als sie erfuhren, das er mit einer unangetrauten Weibsperson gekommen sei, und auf ehelichen Fusse lebe. Die beabsichtigte Anstellung musste nun unterbleiben; und es wurde ihm überhaupt geraten, entweder sich von seiner Gefährtin zu trennen, oder sich mit ihr trauen zu lassen. Er tat das Letzte, nachdem er bald gesehen hatte, das er durch ein Privatinstitut seinen Unterhalt finden könnte.

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Der Bürger, bei dem er sich einquartiert hatte, übergab ihm nicht nur seine eigenen Kinder zum Unterrichte, sondern verschaffte ihm auch in kurzem noch mehrere aus der Klasse der Handwerker;und die neue Schule ging einige Jahre ihren Gang zum Besten ihres Vorstehers, aber höchst wahrscheinlich nicht zum Besten seiner Schüler, wie sich zeigte, als er sich prüfen lassen sollte. Dies führt mich auf eine neue Einrichtung in Liefland, und ich bemerke nur noch zuvor, dass jener Mensch nach der Aufforderung zur Prüfung, ob er gleich die Gegensätze derselben so niedrig und so einfach setzen konnte, als er wollte, doch erst durch Entschuldigungen Zeit zu gewinnen suchte, und am Ende lieber seine Schule aufgab, als sich dem Examen zu unterwerfen. Privatinstitute konnte ehedem in Russland jeder ohne alle Umstände, und kann auch noch jetzt jeder anlegen, wenn er sich zuvor einer Prüfung unterworfen hat. Das ist in meinen Augen an sich gut, besonders aber in einem Lande, wo der öffentlichen Schulen nicht genug sind.

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Jene Prüfung wurde zugleich mit der für die Hofmeister eingeführt, und vom Anfang an strenger als für die letzten im eigentlichen Russland beobachtet; in Liefland aber aber dachte man lange gar nicht einmal an die Einführung einer so notwendigen Sache. Wahrscheinlich kam dies teils daher, das überhaupt die neue Schulordnung, wie ich oben zeigte, dort nicht aufgedrungen werden sollte, und folglich nicht ordentlich bekannt gemacht wurde, teils daher, das man glaubte, es könne ein Privatinstitut wohl überhaupt nicht lange bestehen, wenn der Vorsteher desselben nicht ein tüchtiger Mann sei. Hierin irrte man nun wohl. Die eben angeführte Schule würde wahrscheinlich noch lange geblieben sein, wenn man sie von Staatswegen hätte fortgehen lassen, und wahrscheinlich auch eine andere, dessen Vorsteher zwar nicht so erbärmlich sein mochte, als jener Mensch, aber doch gewiss auch das nicht war, wofür er sich ausgab, und durch seine Anmaßungen Ursache ward, das man auch für Liefland die im allgemeinen anbefohlene Prüfung einführte.

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Er kam aus Bayern nach Riga, gab zu verstehen, er habe der Verfolgung wegen, die dort über die wahren oder vermeinten Illuminaten ergingen, fliehen müssen, und gerierte sich als ehemaligen Rat. Bei einem guten Mundwerk nahm er mehrere Personen für sich ein, und bekam, bald so viel Kinder, das er nicht nur einen Gehilfen gut erhalten, sondern sich auch verheiraten konnte, ohne in drückende Nahrungssorgen versetzt zu werden. Der Plan, den er hatte drucken lassen, versprach sehr viel, und allerdings manches, was in den öffentlichen Schulen nicht gelehrt, oder nicht geleistet wurde. Aber mit der Ausführung dieses Plans hatte es schwerlich seine Richtigkeit. Ich weiss sehr bestimmt, das er einen großen Teil des Unterrichts im bloßen Abschreiben dessen bestehen ließ, was die Kinder lernen sollten. Auch lebte er auf einem Fusse, der mit einer guten Einrichtung eines Instituts nicht wohl bestehen konnte.

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Gleichwohl hatte er die Keckheit, nicht nur sich immerfort ziemlich laut zu erheben, sondern auch die öffentlichen Schuleinrichtungen und Lehrer tief herabzusetzen. Es war also natürlich, das diese, welche nicht nur an ihren Einkünften sondern auch an ihre Ehre litten, Hilfe gegen eine solche Beeinträchtigung suchten. Dies gab Veranlassung, bei dem Gouverneur auf ein Schulkollegium anzutragen, dessen Prüfung sich, dem kaiserlichen Befehle zu Folge, alle diejenigen unterwerfen sollten, die privatim Unterricht geben wollten. Die deswegen getanen Vorschläge wurden angenommen, und die besten Lehrerdes kaiserlichen Lyzeums sowohl als der Hauptstadtschule zu Examinatoren bestellt, doch ohne ihr Amt auf die Hofmeister zu erstrecken, weil, wie der Gouverneur meinte, eine solche Einmischung in die häuslichen Angelegenheiten die persönliche Freiheit zu sehr einschränkte. Dieser Bewegungsgrund kann edel genannt, und doch nicht hinreichend gefunden werden. Für den Zwang bin ich auch nicht --- wäre es auch nur deswegen, weil er nicht durchgesetzt werden kann.

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Aber eine Aufforderung an die Eltern um ihres eignen und ihrer Kinder Besten willen, ganz neue Lehrer prüfen zu lassen, wäre nach dem, was ich Ihnen von der nicht seltenen Beschaffenheit der Hofmeister gesagt habe, wohl noch ein Land- und Zeitbedürfnis gewesen. Doch ich kehre zu jenem Mann zurück. Er bestand in dem Examen schlecht, und wollte Anfangs nicht einmal das Protokoll unterschreiben, das über Frage und Antwort, um der Sicherheit willen, gehalten worden war; so sehr fühlte er selbst das schlechte Licht, in welchem er sich bei der Prüfung gezeigt hatte. Sein Gehilfe musste sich auch examinieren lassen, und bestand weit besser. Deswegen wollte das Schulkollegium den Bericht dahin ausstellen, dass das Institut jenes Mannes geduldet werden könne, oder immer einen ebenso guten an seine Stelle setzte. Allein er wartete diesen Bericht nicht ab, sondern ging ohne ordentlichen Pass zu nehmen,

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heimlich nach Petersburg, um sich in der dortigen Hauptschule noch einmal examinieren zu lassen. Dies war sein Unglück, wenigstens vorläufig. Da weder seine Frau noch sein Gehilfe wußte, wohin er gegangen sei, glaubte jedermann, er habe die Absicht, nie wieder zu kommen; und da man im Publikum diese Flucht dem strengen Examen zuschrieb, so sahen sich die Examinatoren genötigt, ohne Schonung die Wahrheit dem Kollegium der allgemeinen Fürsorge zu berichten, und das Protokoll jedem auf sein Verlangen zur Einsicht vorzulegen. Kaum aber war dies geschehen, als der Flüchtige seinem Gehilfen die Nachricht gab, das er in Petersburg examiniert sei, und bald zurück kommen werde, seine Feinde zu Schanden zu machen. Er kam auch wirklich, und brachte ein leidliches Zeugnis seiner Kenntnisse mit. Doch es war zu spät. Sein Gehilfe, der überhaupt mit ihm nicht zufrieden war, hatte die Schüler auseinander gehen lassen; die Eltern derselben waren größtenteils nicht geneigt, sie ihm aufs neue anzuvertrauen;

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und, was die Hauptsache war, der Gouverneur erklärte ganz bestimmt, das jenes Zeugnis für ihn nicht das geringste Gewicht habe; er könne sich nichts von der Schule in Petersburg vorschreiben lassen, sondern müsse dem Bericht trauen, denn das rigaische Schulkollegium abgestattet habe. So ging die Frucht der Maßregeln, die sehr fein ausgedacht schienen, vor der Hand; denn so traurig die Lage jenes Mannes Anfangs war, so ist sie doch jetzt, so viel ich weiß, sehr gut. Er ging nach Petersburg, übernahm da eine schon eingerichtete ansehnliche Pensionsanstalt und hält sie noch. --- Das Zeugnis, das er in Petersburg erhalten hatte, ist in Riga sehr verdächtig gewesen. Man hat es für erschlichen oder erkauft gehalten. Allein ich halte es weder für das eine noch für das andere, da ich den Verstand und die Rechtschaffenheit des Direktors der Hauptschule in Petersburg auf keine Weise in Zweifel ziehen kann. --- Hätte also doch Parteilichkeit die Examinatoren in Riga geleitet? fragen sie vielleicht. Auch dies nicht.

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Die Verschiedenheit des Urteils kommt von den verschiedenen Gesichtspunkten, in welchen sich der Examinandus in Riga und Petersburg selbst darstellte. In der erste Stadt hatte er fast alles Wissenswürdige zu wissen vorgegeben, und in dieser Rücksicht notwendig ungeheure Blößen geben müssen; in Petersburg war er bescheiden gewesen, und hatte sein Gesuch um eine Prüfung auf solche Gegenstände des Unterrichts eingeschränkt, worin er wirklich einige Kenntnisse besaß. Überdies ist es mir allerdings wahrscheinlich das die Furcht, nicht zu bestehen, Einfluss auf seine Antworten in Riga gehabt hat. In einer Sache, die man gar nicht versteht, vor verständigen und prüfenden Männern reden zu wollen. ist ein Unternehmen, das leicht dahin führen kann, Unverstand statt Unwissenheit zu verraten. Endlich hatte der Direktor in Petersburg noch einen Gesichtspunkt, der den rigaischen Examinatoren fehlte, und das Urteil ganz anders bestimmte. Er wußte, dass sich in Russland ganz unwissende, und selbst von guten Willen entblößte Menschen zu Lehrern aufwarfen.

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Da er nun bei demjenigen, von welchem die Rede ist, doch einige Kenntnisse fand, und viel guten Willen zu entdecken glaubte, so hielt er sich allerdings für verbunden, selbst die Mittelmäßigkeit zu unterstützen; und auf mehr als Mittelmäßigkeit lautete sein Zeugnis nicht. Aus manchem angeführten Zuge werden Sie vielleicht schließen, dass das Erziehungsgeschäft in Russland ein einträgliches Geschäft sei; und gewissermaßen haben Sie Recht. In Petersburg wird jede einzelne Stunde, selbst für den Religionsunterricht, in Privathäusern der Regel nach mit einem Rubel, und in Riga mit einem halben Gulden bezahlt; dieHofmeister bekommen von 200 bis 1000 Rubel Gehalt, und nach vollendeter Erziehung sehr häufig entweder noch eine gewisse Summe überhaupt, oder eine lebenslängliche Pension. Der Fürst Kurakin hat dem Hofmeister seines einzigen Sohnes für zehn Jahre 30,000 Rubel ausgesetzt, und lässt es auch außerdem an ansehnlichen Geschenken fehlen.

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Die Pensionsanstalten sind ebenfalls oft sehr einträglich. Man lässt sich da bis auf 500 Rubel für jeden Zögling bezahlen, und kann davon bei einer gewissen Menge gewiss etwas Ansehnliches zurücklegen. Der Gehalt bei den öffentlichen Schulanstalten hingegen ist an sich nur mittelmäßig; und diese Mittelmäßigkeit bewegt manchen Lehrer; selbst wenn er schon verheiratet ist, Hofmeister zu werden, oder ein Institut zu errichten.Bei dem Kadettenkorps, so wie bei der Petrischule, steigt der ganze Gehalt eines Lehrers nur bis auf 800 Rubel außer freier Wohnung; und das ist zwar in Beziehung auf andere Länder im Durchschnitt immer noch ansehnlich genug, in Beziehung auf das aber was man sonst in Russland mit der Erziehung verdienen kann, nicht viel. Der Meinung war ein Pastor in Petersburg nicht, der doch zu anderer Zeit meinte, er könne mit seiner Einnahme von ungefähr 3000 Rubel nicht auskommen. Da kann man sehen, wie hoch der Abstand zwischen einen Pastor und einem Schullehrer zu rechnen ist!

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In Riga stehen die Lehrer an den Hauptschulen im Ganzen etwas besser. Selbst der unterste Lehrer an der Stadtschule hat eine Einnahme von ungefähr 400 Albertusthalern, welche zu gewissen Zeiten noch mehr als 800 Rubel betrugen. Überdies sind auch da die freien und zum Teil sehr schönen Wohnungen höher anzusetzen, als in Petersburg, wo die Miete bei weitem nicht so hoch steht, und die Wohnungen der Lehrer an sich schlechter sind. Auch für die Hofmeister hat Liefland einen bedeutenden Vorzug, wenn sie nicht bloß auf Geld sondern zugleich wenigstens auf das Benehmen sehen, das man in und außer dem Hause gegen sie beobachtet. Mit dem hohen Gehalt derselben steht in Russland die allgemeine Achtung gar nicht im Verhältnis; und darüber darf man sich freilich nicht wundern, so lange man die Hofmeister zum Teil, so zu sagen, auf der Straße aufrafft. In Liefland tut man dies nicht, und außerdem hat man teils doch wohl allgemeineren Sinn für Kenntnisse, teils mehr Bedürfnis des Umgangs.

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Der Adel haust da häufig auf seinen Gütern, und schätzt bei der Entfernung derselben von einander, und der oft drückenden Langeweile, die daraus entsteht, das Dasein eines Menschen, den er doch einigermaßen für seines Gleichen ansehen kann. Auch haben sich die Hofmeister auf einen Fuss gesetzt, der das erzwingt, was nicht gutwillig gewährt wird. Einer nahm z. B. bloß deswegen eine sonst gute Stelle nicht an, weil er nicht zwei Pferde zu seiner völligen ausschließenden Disposition erhielt. Die ehemalige Einrichtung sprach freilich dafür; nachdem aber die Fourage ums alterum tantum stieg, und oft nicht so viel Hafer erbaut wurde, als zur Fütterung der notwendigen Pferde gehörte, schränkte man die Equipagen der Hauslehrer ein, und meinte genug zu tun, wenn man versprach, stets zu Lustpartien und Reisen Pferde herzugeben. Das war wohl allerdings der Billigkeit gemäß. Aber Billigkeit ist nicht immer eine Tugend der dortigen Hofmeister.

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Sie glauben das Heft in Händen zu haben, und wollen es sich nicht nehmen lassen. An Anstellungen kann es ihnen, wie sie meinen, bei dem Mangel an Subjekten nicht fehlen, und sie setzen wirklich bisweilen alles durch, was sie für sich wünschen. Mehreren ist aber auch ihr Trotz schon teuer zu stehen gekommen. Zu den selben gehörte ein gewisser Kandidat Renner, der bei sehr mittelmäßigen Kenntnissen und Talenten doch eine Stelle nach der andern verlies, bis er sich genötigt sah in Riga seinen Unterhalt durch einzelne Privatstunden zu erwerben. Aber auch hiermit wollte er nicht fort zum Teil wenigstens, weil er sich gar nicht zu fügen wußte. Er machte ansehnliche Schulden, und musste sehr froh sein, dass er endlich wieder eine Hofmeister Stelle in Volhynien erhielt. Man bezahlte einen Teil seiner Schulden und verbürgte sich für den andern, musste aber diese Bereitwilligkeit in kurzer Zeit bereuen, als man von ihm bei Vernachlässigung seiner Zöglinge die ausdrückliche Erklärung erhielt, das er nicht da sei, über ihre Ausführung zu wachen.

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Er reiste zurück nach Riga, ohne hinlängliches Geld zu haben; kam bis an die Grenze von Curland, nötigte da unter Vorstellung der Quasikollegialschaft den gutmütigen Pastor von Creutzburg; den letzten Fuhrmann zu bezahlen, und quartierte sich ein, mit dem Vorgeben, dass er ansehnliche Anträge von Kiow und Reval erhalten habe, und die endliche Antwort in Creutzburg abwarten wolle. Er fand ein sehr gastfreundliches Benehmen, erwiderte es aber sehr wenig, war mit hundert Dingen nicht zufrieden, gleichsam als ob er alles von Rechtswegen fordern könnte, und blieb drei bis vier Monate sitzen. Nach mehreren darauf folgenden Kreuz- und Querzügen starb er im Siechhaus zu Riga. Ich fürchte sehr, auf einen andern, den ich gekannt habe, wartet ein ähnliches Schicksal, wenn er nicht mit Schaden klug wird. Mehr als in andern Ländern bequemt man sich wohl in Liefland und vielleicht auch zum Teil in Russland, nach dem Willen der Hauslehrer, und eher als in andern Ländern finden sie hier oft bei sehr mäßigen Talenten ihr gutes Auskommen.

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Aber jenes Bequemen hat doch seine Grenzen, und dieses Auskommen ist unsicher, wenn es nicht auf entschiedenen Vorzügen beruht. Hierzu muss ich eine gewisse Fertigkeit in der französischen Sprache rechnen. Sie ist auch nach dem Hasse nötig geblieben, welchen die Revolution in Frankreich ziemlich allgemein bei den höheren Ständen in Russland gegen die französische Nation erregt hat. Wenn aber ein Deutscher in der französischen Sprache gewissermaßen eben das leisten kann, was man von einem geborenen Franzosen erwartet; so ist es allerdings wahrscheinlich, das jener oft noch vor diesem den Vorzug erhält.Selbst in Moskau hörte ich manches, welches einen solchen Vorzug anzudeuten schien. Er ist natürlich, verschafft aber wohl nicht immer den ganzen Vorteil, den sich die Vornehmen davon versprechen. Auch die deutschen Hofmeister ziehen nicht selten gegen die Leibeigenschaft überhaupt, oder doch den Druck der Leibeigenen zu Felde,

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indem sie mit Recht glauben, es gehöre das Kapitel davon in die Moral die sie lehren sollen; und mancher verlässt ein Haus, oder will nicht in dasselbe, bloß weil darin , so fein es sonst ist, die Menschenrechte der Leibeigenen mit Füssen getreten werden. In dieser Rücksicht ist die Lage der Hofmeister in Russland oft schlimm. Schon in andern Ländern ist es nichts Seltenes, dass die Eltern und Verwandten der Zöglinge ganz andere Grundsätze befolgen, als die Erzieher beibringen wollen, oder doch sollen, und gegen Niedrige einen Stolz und eine Härte zeigen, welche leicht wieder einreißen, was so nur mit Mühe gebaut werden kann. Dazu kommt noch, vorzüglich in großen Städten, eine gewisse Unordnung, oder ganz verwerfliche Ordnung in der Lebensart, welche der häuslichen Erziehung an sich sehr nachteilig, und durch das Verhältnis der niederen zu den höheren Ständen noch nachteiliger ist. Deswegen hat wohl der Fürst Kurakin für die Erziehung seines Sohnes eine besondere Einrichtung getroffen.

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Er hat diesen zwar in seinemHause, hält aber für ihn und den Hofmeister eine ganz abgesonderte Ökonomie, und verhindert dadurch nicht nur die vielen Störungen, welche außerdem bei der Lebensart eines großen Hauses für den Unterricht statt finden würden, sondern schützt auch seinen Sohn vor dem Einfluss der Meinungen und Grundsätze, welche einem noch zarten Gemüte gefährlich werden können. Wird durch eine solche Absonderung die Lage des Hofmeisters ziemlich drückend, so ist dafür gesorgt, das er teils in der Gegenwart, teils in der Aussicht auf die Zukunft, Entschädigung finde. Er ist ganz Herr der besonderen Anordnung seines Hauswesens, kann Gäste zu seiner und seines Zöglings Unterhaltung bitten, und erhält alles, was zum Lebensgenuss erforderlich ist. Wie sehr man für den Rest seines Lebens sorgt, habe ich Ihnen schon oben gesagt.

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